Ein ICE der Deutschen Bahn © NDR Foto: Screenshot

Verschwendung: Bahn zahlte überhöhte Preise für IT-Technik

Stand: 23.07.2020 06:00 Uhr

Die Deutsche Bahn ist seit Jahren klamm, doch im Bereich Computertechnik spart der Konzern ungern. Empfänger des Geldsegens: eine Tochterfirma namens Systel.

von Fabienne Hurst, Johannes Jolmes und Oliver Schröm

Das Image der Deutschen Bahn ist angekratzt: Verspätungen, Langsamfahrstrecken, Zugausfälle. Die Gründe dafür sind marode Brücken, veraltete Technik, kaputte Schienen. Denn das Geld fehlt, die Deutsche Bahn muss sparen. Der Staatskonzern ist mit mehr 25 Milliarden Euro verschuldet. Doch für die Produkte einer Firma gibt die Bahn jedes Jahr erstaunlich viel Geld aus: die des IT-Unternehmens Systel.

VIDEO: Bahn zahlte überhöhte Preise für IT-Technik (7 Min)

In selbstbewussten Werbeclips verspricht Systel modernste Technologien für die Bahn. "Wir planen, entwickeln und betreiben Software für über 600 Anwendungen, darunter Fahrpläne, Disposition von Zügen oder das Informationssystem für die Reisenden", heißt es in dem Video. Das Systel-Headquarter liegt im Silberturm in Frankfurt. Von hier aus kümmert sich Systel um die IT von Bahn-Tochterunternehmen, stellt etwa Speicherplatz auf Servern zur Verfügung oder bietet Computer Support. Systel versorgt Bahn-Töchter wie die DB Netz, die das Schienennetz an die Zugbetreiber vermietet, oder die DB Regio, die Regionalzüge auf die Schienen bringt. Das Geschäft läuft gut, Systel beschäftigt mehr als 4.000 Mitarbeiter.

Das 20-fache der marktüblichen Preise

Felix Preuß © NDR Foto: Screenshot
Felix Preuß hält die Systel-Angebote nicht für marktüblich.

Doch wenn man sich das Angebot von Systel genauer ansieht, fällt auf: Das Unternehmen verlangt extrem hohe Preise, mitunter das 20-fache der marktüblichen Summen. Die Deutsche Bahn AG findet das offenbar nicht zu teuer: Das Preis-Leistungs-Verhältnis von Systel sei "nachweislich marktüblich", so eine Sprecherin. Die Leistungen würden "seit Jahren durch unabhängige Beratungsunternehmen mit vergleichbaren Produkten von Wettbewerbern verglichen." Um welche Beratungsunternehmen es sich handelt, will der Konzern auf Nachfrage nicht konkretisieren. Auch einen Vergleichsbericht legt er nicht vor.

Felix Preuß ist Gründer und Geschäftsführer der Firma Netcup in Karlsruhe. Sein Unternehmen vermietet Speicherplatz auf Servern inklusive Support. Ein von Panorama ausgesuchtes Einzel-Angebot für digitale Infrastruktur etwa kostet bei Systel rund 300 Euro pro Monat. Das vergleichbare Angebot bei Netcup liegt bei 14,49 Euro pro Monat. "Als ich das Angebot gesehen habe, war ich schon überrascht, dass so viel einem Kunden berechnet werden kann", sagt Preuß. "Den Kunden hätte ich auch gerne." 

Monopolstellung für die eigene Tochter

Aber die Bahn scheinen die hohen Preise nicht zu stören. Sie kauft trotzdem bei Systel ein. Oder gerade deshalb? Denn: Systel gehört der Deutschen Bahn, ist ebenfalls ein Tochterunternehmen. Der IT-Dienstleister kann Apotheken-Preise verlangen, weil die Bahn bevorzugt bei eigenen Tochterunternehmen einkaufen muss. So will es der sogenannte "Kontrahierungs-Zwang". 

Christian Böttger © NDR Foto: Screenshot
Christian Böttger kritisiert das Verhalten der Bahn.

Systel komme so quasi eine Monopolstellung zu, sagt Christian Böttger, Professor für Wirtschafts-Ingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Er war mehrfach Gutachter im Verkehrsausschuss des Bundestages. Welchen Sinn ergibt es für ihn, wenn die Bahn viel zu hohe Preise an die eigene Tochter bezahlt? "Der Verdacht ist immer da, dass man solche Tochtergesellschaften auch nutzen kann, um Gewinne abzuschöpfen oder Gewinne zwischen anderen Konzerngesellschaften hin und her zu schieben", so Böttger.

Das heißt: Die Bahn kann im Prinzip steuern, welche Tochter hohe Gewinne haben soll - und welche nicht. Denn nur die großen Tochter-Gesellschaften müssen ihre Bilanzen offenlegen. Etwa die, die hohe Subventionen vom Staat bekommen. Die DB Netz zum Beispiel muss ihre Bilanz offenlegen. Die viel kleinere DB Systel hingegen nicht.

Künstlich ärmer gerechnet?

Tatsächlich erlaubt das Handelsgesetzbuch, dass ein Unternehmen nicht für alle einzelnen Tochtergesellschaften Abschlüsse veröffentlichen muss, wenn die Muttergesellschaft einen entsprechend transparenten Abschluss veröffentlicht. Das würde etwa dies ermöglichen: Wenn die DB Netz an Systel hohe Summen für die IT überweist, könnte sie sich selbst künstlich ärmer rechnen. Und so mehr Geld vom Staat bekommen. Für den Rechnungshof ist das offenbar nur schwer zu kontrollieren, und auch für das Parlament. Zu diesem konkreten Punkt will die Bahn AG sich nicht äußern.

Grafik Geldfluss bei der Deutschen Bahn © NDR Foto: Screenshot
Die Bahn erhält Subventionen vom Staat und kann steuern, welche Tochter hohe Gewinne haben soll.

"Ich bewerte das natürlich negativ", so Wirtschaftswissenschaftler Böttger. "Natürlich wäre es unter Transparenz-Gesichtspunkten sehr wichtig, dass man auch für diese großen Tochtergesellschaften die Zahlen öffentlich einsehen kann, also auch für Abgeordnete." Die Deutsche Bahn AG verweist darauf, dass die Praxis, den DB-Systel-Bericht nicht gesondert zu veröffentlichen, nicht regelwidrig sei. "Das entspricht den gesetzlichen Vorgaben", heißt es in einer Stellungnahme.

Mitarbeit: Stephan Dörner.

Weitere Informationen
Jugendliche stehen an einem Bahnsteig und warten auf einen Zug. © NDR Foto: Screenshot

Verspätete Züge: Schüler bleiben auf der Strecke

Jeden Morgen müssen Friedrich und seine Mitschüler mit der Nordwestbahn zur Schule nach Hildesheim pendeln. Doch häufig verspäten sich Züge, manchmal fallen sie ganz aus. mehr

Eine Lokomotive mit der Überschrift "Nicht einsteigen" © NDR Foto: Screenshot

Bahnchaos: Einblicke eines kritischen Lokführers

Ein Lokführer redet Klartext: Seit 30 Jahren arbeitet der Mann bei der Deutschen Bahn, seit Jahrzehnten gehe es mit dem Konzern bergab. Eine sehr persönlicher Hilferuf. mehr

Ein langer ICE der Deutschen Bahn fährt in einen Bahnhof ein. © dpa-Bildfunk Foto: Daniel Reinhardt/dpa-Bildfunk

Jahrelanges Chaos bei der Bahn: wo waren die CSU-Verkehrsminister?

Verspätungen, marode Schienennetze und hohe Schulden: Die Mängelliste der Deutschen Bahn ist lang. mehr

Bahnreisende am Hamburger Hauptbahnhof © picture-alliance/dpa Foto: Bodo Marks

Wie der Norden den Nahverkehr vernachlässigt

Volle und verspätete Züge: Wer im Norden mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs ist, hat es nicht leicht. Doch ein Ausbau des Netzes sei politisch nicht gewollt, meinen Verkehrsexperten. mehr

Bauarbeiten an den Gleisen der Hamburger S-Bahn zwischen Altona und Diebsteich.  Foto: Reinhard Postelt

Marode Schienen bremsen die Bahn

Weil die Gleisanlagen alt und beschädigt sind, fahren Züge in Deutschland häufig langsamer als sie könnten. Dies geht aus einer Mängelliste hervor, die Panorama 3 exklusiv vorliegt. mehr

DB Tower in Berlin © dpa Foto: Arno Burgi

Korruption bei Bahn-Tochterunternehmen?

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt wegen Korruptionsverdachts bei der Bahn-Tochter DB Energie. Laut Recherchen von NDR Info sollen drei Mitarbeiter, darunter der Vorstandschef, bestochen worden sein, um millionenschwere Aufträge für die Lieferung von Wärme an Getec zu vergeben. mehr

Bahn zahlte überhöhte Preise für IT-Technik

Der Panorama-Beitrag vom 23. Juli 2020 als PDF-Dokument zum Download. Download (95 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 23.07.2020 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bahnverkehr

Es fehlt etwas?

Computertastatur © picture-alliance Foto: Christian Ohde

Kontakt zur Redaktion

Sie vermissen einen Beitrag oder ein Video ist nicht abspielbar? Schreiben Sie uns, wir kümmern uns darum. mehr

Weitere Informationen

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr