Radiologen: Extra-Profit mit Kontrastmitteln
Jedes Jahr bekommen in Deutschland rund fünf Millionen Patienten ein Kontrastmittel gespritzt. Die Flüssigkeit sorgt dafür, dass die Bilder bei Untersuchungen im Computer-Tomographen (CT) oder Magnetresonanz-Tomographen (MRT) klarer sind, dass man zum Beispiel Tumore besser erkennen kann. Normalerweise wissen die gesetzlichen Krankenkassen über die Arzneimittel, die ihre Versicherten bekommen, ganz gut Bescheid. Jedes Jahr im Herbst erscheint ein knapp tausend Seiten dickes Buch mit dem Titel "Arzneiverordnungsreport". Es listet genau auf, wie häufig ein Medikament in Deutschland an gesetzlich Krankenversicherte verordnet wurde, wie viel eine Tagesdosis kostet und ob das Präparat Patienten tatsächlich hilft.
"Kontrastmittel sind für uns eine Black Box"
Kontrastmittel findet man in diesem Report jedoch nicht. "Kontrastmittel sind für uns eine Black Box", sagt der Heidelberger Pharmakologe Ulrich Schwabe, der im Auftrag der Krankenkassen den Arzneiverordnungsreport herausgibt. "Wir wissen nicht, welche Kontrastmittel wie häufig in Deutschland eingesetzt werden oder wie viel Geld die Kassen dafür ausgeben. Das alles weiß niemand." Und für viele ist diese Intransparenz ganz gut. Denn Kontrastmittel sind ein höchst profitables Geschäft, nicht nur für die Hersteller, sondern auch für immer mehr Ärzte, die am Einsatz dieser Mittel in ihrer Praxis verdienen. Kontrastmittelhersteller selbst schätzen, dass manche Radiologen inzwischen ein Drittel ihres gesamten Praxisgewinns mit Kontrastmitteln machen.
NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" liegen jetzt erstmals Dutzende von Einkaufsrechnungen von Radiologen und Angeboten von Pharmafirmen vor, die zeigen, zu welch niedrigen Preisen die Mittel tatsächlich abgegeben werden - und zu welch horrenden Preisen sie bei den Kassen abgerechnet werden. Rechnet man die Summen zusammen, ergibt sich, dass auf diese Weise mehr als 100 Millionen Euro im Gesundheitswesen versickern - Jahr für Jahr. Geld, das an anderer Stelle dringend gebraucht werden könnte. Strafrechtler wie der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Fischer, der die Unterlagen einsehen konnte, halten die enormen Zusatzgewinne der Ärzte mit Kontrastmitteln für "strafwürdig" und fordern die Kassen auf, dieses Treiben zu beenden.
Pharmafirmen liefern die Medikamente direkt an Ärzte
Doch der Reihe nach: Normalerweise werden verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland über Apotheken abgegeben. Bei Kontrastmitteln ist das aber anders geregelt. Sie werden als sogenannter Sprechstundenbedarf von Pharmafirmen wie Bayer, Bracco oder Guerbet oder von kleineren Herstellern und Händlern direkt an Ärzte geliefert. Lange Zeit war es so: Wenn Ärzte Kontrastmittel brauchten, riefen sie bei ihrem bevorzugten Hersteller an und orderten mehrere Liter. Der Hersteller erhielt dafür ein Rezept vom Arzt und lieferte die Mittel. Dieses Rezept reichte die Firma dann bei der Krankenkasse ein, die ihr den Listenpreis für die Kontrastmittel überwies.
Einkaufsrechnungen von Pharmaunternehmen, die NDR, WDR und SZ vorliegen, zeigen, dass man MRT-Kontrastmittel für weniger als 200 Euro pro Liter herstellen kann. In der Roten Liste, dem offiziellen Preisportal der Pharmafirmen, werden die Mittel dagegen für 6.000 bis 7.000 Euro pro Liter angeboten. Für die Hersteller sind Kontrastmittel eine Goldgrube, weil sie die Listenpreise so hoch setzen können, wie sie wollen. Echter Wettbewerb findet nicht statt, weil es bis heute nur wenige Anbieter dieser Mittel gibt.
Bayer teilt auf Anfrage mit: "Die Herstellungskosten der MRT-Kontrastmittel, die Bayer in Deutschland produziert und vertreibt, liegen deutlich über dem von Ihnen genannten Preis." Grundsätzlich errechne sich der Preis von Arzneimitteln aber "entsprechend ihres Wertes für Patienten". Die Firmen Bracco und Guerbet haben auf schriftliche Anfragen nicht geantwortet.
Warum die Ehefrau des Radiologen Großhändlerin wird
Viele Radiologen wissen schon lange, wie profitabel Kontrastmittel sind - und wollen häufig ein Stück von diesem Kuchen abhaben. Der Vertriebsleiter einer großen Pharmafirma berichtet: "Ein Teil des Gewinns floss immer an die Radiologen zurück, mal haben wir ihnen die Kontrastmittelpumpen für einen Bruchteil des echten Preises überlassen oder sie zu teuren Kongressen in die USA eingeladen. Manchmal floss auch direkt Geld, zum Beispiel, wenn die Ehefrau des Radiologen einen Großhandel angemeldet hatte und die Bestellungen dann über sie lief."
Seinen Namen will der Ex-Vertriebschef nicht in der Presse lesen. Die richtig anrüchigen Deals seien jedenfalls immer von Führungsleuten direkt abgewickelt worden, sagt er, nicht von normalen Außendienstlern. Eine weitere beliebte Möglichkeit, Radiologen Geld zukommen zu lassen, waren Scheinstudien, so genannte "Anwendungsbeobachtungen" (AWB). Dabei bekommt ein Arzt Geld für jeden Patienten, dem er ein bestimmtes Arzneimittel verordnet, eventuelle Nebenwirkungen notiert. Unabhängige Mediziner wie der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Jürgen Windeler, halten diese Anwendungsbeobachtungen wissenschaftlich für wertlos. Das IQWiG nehme sie nicht mal zur Kenntnis, wenn es Medikamente bewerte, sagte Windeler. Transparency International hält Anwendungsbeobachtungen sogar für ein "reines Marketinginstrument" und "legalisierte Korruption".
Die häufigsten Anwendungsbeobachtungen bei Kontrastmitteln
Im Jahr 2016 veröffentlichten NDR, WDR, SZ und das Onlinemedium "Correctiv" erstmals eine Übersicht der größten Anwendungsbeobachtungen in Deutschland: Auf den Plätzen eins bis fünf fanden sich die Präparate Xenetix, Dotarem, Multihance, Imeron und Magnegita - allesamt Kontrastmittel, die zum Teil an mehr als 100.000 Patienten "beobachtet" werden sollten. Pro Patient flossen dabei zwischen 10 und 100 Euro an die Ärzte. Bayer teilt auf Anfrage mit, in den vergangenen fünf Jahren in Deutschland keine AWBs für Kontrastmittel unternommen zu haben.
Die Zahl der Anwendungsbeobachtungen, die Pharmaunternehmen machen, ist derzeit tatsächlich rückläufig. Das könnte auch daran liegen, dass es seit drei Jahren mit dem neu geschaffenen Paragrafen 299a im Strafgesetzbuch ein Gesetz gibt, dass Geldzahlungen an Ärzte ausdrücklich verbietet, wenn damit die Verordnung eines Medikaments angekurbelt werden soll. Bis ins Jahr 2016 gab es keinen Paragrafen in Deutschland, der Schmiergeldzahlungen an niedergelassene Ärzte überhaupt unter Strafe stellte. Dafür breitet sich unter Radiologen derzeit eine neue Möglichkeit aus, Geld mit Kontrastmitteln zu verdienen - und zwar viel mehr Geld als früher. Denn die Krankenkassen hatten im Lauf der Jahre auch mitbekommen, dass 6.000 oder 7.000 Euro für einen Liter MRT-Kontrastmittel ein absurd hoher Preis sind. Als erste hatten deshalb die Krankenkassen in Bayern zusammen mit der dortigen Kassenärztlichen Vereinigung so genannte Kontrastmittel-Pauschalen eingeführt. Dabei soll jeder Radiologe nun Kontrastmittel auf eigene Rechnung bei den Pharmafirmen einkaufen, und die Kasse erstattet ihm anschließend in Bayern 3,90 Euro pro Milliliter, also 3.900 Euro pro Liter.
Für 760 Euro pro Liter einkaufen und für 3.900 Euro abrechnen
Hört sich zunächst nach einer Einsparung für die Kassen an. Aber zu welchem Preis kaufen die Radiologen tatsächlich ein? Das war bisher ein gut gehütetes Geheimnis. NDR, WDR und SZ liegen nun aber Angebote von Herstellern und dutzende Lieferrechnungen vor, die zeigen, wie tief die Einkaufspreise tatsächlich sind. So erhielten beispielsweise im November 2015 Radiologen in Bayern per Fax ein Angebot eines Händlers, das MRT-Kontrastmittel Dotagraf der Bayer-Tochter Jenapharm für 76 Cent je Milliliter einzukaufen, "lieferbar ab Lager ohne Mengenbegrenzung", wie es in dem Schreiben heißt. Vorliegende Rechnungen belegen, dass Radiologen tatsächlich zu diesem Preis eingekauft haben. Und noch niedriger. Wie sind solche niedrigen Preise möglich?
Bayer teilt dazu auf Anfrage mit: "Wir bitten um Verständnis, dass Jenapharm, ein Tochterunternehmen von Bayer, zu Geschäftsbeziehungen Dritter grundsätzlich keine Stellung nimmt." Besonders auffällig sind die Preisunterschiede zwischen jenen Bundesländern, wo es die neuen Pauschalen gibt, und jenen Ländern, wo die Kassen weiterhin die Kontrastmittel direkt bezahlen. So bekam ein Radiologe in Bayern, der frei verhandeln darf, am 3. November 2015 Dotagraf zum Preis von 69 Cent pro Milliliter geliefert. Einen Tag später hat ein Radiologe im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen, wo der gleiche Lieferant direkt mit der AOK abrechnet, Dotagraf zum Preis von 5,10 Euro pro Milliliter bekommen. Alles ganz legal. In Hamburg wiederum bekommt im Mai 2015 ein Radiologe von einem Zwischenhändler Dotarem für 5,36 Euro pro Milliliter geliefert, wenige Monate später, nachdem Hamburg auf das Pauschalenmodell umgestellt hat, bekommt er vom gleichen Lieferanten Dotarem für 2,00 Euro pro Milliliter.
Extra hohe Preise für Privatpatienten
In Niedersachsen bekommt ein Radiologe das Kontrastmittel, das er bei den gesetzlichen Krankenkassen über eine Pauschale abrechnet, für 80 Cent geliefert. Um seinen Privatpatienten aber nachweisen zu können, wie teuer er die Mittel tatsächlich einkauft, bekommt er eine zweite Rechnung, auf der das gleiche Mittel plötzlich 5,87 Euro pro Milliliter kostet. Um welche Summen es dabei für die Radiologen geht, macht folgende Rechnung klar: Im Jahr braucht ein Radiologe für ein MRT-Gerät durchschnittlich 30 Liter Kontrastmittel, manche ein bisschen mehr, manche ein bisschen weniger. Wenn er, wie in dem Angebot an die bayerischen Radiologen, für 76 Cent pro Milliliter einkauft und für 3,90 Euro bei der AOK Bayern abrechnet, kann er auf einen Zusatzgewinn von mehr als 90.000 Euro im Jahr kommen - mit einem einzigen MRT-Gerät. Wobei in vielen Praxen nicht nur ein MRT steht. Dazu kommen die CT-Geräte, bei denen die Gewinnspannen für Kontrastmittel ähnlich hoch sind.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind Radiologen übrigens jene Facharztgruppe mit dem höchsten Einkommen - weit vor allen anderen. Im Jahr 2015 (neuere Zahlen liegen nicht vor) blieb demnach jedem Radiologen mit eigener Praxis ein Reinertrag von 31.000 Euro pro Monat übrig. Reinertrag heißt: Nach Abzug aller Kosten wie Praxismiete, Sprechstundenhilfen und Abschreibungen auf die Geräte. Es gibt keine Gruppe unter den Freiberuflern in Deutschland, die einen höheren Reinertrag erzielt als Radiologen. Auf Platz zwei landen Notare.
Pharma-Geschäftsführer: Herstellungskosten sind erheblich günstiger
Einmal im Jahr treffen Radiologen sich zum "Deutschen Röntgenkongress". Dieses Jahr fand er Ende Mai in Leipzig statt. Die Hersteller mit den größten Ständen und die eifrigsten Sponsoren auf dem Röntgenkongress sind auch hier die Hersteller von Kontrastmitteln. Der Pharmakonzern Bayer zum Beispiel unterstützte den Kongress dieses Jahr mit mehr als 124.000 Euro, Guerbet mit 84.000 Euro, Bracco mit 49.000 Euro, GE Healthcare mit 44.000 Euro und so weiter.
Am Stand von Guerbet treffen wir den Geschäftsführer Maximilan Hudl. Hudl räumt ein, dass die "reinen Herstellungskosten erheblich günstiger" sind, aber als Pharmaunternehmen müsse man natürlich auch die Kosten der Entwicklung neuer Produkte refinanzieren. Über die echten Preise seiner Kontrastmittel und die Zuverdienstmöglichkeiten für Radiologen will Hudl nicht sprechen. Nur so viel: "Wir machen keine Anwendungsbeobachtungen mehr, gar keine." Er sehe dafür auch "derzeit keine Notwendigkeit".
Wenige Schritte entfernt vom Guerbet-Stand hat auch der Berufsverband Deutscher Radiologen (BDR) seinen Stand aufgebaut. Vorsitzender des Verbands ist Detlef Wujciak aus Jena. Öffentlich hat sich der Berufsverband bisher nicht gegen die Pauschalen gestemmt, eher im Gegenteil. Doch je länger man mit Wujciak spricht, desto unangenehmer scheinen ihm die enormen Zuverdienstmöglichkeiten seiner Kollegen zu sein. "Natürlich haben wir ein Problem damit, wenn Radiologen in einem Ausmaß an Kontrastmitteln verdienen, das relevant ist", sagt er. Man könne sicher sein, dass der BDR das Thema "intern intensiv diskutiert". Wujciak sagt, dass er das Pauschalenmodell "prinzipiell nicht für gut" halte, schließlich sei es "nicht das ärztliche Geschäft, Einnahmen aus Handel zu erzielen". Er wünsche sich vielmehr dringend, dass das Gesundheitsministerium sich der Sache annehme und es zu einer bundeseinheitlichen Lösung komme.
Pauschalen gibt es in Bayern, Hamburg, NRW, Niedersachsen und Bremen
Tatsächlich ist die Abrechnung von Kontrastmitteln ein Flickenteppich in Deutschland. Die für Radiologen höchst einträglichen Pauschalen gibt es bisher in Bayern, Westfalen-Lippe, Hamburg, Bremen und Niedersachsen und seit 1. April auch im Gebiet der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Sie erstattet Radiologen nun für jeden MRT-Patienten 75 Euro extra fürs Kontrastmittel. Wenn man von einem durchschnittlichen Verbrauch von 18 Millilitern pro Patient ausgeht und Radiologen selbst ohne große Verhandlungskunst es für 1 Euro pro Milliliter einkaufen können, machen die Ärzte jetzt pro Patient 57 Euro Gewinn durch die Kontrastmittelgabe.
Auch Hamburg zahlt eine Pauschale pro Patient statt pro Milliliter. Auf Anfrage teilt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) dort mit, dass zuletzt im Jahr 317.000 MRT-Untersuchungen abgerechnet wurden, 130.000 mal sei dabei die Kontrastmittelpauschale von 75 Euro an Ärzte bezahlt worden.
Laut KV gibt es in Hamburg 117 niedergelassene Radiologen. Rechnungen aus den Jahren 2015 bis 2017, die NDR, WDR, SZ vorliegen, zeigen, dass Hamburger Radiologen zum Beispiel Dotagraf zu Preisen zwischen 85 Cent und 1 Euro eingekauft haben. Mit diesen Einkaufspreisen konnte umgerechnet jeder Hamburger Radiologe durchschnittlich mehr als 60.000 Euro durch Kontrastmittelhandel verdienen - zusätzlich zum ärztlichen Honorar für die MRT-Untersuchung.
Berlin macht Ausschreibung - und spart 7,7 Millionen Euro im Jahr
Verlässt man die Stadtgrenze von Hamburg Richtung Norden, sieht die Situation gleich ganz anders aus. Denn Schleswig-Holstein ist neben Berlin eines der wenigen Bundesländer, die das Kontrastmittelgeschäft der Radiologen unterbinden. Hier haben die Krankenkassen die Präparate ausgeschrieben: Das Pharmaunternehmen, das die Kontrastmittel der Kasse am günstigsten anbietet, bekommt den Zuschlag. Auch diese Preise sind streng geheim. Unter der Hand hört man jedoch, dass sie sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Berlin für MRT jeweils unter 1 Euro pro Milliliter liegen sollen. Die für Berlin zuständige AOK Nordost teilt auf Anfrage mit, dass sie durch die Ausschreibung der Kontrastmittel Einsparungen von 7,7 Millionen Euro erwartet.
In Berlin leben 3,5 Millionen Menschen, in der ganzen Bundesrepublik 82 Millionen. Würden die Krankenkassen in Deutschland Kontrastmittel so ausschreiben wie in Berlin, könnten sie demnach 180 Millionen Euro Versichertenbeiträge sparen - Jahr für Jahr.
Keine angefragte AOK will ein Interview geben
Warum aber akzeptieren Krankenkassen wie in Bayern und Nordrhein die Geldverschwendung, wenn sie sehen, wie hoch das Einsparpotential andernorts ist? Offiziell wollen sie keine Stellung nehmen, Anfragen für ein Interview haben die AOK-Chefs in Bayern, Nordrhein, Niedersachsen, Westfalen-Lippe und Hamburg abgelehnt. Schriftlich teilt die AOK Rheinland/Hamburg mit: "Ihre Frage impliziert Einnahmen/Gewinne aus Kontrastmitteln, die uns nicht bekannt sind."
Hinter vorgehaltener Hand hört man drei Gründe: Erstens kennen die Krankenkassen tatsächlich nicht die echten Marktpreise, zu denen Radiologen die Kontrastmittel einkaufen können. Zweitens wollen sie in ihrem Bundesland keinen Ärger mit den Radiologen haben, die Rabatt-Ausschreibungen in der Regel ablehnen mit dem Argument, ihre Therapiefreiheit würde eingeschränkt, wenn die Kasse ihnen vorschreibe, welches Kontrastmittel sie nehmen sollen.
Und drittens scheuen die Krankenkassen auch die juristische Auseinandersetzung mit den Pharmafirmen. Die zerren nämlich regelmäßig jene Kassen vor Gericht, die es wagen, die lukrativen Präparate auszuschreiben. Die Pharmafirmen verlieren dieses Klagen vor Gericht zwar auch regelmäßig, aber für die Kassen ist der Aufwand enorm hoch. Sie müssen spezialisierte Anwaltskanzleien bezahlen und haben lange Phasen der Rechtsunsicherheit. Die AOK Rheinland/Hamburg betont dagegen auf Nachfrage: "Vergaberechtliche Auseinandersetzungen sind kein Grund, auf Ausschreibungen zu verzichten."
Finanzieller Anreiz, Patienten mehr Kontrastmittel zu spritzen?
Doch jenseits der Geldverschwendung sind die Pauschalen auch aus medizinischer Sicht fragwürdig. Denn sie schaffen einen Anreiz für Ärzte, bei ihren Patienten mehr Kontrastmittel einzusetzen als nötig. Dabei sind Kontrastmittel keine harmlosen Mittel. Sie enthalten den Giftstoff Gadolinium, der vor allem bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion schwere Nebenwirkungen und Schädigungen hervorrufen kann. Auf Facebook gibt es eine Gruppe "Gadolinium-Vergiftung durch MRT-Kontrastmittel" von mehr als tausend Betroffenen, die verschiedenartigste Nebenwirkungen beschreiben, für die sie die Kontrastmittel verantwortlich machen.
Vor zwei Jahren hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA die Zulassung einer Reihe linearer MRT-Kontrastmittel entzogen, die seitdem in Deutschland vom Markt verschwunden sind. Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat diese Präparate dagegen im Markt gelassen, weil ihrer Einschätzung nach der Nutzen die potentiellen Risiken überwiege.
Prof. Dr. Henrik Michaely, Radiologe in Karlsruhe, beobachtet im Auftrag der Deutschen Röntgengesellschaft die Debatte. Er hält Kontrastmittel zwar für "sicherer als mit dem Auto über die A5 zu fahren", räumt aber ein, dass es einige Patienten geben kann, "bei denen es Nebenwirkungen auslöst". Deshalb sollten Ärzte Kontrastmittel zurückhaltend verwenden und nur dann einsetzen, wenn sie wirklich notwendig sind. Vor diesem Hintergrund hält Michaely es auch für "komplett falsch", dass seine Kollegen in Bayern und anderswo an Kontrastmitteln verdienen können und somit ein Anreiz besteht, mehr einzusetzen als nötig. "Sobald ich als Arzt Geld verdienen kann mit dem Handel von Kontrastmitteln, sehe ich das eigentlich auch als Verstoß gegen die Berufsordnung von uns Ärzten", sagt Radiologe Michaely aus Karlsruhe. Dort heißt es, Ärzten sei es nicht gestattet sich für den Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln Vorteile gewähren zu lassen.
Händler: Kontrastmittelverbrauch steigt an, wenn Ärzte dabei verdienen können
Dass der Verdacht, dass manche Ärzte möglicherweise mehr Kontrastmittel einsetzen als nötig, nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt die Auswertung eines Kontrastmittelhändlers, die NDR, WDR und SZ vorliegt. In diesem Papier, das radiologische Praxen in Bayern mit Praxen in jenen Ländern vergleicht, in denen es keine Pauschalen gibt, kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass nach Einführung von Pauschalen der Verbrauch an CT-Kontrastmitteln um 10 Prozent und bei MRT-Kontrastmitteln sogar um 15 Prozent angestiegen ist. Gestützt wird das durch eine bisher unveröffentlichte Auswertung von 28 Arztpraxen des "Radiologienetzes Deutschland", nach eigenen Angaben ein Zusammenschluss von 360 Radiologen in Deutschland, hinter dem ein Dienstleister für Ärzte steckt.
In dieser Auswertung ist der Unterschied noch größer. Demnach brauchen die Praxen in jenen Bundesländern, die nach Pauschalen abrechnen, 26 Liter Kontrastmittel pro MRT-Gerät, in Rest der Republik aber nur 13 Liter. Ähnlich verhält es sich bei CT-Kontrastmitteln. Hier verbrauchten Praxen in Ländern mit Pauschal-Vereinbarungen im Jahr 2018 genau 192 Liter Kontrastmittel pro Computertomograph, in Ländern, in denen nicht nach Pauschalen abgerechnet wird, aber nur 129 Liter.
Die AOK Bayern teilt auch im Namen der anderen bayerischen Kassen mit: "Die genannte Auswertung des 'Radiologienetzes Deutschland' ist uns nicht bekannt. Seit der Umstellung auf das aktuelle Pauschalensystem in Bayern - Abrechnung nach Verbrauch in Milliliter - konnten wir allerdings keinen signifikanten Anstieg des Verbrauchs beobachten." Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern hat Fragen dazu nicht beantwortet.
Ex-BGH-Richter Thomas Fischer: Strafwürdige Praxis
In Baden-Baden, wohnt Thomas Fischer, einer der bekanntesten Juristen in Deutschland. Fischer war lange Zeit Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, ist Verfasser eines maßgeblichen Kommentars zum Strafrecht und heute einer breiteren Öffentlichkeit als meinungsstarker Kolumnist bei "Spiegel-Online" bekannt. Fischer hält die Kontrastmittel-Pauschalen für "strafwürdig", denn diese Konstruktion "ermöglicht es, dass Ärzte dadurch, dass sie große Mengen von bestimmten Produkten abnehmen, einen erheblichen finanziellen Vorteil erlangen".
Damit würden sie die Zielrichtung des Gesetzgebers "unterlaufen", der von vornherein die Möglichkeit ausschließen will, dass Ärzte, die sich eigentlich mit der Entlohnung ihrer ärztlichen Tätigkeit zufrieden geben könnten, durch die Entscheidung für ein bestimmtes Kontrastmittel irgendwelche Vorteile erlangen. Die Pauschalen "nützen weder den Patienten noch den Krankenkassen und dem Solidarsystem, sie führen zur ungerechtfertigten Bereicherung von Einzelnen, und das ist nicht zu akzeptieren," sagt Fischer. Er fordert deshalb sowohl die Krankenkassen auf, dieses Modell zu beenden, als auch den Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass diese Praxis verboten wird.
Das Gesundheitsministerium selbst scheint sich dafür aber nicht zuständig zu fühlen. Jens Spahn (CDU) lehnt ein Interview zum Thema Kontrastmittel ab, ließ seine Ministeriumssprecherin aber mitteilen, dass die Krankenkassen sich auch bei den Vereinbarungen über Kontrastmittel an das Wirtschaftlichkeitsgebot halten müssen. "Bei Verstößen können die Aufsichtsbehörden der Krankenkassen einschreiten", diese müssten die "Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Einzelfall prüfen".
AOK Bayern weiß, dass Radiologen "zu deutlich niedrigeren Preisen" einkaufen
Möglicherweise kommt derzeit tatsächlich etwas in Bewegung. Im Mai diesen Jahres hat der AOK Bundesverband aus heiterem Himmel die einzelnen AOKen in Deutschland angeschrieben und aufgefordert, bis zum 4. Juni die Preise, zu denen sie Kontrastmittel vergüten, an die Zentrale zu schicken. "Ziel bleibt es, zumindest unseren Vorstand entsprechend zu informieren", wie es in der E-Mail heißt. Das Ergebnis der Umfrage will der AOK Bundesverband aber nicht verraten.
Noch brisanter als diese Umfrage dürfte ein Vorgang in Bayern sein. Dort hat offenbar ein Radiologe den Krankenkassen, die nach dem Einkaufspreis für Kontrastmittel gefragt hatten, eine ehrliche Antwort gegeben und mitgeteilt, dass er MRT-Kontrastmittel für 88 Cent pro Milliliter einkauft. Auf Anfrage von NDR, WDR und SZ teilt die AOK Bayern auch im Namen der anderen bayerischen Krankenkassen nun schriftlich mit: "Die aktuelle Auswertung der Zahlen belegt, dass Ärzte zu teils deutlich niedrigeren Preisen Kontrastmittel beziehen, als von den Krankenkassen über die Pauschalen vergütet wird." Deshalb verhandle man nun, um "künftig eine Vergütung auf Grundlage von Marktpreisen zu erreichen".
AOK Westfalen-Lippe stellt ihr Pauschalen-Modell jetzt in Frage
In Westfalen-Lippe gibt es derzeit sogar Überlegungen, sich vom Pauschalen-Modell zu verabschieden, nachdem das Ausschreibungsmodell von mehreren Gerichten als rechtlich zulässig bewertet wurde. Die dortige AOK Nordwest teilt auf Anfrage schriftlich mit: "Mit der jetzt bestehenden juristischen Klarheit wird derzeit geprüft, ob eine Ausschreibung von Kontrastmitteln auch für die GKV in Westfalen-Lippe umgesetzt werden kann."
Es könnte dieses Jahr zumindest für die Radiologen in Bayern und in NRW also noch ein heißer Herbst werden. Denn so einfach werden sich die Radiologen ihre Zusatzeinnahmen nicht nehmen lassen, die sie inzwischen als Teil ihrer Vergütung betrachten. Doch dieses Argument amüsiert den ehemaligen BGH-Richter Thomas Fischer eher, als dass es ihn überzeugt: "Sobald von einzelnen Ärzten vorgetragen wird, dass man sich mit diesem Zusatzeinkommen nur etwas verschaffe, was einem sozusagen wegen der hohen sittlichen Gesinnung und seinem Einsatz für die Patienten zustehe, ist es natürlich ein eher lächerliches Argument. Man kann ja nicht sagen: 'Ich verdiene so wenig mit meinem rechtmäßigen Geschäften, dass ich mir auf unrechtmäßige Weise Halt verschaffen muss.'"