Sachsen: AfD-Funktionär arbeitet beim Verfassungsschutz
Der Mann mit der Brille und der Glatze schießt ein Foto von den tausenden Menschen, die sich in der Chemnitzer Innenstadt an diesem Septembertag versammelt haben. Er wird es auf Facebook posten und "Neulich in Chemnitz" darunter schreiben. Wie eine Art Beweis, dass sich auch "ganz normale" Bürger getroffen sollen, um um Daniel H. zu trauern, so nennen sie es. Daniel H. war mutmaßlich von einem Asylbewerber getötet worden.
Der Mann mit der Brille und der Glatze kannte den Getöteten nicht. Ihm geht es hier offensichtlich um etwas anderes. Darum, endlich aufzubegehren: gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung, gegen die Medien, die "gleichgeschaltet" seien, so hat er es öffentlich einmal ausgedrückt. Mit der "ideologischen Keule" würden "anderslautende Meinungen" angegangen, und die "etablierten Parteien" missachteten den Wählerwillen. Der Mann mit der Brille und der Glatze heißt Hendrik S.. Er ist Leiter des AfD-Landesfachausschusses 5 und damit zuständig für die Erarbeitung von Konzepten im Bereich Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz. Und: Er arbeitet beim sächsischen Verfassungsschutz.
AfD-Funktionär beim Verfassungsschutz
Wie passt das zusammen? In einer Zeit, in der prominente AfD-Funktionäre in Chemnitz mit der fremdenfeindlichen "Pegida" demonstrieren, zusammen mit Hooligans, Identitären und Neonazis? In einer Zeit, in der Teile der AfD bereits vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
Panorama besucht S. in seinem Wohnort. Ein hübsches Städtchen mitten im Erzgebirge. Hier steht S. vor der Tür seines Einfamilienhauses und gießt Blumen. Angesprochen darauf, wie sein Engagement bei der AfD mit seiner Arbeit als Verfassungsschützer vereinbar ist, zeigt er sich verwundert: "Unabhängig von dem, was man macht, kann man sich politisch organisieren und engagieren", sagt er. "Ob ich jetzt Beamter bin oder Sozialarbeiter oder Unternehmer. Ich als Verfassungsschützer, das ist vielleicht noch etwas sensibleres, aber ich kann sehr wohl auch durch mein Dasein Hinweise geben oder schon mal sagen: So geht es nicht. Hier müssen wir besser aufpassen."
Schwerpunkt Extremismus
Seine Expertise bot S. im Jahr 2014 ganz offen seiner Partei an, als er sich um einen Listenplatz zur sächsischen Landtagswahl bewarb. Beim Nominierungsparteitag der AfD in Weinböhla stellte er sich vor und machte dabei keinen Hehl um seine Tätigkeit beim Verfassungsschutz, ganz im Gegenteil: Er erstelle "mit dem Schwerpunkt Extremismus" entsprechende Analysen, betonte er in seiner Vorstellungsrede. "Ich bin Sicherheitsüberprüfter der höchsten Sicherheitsstufe SÜ3 und habe Umgang mit Verschlusssachen mit Einstufungsgrad 'geheim'", so S..
In dieser Rede bezeichnete S. auch die Medien als "gleichgeschaltet". Im Panorama-Interview damit konfrontiert, bekräftigte er, dass er dies auch heute noch so sehe. Dass er mit dieser Wortwahl die Pressefreiheit in Frage stellt, die es als Verfassungsschützer eigentlich zu verteidigen gilt, findet er nicht. "Es ist ja kein Duktus des Nationalsozialismus", sagt S.. "Weil: die Wörter, die stehen im Duden, und die sind nicht verboten, die stehen auf keiner Index-Liste, also kann ich sie doch benutzen."
Nichts auszusetzen an Pegida
Mit dem Listenplatz hat es damals nicht geklappt. S. engagierte sich fortan weiter als Vize-Vorsitzender des Kreisverbands Mittelsachsen, den er 2013 mitbegründet hatte, schrieb unter anderem am Wahlprogramm der sächsischen AfD mit und ging zuletzt bei der AfD-Veranstaltung in Chemnitz auf die Straße.
Rechtsextreme will S. dort nur vereinzelt entdeckt haben, auch den mehrfach verurteilten Pegida-Chef Lutz Bachmann habe er nur später im Fernsehen gesehen. "Live leider nicht", sagt S. den Panorama-Reportern. "Wenn man schon mal die Chance hat, würde ich ihm ja auch mal Guten Tag sagen." An Pegida habe er nichts auszusetzen, das seien ja einfach nur friedliche Demonstrationen in Dresden.
"Identitäre Bewegung" betreibe intelligente Aktionsformen
Die AfD gibt sich offenbar immer weniger Mühe, sich offen von Rechtsradikalen zu distanzieren. In Niedersachsen und Bremen werden mittlerweile Teile der "Jungen Alternative" von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet, die "Identitäre Bewegung", deren Mitglieder in Chemnitz Seite an Seite mit der AfD marschierte, wird vom Verfassungsschutz als "rechtsextrem" eingestuft, sowohl in Sachsen als auch im Bund. Man sehe "Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung", so die Begründung. Zuwanderer islamischen Glaubens oder aus dem Nahen Osten würden in extremistischer Weise diffamiert. Verfassungsschützer Hendrik S. hat da eine ganz andere Haltung als seine Behörde: Die "Identitäre Bewegung" betreibe lediglich "intelligente Aktionsformen", so S. gegenüber Panorama. "Die ketten sich an keine Schienen, an keine Baufahrzeuge, an nichts. Die hängen Plakate auf, da steht nichts Verbotenes drauf, soweit ich das feststellen kann."
Beobachtung vermeiden: "Könnte meinen Hintergrund zur Verfügung stellen"
Dass die AfD mehr und mehr ins Visier des Verfassungsschutzes gerät, das ist auch in der Partei ein vieldiskutiertes Thema. Zuletzt dachte Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, offen über den Einsatz interner Sonderermittler nach, um einer Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz zu entgehen. Hendrik S. sähe sich für so eine Aufgabe durchaus prädestiniert. "Ich könnte meinen Hintergrund zur Verfügung stellen", sagt S.. Schließlich habe Verfassungsschutzpräsident Maaßen damals auch möglicherweise Frauke Petry beraten. "Das ist ja relativ normal", so S., "dass man sich da Informationen holt: was kann ich machen, um Dinge vorzubereiten? Und genau so kann ich auch Hinweise geben."
Beim Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen ist der Fall S. bereits seit 2015 bekannt. Die Tagezeitung "taz" hatte damals berichtet. Personelle Konsequenzen wurden offenbar bislang nicht gezogen. Zu den aktuellen Recherchen wollte man sich nicht äußern. Schriftlich heißt es: "Zu konkreten Personalien äußern wir uns grundsätzlich nicht. Sicherheitserhebliche Erkenntnisse, die nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung bekannt werden, können Gegenstand einer Aktualisierung der Sicherheitsüberprüfung sein. Generell gilt jedoch im Übrigen, dass Mitgliedschaften oder Funktionen in einer nichtextremistischen Partei beamtenrechtlich als solche kein Hindernis für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst sind. Für das LfV gilt insoweit rechtlich nichts anderes als für jede andere Behörde."