Stand: 16.02.2016 21:45 Uhr

Volksbelehrung: Wie die Politik erziehen will

von Johannes Edelhoff und Christian Salewski

Aktion Schattenspender / Aggression ist nicht lustig / Kinder Garten im Kindergarten / Leben braucht Vielfalt / Jedes Alter zählt / Erfahrung ist Zukunft / DU bist die Stadt

Nein, das ist keine Wortfindungsübung und auch kein dadaistisches Gedicht. Das sind Namen von Initiativen und Kampagnen, mit denen die Bundesregierung die Bürger aufklären will. Beispielsweise über die Vorteile von Bohnen und Erbsen: "Aktion Hülsenfrüchte - echte Alleskönner", über Sicherheit beim Fahrradfahren: "Hut ab, Helm auf!" oder über die Bedeutung von aufgelockerten Böden: "Aktion Regenwurm". Immer mehr dieser Kampagnen gibt es. Und jede von ihnen wartet mit einer Fülle von konkreten Verhaltenstipps auf: Die Regierung empfiehlt etwa, Geschirr nicht unter laufendem Wasser zu spülen ("Forum Waschen"), sich ein Glas warme Milch anstelle von Bier als Schlummertrunk zu genehmigen ("Inform - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung") oder Essensreste aufzuheben und wieder aufzuwärmen ("Zu gut für die Tonne").

VIDEO: Volksbelehrung: Wie die Politik erziehen will (10 Min)

 

"Zu viele Kampagnen erreichen das Gegenteil"

Jede dieser Kampagnen will nur das Beste, klar. Wer kann auch etwas dagegen haben, wenn das Volk dazu angehalten wird, sich besser zu ernähren, mehr Sport zu treiben oder Ressourcen zu schonen. Aber Experten bezweifeln inzwischen, dass die Kampagnen-Inflation tatsächlich dabei hilft, das Verhalten der Bürger im staatlichen Sinne zu optimieren. "Wir haben eine richtige Kampagneritis in den letzten Jahren", sagt Professor Klaus Hurrelmann, einer der profiliertesten Präventionsexperten des Landes. Irgendwann würden die Bürger dabei auf Durchzug schalten, nach dem Motto: Wer zu oft Feuer schreit, dem glaubt man nicht. "Und deswegen muss man höllisch aufpassen: Zu viele Kampagnen können das Gegenteil dessen erreichen, was sie eigentlich wollen", so Hurrelmann.

Ersatz für richtige Politik

Aber warum setzt die Regierung dann eine Kampagne nach der anderen in die Welt? Nicole Maisch, Sprecherin für Verbraucherpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen hat da eine Idee: "Ich glaube, dass das ein Ersatz für richtige Politik ist. Man macht ein paar bunte Flyer, Pappkarten, programmiert eine App, dann hat man keinen Ärger mit der Wirtschaft, keinen Ärger mit dem Handel, man muss sich mit niemandem anlegen, niemand hat was gegen nette, bunte Flyer." Maisch spricht in dem Zusammenhang von "Politikersatz" und wirft diese Alibi-Politik insbesondere einem Regierungsmitglied vor: Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU).

Mit dem Smartphone "Bienen füttern"

Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (Mitte) © NDR
Landwirtschaftsminister Christian Schmidt macht Werbung für die Aktion "Jetzt Bienen füttern", die von seinem Haus bezahlt wird.

Tatsächlich verantwortet Schmidt besonders viele Kampagnen, darunter auch die Initiative "Bienen füttern", die mit einer Smartphone-App dabei hilft, bienenfreundliche Balkonblumen zu kaufen. Damit soll dem Bienensterben entgegnet werden. Auf der Grünen Woche in Berlin belegt sein Ministerium gleich eine ganze Halle, um all seine Kampagnen vorzustellen. Von Panorama auf die Kritik an der Kampagnen-Inflation angesprochen, sagt Minister Schmidt: "Ich bin verantwortlich für Themen, bei denen eben gerade nicht mit dem Gesetz auf den Teller gegangen werden kann, sondern wir müssen zivilgesellschaftlich arbeiten. Das ist manchmal langwieriger, aber erfolgreich." Zum Beleg verweist Schmidt auf eine Kampagne, mit der Lebensmittelverschwendung bekämpft werden soll. "Ich kann aus dem Rücklauf meiner Kampagne 'Zu gut für die Tonne' nur sagen, dass wir hier ja Erfolge haben." 22 Prozent der Verbraucher kennen laut Schmidts Ministerium die 2,8 Millionen Euro teure Kampagne.

Erfolgreiche Belege? Fehlanzeige

Bloß: Belegt ist der angebliche Erfolg nicht. Trotz wiederholter parlamentarischer Anfragen hat Schmidts Ministerium nach inzwischen vier Jahren Laufzeit noch immer nicht überprüft, ob die Millionen Euro schwere Kampagne tatsächlich dazu führt, dass die Verbraucher weniger Essen wegwerfen. "Es gibt Zahlen darüber, wie viele 'Beste Reste'-Apps heruntergeladen worden sind und wie viele Leute sich die Webseite angeschaut haben. Aber was tatsächlich effektiv reduziert werden konnte in den privaten Haushalten, dazu gibt es keine Angaben", sagt Tanja Dräger de Teran, beim WWF zuständig für Ernährungspolitik - und Kampagnen-Experte Hurrelmann ergänzt: "Wenn man das überhaupt nicht überprüft, dann vertraut man bloß darauf, dass man etwas richtig Gutes macht. Ich muss aber unbedingt erfahren, ob die Kampagne wirkliche Effekte erzielt, sonst verpulvere ich mein Geld."

Inzwischen scheint selbst die Bundesregierung den Überblick über alle Kampagnen verloren zu haben. Eine Liste ihrer vielen Kampagnen führt sie jedenfalls nicht. Klar ist nur: 57,6 Millionen Euro gab die Bundesregierung im vergangenen Jahr für Öffentlichkeitsarbeit aus. Viele der Kampagnen werden aber auch durch Extra-Budgets bestritten. "Meines Wissens gibt es keine Stelle in Deutschland, keine öffentliche, keine private, die eine Übersicht hat über die vielen Kampagnen, die gelaufen sind und noch laufen", sagt Experte Hurrelmann. Und so wird es wohl weiter gehen mit der Inflation von Kampagnen, deren Erfolg mehr als zweifelhaft ist.

 

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Volksbelehrung: Wie die Politik erziehen will

Der Panorama-Beitrag vom 28. Januar 2016 als PDF-Dokument zum Download. Download (207 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 18.02.2016 | 21:45 Uhr

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