Stand: 05.01.2015 06:00 Uhr

Schöne neue Welt: Der Preis des Teilens

von Jasmin Klofta & Tina Soliman

Die Share Economy will eine bessere, eine effektivere Welt schaffen. Die immer knapper werdenden Ressourcen sollen nicht sinnlos verschwendet werden. Menschen sollen via Internet gleichermaßen Zugang zu Dingen haben, ohne sie besitzen zu müssen: Sharing is caring, lautet ein beliebter Slogan der Branche.

Doch was ist die Share Economy? Welches Weltbild prägt die milliardenschweren Konzernlenker, aber auch die Nutzer der schönen neuen Welt des Teilens? Welche Visionen haben sie? Und wie wollen wir leben? Und wie passen diese Fragen mit einer neuen Gesellschaftsform zusammen, die selbstbewusst immer mehr Gesellschaftsbereiche einnimmt?

Wer bestimmt die Zukunft der Demokratie?

VIDEO: Schöne neue Welt: Der Preis des Teilens (29 Min)

Selbstbewusst fordern die neuen Gründer - ausgestattet mit Milliarden von Dollars - die Änderung von aus ihrer Sicht vorsintflutlichen Gesetzen und letztendlich die Abschaffung der in ihren Augen zerschlissenen Demokratie. Eine neue Zeit habe begonnen und diese funktioniere nach neuen Regeln. Regeln, die offenbar von Investoren und Bossen der Sharing-Unternehmen gemacht werden sollen.

Voraussetzung für den Zugang zur schönen neuen Welt sind allerdings Besitz und Zahlungsfähigkeit: Nur wer eine Wohnung oder ein Auto hat, kann auch teilen, nur wer Dienstleistungen kostenpflichtig in Anspruch nehmen kann, kann die Angebote auch nutzen. Der Markt wird größer, der Verdrängungswettbewerb aggressiver.

Daten als wertvollste Ware

Datenanalystin Yvonne Hofstätter hat selbst viele Jahre im Silicon Valley gearbeitet und verurteilt kreative Zerstörung nicht per se. Sie betrachtet die Share Economy als disruptive Kraft, als zerreißend, im fortschrittlichen Sinne als zerstörerisch, denn Neues brauche Platz. Doch die Datenanalystin sieht auch die Gefahr des Verlustes der Privatsphäre: "Unsere Daten werden ausgewertet, und schließlich werden Korrelationen hergestellt", so Hofstätter. Vom Bewegungsprofil bis hin zur Interpretation unserer Verhaltensweisen und Vorlieben sei alles lesbar.

Ist der gläserne Mensch erstrebenswert?

Jeremy Rifkin, Ökonom. © NDR/ARD
Glaubt an das Positive neuer Technologien: Ökonom Jeremy Rifkin.

Doch die totale Transparenz und damit das Verschwinden des Privaten ist für den amerikanischen Ökonomen Jeremy Rifkin kein Alptraum, sondern sogar erstrebenswert. Auch sei die Offenheit geradezu angelegt in der Natur des Menschen: "Menschen haben lange Zeit gemeinsam in großen Räumen geschlafen und sich aneinander geschmiegt - wie alle anderen Säugetiere auch. Wir haben die längste Zeit unserer Geschichte als soziale Wesen gelebt."

Diese Sicht der Technikwelt ist vom Glauben an das Gute geprägt. Doch die Tatsache, dass Daten verkauft und miteinander verknüpft werden, lassen Internetkritiker wie Evgeny Morozov die Entwicklung kritisch betrachten. Er befürchtet, dass der wahre Angriff der Share Economy nicht im Abhören intimer Geheimnisse besteht, sondern darin, dass wir gar keine Zeit mehr haben werden, welche zu haben.

Die totale Verwertbarkeit

Schöne neue Welt? Die Share Economy und das Versprechen des Teiles. © NDR/ARD
Hält nicht viel von den Versprechen der Unternehmen: Blogger Sascha Lobo.

Die Gefahr liege beim unkontrollierten Nutzungsmonopol durch die Datenbesitzer, einer kleinen Geld-Elite, die nicht den besten Ruf genießt, wie Digitalexperte Sascha Lobo meint: "Das Silicon Valley hat ein Arschlochproblem, denn viel von der disruptiven Kraft, die die Gesellschaft voran bringen könnte, wird von solchen Unternehmen ins Aggressive, ins Bösartige, ins Destruktive gewendet", so Lobo. Vizekanzler Sigmar Gabriel spricht gar von einem "ganz erzkapitalistischen Modell, bei dem nichts anderes passiert, als dass der Mensch bis in seine letzte Regung verwertbar gemacht wird".

Entscheidet die Technik und nicht die Politik?

Der deutsche Investor Peter Thiel meint hingegen pragmatisch, dass Politiker sowieso nicht mehr allzu viel auszurichten hätten: "Natürlich denken die Politiker, dass das, was sie tun, wichtig ist, und dass die Politik alle wichtigen Fragen der Gesellschaft entscheidet. Ich bin eher der Meinung, dass die Politik eigentlich nicht mehr sehr viel leistet und viel mehr von der Technologie kommen wird. Wir bauen eine bessere Welt, viel mehr durch die Technologie als durch die Politik", so formuliert Thiel das Heilsversprechen der digitalen Welt.

"Fake Economy"?

Jaron Lanier, Informatiker und Internet-Pionier. © NDR/ARD
Jaron Lanier hält die Versprechen der Share Economy für Etikettenschwindel.

Der preisgekrönte Informatiker und Mathematiker Jaron Lanier - er hat den Begriff der "Virtuellen Realität" erfunden - warnt bereits vor einem technologiegetriebenen Turbokapitalismus: Dieser sei das Gegenteil von Freiheit. Statt der Rückkehr wahrhaftiger Gemeinnützigkeit drohe ihr Ende. Sharing is caring? Lanier spricht von einer "Fake Economy" - einer Schwindelindustrie - die von Gemeinschaft und altruistischer Hilfe rede, in Wirklichkeit aber auf der gnadenlosen Verwertung von Effizienzpotentialen beruhe.

Weitere Informationen
Logo des Taxi-Dienstes Uber. © NDR/ARD

Ubers unheimliche Datenmacht

Wieso sich der Milliardenkonzern sehr genau dafür interessiert, was seine Nutzer vorhaben - und dafür auch auswertet, wer möglicherweise einen One-Night-Stand hatte. mehr

Publizist Evgeny Morozov, Jahrgang 1984, ist einer der profiliertesten Kritiker des naiven Fortschrittsglaubens im Hinblick auf die technische Entwicklung, das Internet und das Silicon Valley. © pucture-alliance Foto: Sven Simon

"Privatheit wird zur Ware"

Evgeny Morozov ist Publizist und profilierter Kritiker des Silicon Valley. Er spricht im Interview von den Gefahren, die von der sogenannten Share Economy ausgehen. mehr

Schöne neue Welt? Die Share Economy und das Versprechen des Teiles. © NDR/ARD

"Das Silicon Valley hat ein Arschlochproblem"

Sascha Lobo spricht über die Rücksichtslosigkeit der Share Economy und wie die Politik verhindern kann, dass ein brutaler Manchester-Kapitalismus zurückkehrt. mehr

Auf einem Smartphone ist die App des Fahrdienstvermittlers Uber zu sehen © dpa Foto: Britta Pedersen

Share Economy: Das Märchen vom selbstlosen Teilen

Die Welt der Share Economy präsentiert sich gerne nachhaltig und selbstlos: Doch hinter Unternehmen wie Uber und Airbnb stehen Geldgeber wie Google und Goldman Sachs. mehr

Schöne neue Welt: Der Preis des Teilens

Der Panorama-Beitrag vom 8. Januar 2015 als PDF-Dokument zum Download. Download (258 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 08.01.2015 | 22:00 Uhr

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?