Share Economy: Das Märchen vom selbstlosen Teilen
Jeder sollte sich Gedanken um die Zukunft machen, denn wir werden den Rest unseres Lebens dort verbringen. Deshalb betrifft es alle, wie die Ideen der Share Economy unser Leben verändern. Die Grundidee basiert auf dem "Sharing", also Teilen - das Bett, das Zimmer, das Auto. Wer hat, gibt denen, die nicht haben. Das klingt brüderlich, fast christlich. Die Utopie der schönen neuen Sharing-Welt: kollektivierter Konsum. Die ganze Welt als eine WG, die sich gegenseitig hilft. Doch etwas hat die Share Economy dabei übersehen: Teilen bedeutet "abgeben" - und zwar selbstlos, nicht zweckgebunden.
In der Welt der Share Economy wird die eigentlich gute Meins-ist-Deins-Philosophie unter der Maske der Nachhaltigkeit verkauft; aber gleichzeitig mit dem Mangel an Wohnungen und Zeit ein Riesengeschäft gemacht. Mit gemeinsamer Ressourcennutzung oder Altruismus hat das oft wenig zu tun, weder seitens der Unternehmen noch seitens der privaten Anbieter. Wer sich auf den "Sharing"-Plattformen registriert, der will mit seinem Besitz, sei es mit dem eigenen Auto oder der Immobilie, Geld verdienen. Oder sogar mit dem Besitz anderer: Denn häufig werden zum Beispiel Wohnungen untervermietet, die der "Vermieter" selbst nur gemietet hat - auch, wenn das eigentlich nicht erlaubt ist.
Gesund geschrumpft?
Unternehmen wie Uber und Airbnb halten sich selbst für einen Bestandteil einer neuen nachhaltigen Denkweise. Alles soll gewissermaßen gesundgeschrumpft werden, getreu dem englischen Schlagwort vom "Downsizing", das auch für Automotoren und Häuser angewendet wird: Weniger Energieverbrauch und ein schonenderer Umgang mit natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen - so lauten die angeblich hehren Ziele einer neuen Gesellschaftsordnung, in der alle durch Teilen reicher werden - und gleichzeitig die Umwelt weniger belasten sollen.
Doch hinter vielen Plattformen stehen Geldgeber und große Investoren, die kaum für ihren Altruismus bekannt sind. Bei Uber heißen die Geldgeber zum Beispiel Google und Goldman Sachs. Wer also profitiert am Ende wirklich von der Vermittlung von Fahrdiensten, Übernachtungsmöglichkeiten oder Gefälligkeiten? Eröffnen Plattformen wie Airbnb, die jedes Zuhause in ein Hotel verwandeln, tatsächlich neue Möglichkeiten echter Begegnungen? Wird der Kapitalismus mit Fantasie und Kreativität umgebaut oder erliegen die Anhänger der Share Economy komplett dessen Verlockungen? Ist die Share Economy am Ende nur die totale Dienstleistungsgesellschaft?
Lediglich eine Vermittlungsplattform?
Wenn jeder Taxifahrer oder Hotelier sein kann, werden verkrustete Strukturen und starre Hierarchien aufgebrochen, andererseits aber Verordnungen und Gesetze der Hotel- oder Taxibranche geschickt umgangen. Uber zum Beispiel entzieht sich ganz bewusst staatlicher Kontrolle und stellt staatliche Regelungskompetenzen und -befugnisse offensiv und aggressiv in Frage.
Denn die Firmen umgehen de facto zahlreiche Regeln und Sicherheitsbestimmungen: Taxiunternehmen müssen ihre Fahrer und Autos versichern, auch dann, wenn diese gerade keinen Fahrgast haben. Hotels müssen Hygiene- und Brandschutzvorschriften beachten und alle Gewerbe müssen sich an geltendes Arbeitsrecht halten - und häufig auch Tariflöhne bezahlen. Uber hingegen sieht sich nur als Vermittlungsplattform. So wird jeder Fahrer sein eigener Unternehmer, der sich selbst um Versicherungen, Arbeitszeiten und Gesundheit kümmern muss.
Deutsche Gerichte sehen den Sachverhalt im Fall Uber bislang jedoch anders: Uber sei zwar kein Beförderungsunternehmen, trete aber "als Teilnehmerin an einem von dem jeweiligen Fahrer begangenen Verstoß" gegen das Personenbeförderungsgesetz durchaus als Dienstleister auf, heißt es in einem aktuellen Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main. Dieses verbot Uber kurzerhand, seine Leistungen in Deutschland weiter anzubieten. Uber kündigte an, gegen das Verbot vorgehen zu wollen: "Wir werden die Entscheidung angreifen und unsere Rechte mit Nachdruck und aufs Äußerste verteidigen", teilte das Unternehmen mit. Fortschritt und Innovation dürften nicht ausgebremst werden.
Wie wollen wir in Zukunft leben?
Doch jenseits rechtlicher Fragen geht es vor allem darum, wie wir in Zukunft leben wollen: In Zeiten der ShareCommunity müssen sich Begegnungen lohnen - und zwar finanziell. Nachbarschaftsdienste wie Blumengießen und Katzenfüttern werden zur handelbaren Ware, während die Anhänger der Share Economy so tun, als gehe es um echte Beziehungen und Kontakte. So verkehrt die Share Economy das ursprünglich altruistische Motive des Teilens in sein genaues Gegenteil: Denn je mehr für Geld zu haben ist, desto schwerer fällt Besitz - oder sein Fehlen - ins Gewicht. Wer nichts zu teilen oder zu kaufen hat, bleibt ausgeschlossen von der schönen neuen Welt des Co-Konsums.
Welche politischen Antworten müsste es geben, wenn Gesetze aus einer Zeit stammen, in der es noch kein Internet gab? Gibt es überhaupt eine demokratische Kontrolle, und wie müsste diese aussehen, wenn Arbeits- oder Personenschutz, Versicherungs- oder Steuerpflicht von den Vermittlungsplattformen der Share Economy ganz beiläufig ausgehebelt werden? Wird durch Internet-Portale wie Uber und Airbnb also tatsächlich mehr Gemeinschaft erreicht oder nicht eher unter dem Namen des Altruismus viel Geld verdient? Verkaufen Uber, Airbnb und Co uns etwas, was es vorher umsonst gab, nämlich Freundschaftsdienste, als Handelsware? Und wollen wir eine Share Economy, die alle Aspekte menschlicher Beziehungen zur verwertbaren Ressource macht?