Familiengerichte: Jedes zweite Gutachten mangelhaft
Nur im Einzelfall Fehler?
Obwohl die Studie mit Unterstützung des Justizministeriums von Nordrhein-Westfalenund dem Oberlandesgericht Hamm entstanden ist, wollten sich beide über acht Monate zu den Ergebnissen der Studie nicht äußern. Erst in diesem Monat gibt es doch ein Interview: Nur "im Einzelfall" hätten Richter Fehler gemacht, sagt Christian Nubbemeyer vom OLG Hamm. Grundsätzlich liege der Fehler nicht bei den Richtern, sondern bei der Qualifikation der Gutachter. Die Studie gebe auch keinen Aufschluss darüber, ob die Mängel der Sachverständigen sich kausal auf die gerichtliche Entscheidung ausgewirkt hätten, also "nachher eine mangelhafte gerichtliche Entscheidung herauskommt", sagt Nubbemeyer. Das ist richtig. Doch richtig ist auch: Der Richter sucht sich den Gutachter selbst aus.
Anders die Reaktion von Joachim Lüblinghoff vom Deutschen Richterbund: "Wir waren nicht nur überrascht, wir waren schockiert von den Ergebnissen der Studie". Der Experte für Familienrecht im Präsidium des Richterbundes räumt ein, dass eine Vielzahl von Fehlern in den Gutachten unbemerkt blieben. "Die überwiegende Anzahl“ der Gutachten sei vor Gericht "nicht verwertbar" und dürfte einer Entscheidung "nicht zu Grunde gelegt werden". Nach Lektüre der Studie will auch der Richterbund Fehlentscheidungen von Richtern an Familiengerichten nicht ausschließen. Nun müssen sich die Richter "selbstkritisch hinterfragen", sagt Lüblinghoff, "warum wir es nicht gemerkt haben".
Keine verbindlichen Mindeststandards
Die Studie untersuchte den bundesweit größten Gerichtsbezirk in NRW, doch handelt es sich nicht um ein regionales Problem. In ganz Deutschland gibt es keine verbindlichen Mindeststandards für die Erstellung von Gutachten. Zudem fehlen Regelungen, wer überhaupt ein familienrechtspsychologisches Gutachten verfassen darf. Da der Beruf des Gutachters nicht geschützt ist, darf sich jeder Gutachter nennen. Und auf Grund der richterlichen Unabhängigkeit kann der Richter jeden zum Gutachter am Gericht ernennen.
Panorama berichtete bereits im vergangenen Jahr über einen Vater, der am Amtsgericht Dortmund um das Sorgerecht für seine Kinder kämpfte. Das Amtsgericht Dortmund wurde nicht in der Studie untersucht. Ein Gutachter sollte für das Gericht beurteilen, ob der Vater erziehungsfähig ist. Den Auftrag erhielt aber kein Fachpsychologe, sondern eine Heilpraktikerin. Der Vater verlor und ging in die zweite Instanz an das OLG Hamm. Wieder durfte die Heilpraktikerin ein Gutachten schreiben und wieder verlor der Vater.
Dass die Qualität von Gutachten im familiengerichtlichen Bereich verbessert werden muss, hat offenbar auch das Bundesjustizministerium verstanden. Anfang Juli lud es 13 Berufsverbände nach Berlin ein, um die "in den Medien vorgebrachte Kritik" wie die von Panorama zu besprechen. Es herrschte "Einigkeit", so steht es in einem internen Protokoll des Ministeriums, dass es "Mängel" bei den Gutachten gibt, diesbezüglich also ein "Missstand" vorliegt. Nur wie dieser Missstand nun abgestellt werden soll, ist weiterhin unklar.
Nach einer neuen Gerichtsentscheidung dürfen Constanze Kikels und Sohn Anton nun wieder gemeinsam zu Hause sein. Von allein darauf gekommen ist der Richter aber nicht. Er hatte für diese Entscheidung tatsächlich noch einen dritten Gutachter einbestellt.
- Teil 1: Familiengerichte: Jedes zweite Gutachten mangelhaft
- Teil 2: Nur im Einzelfall Fehler?