Familiengerichte: Jedes zweite Gutachten mangelhaft
169.800 Ehen wurden im vergangenen Jahr in Deutschland geschieden. In diesem Jahr werden es ähnlich viele sein. Nicht selten beginnt dann der Kampf ums Kind vor einem Familiengericht. Richter lassen sich meist bei ihrer Entscheidung von Gutachtern helfen. Doch die Gutachten sind vielfach mangelhaft, wie eine Studie jetzt belegt - mit verheerenden Auswirkungen für die Familien.
Offensichtlich mangelhaftes Gutachten
Constanze K. fällt aus allen Wolken, als ein Gerichtsgutachter seine Beurteilung vorlegt. Im Sorgerechtsstreit um ihren Sohn Anton hatte der Richter vom Familiengericht mit Hilfe eines Gutachtens klären lassen, ob die Mutter fähig sei, die Erziehung ihres Sohnes zu übernehmen. Und das Gutachten besagt: Constanze K. sei nicht erziehungsfähig, sondern psychisch krank und könnte sogar ihren Sohn umbringen. Unter welcher Krankheit die Mutter leiden soll, und wie der Gutachter darauf kommt, steht nicht im Gutachten. Trotz offensichtlicher Mängel folgt der Richter dem Gutachten. Die Folge: Sohn Anton darf nicht mehr bei seiner Mutter leben und wird beim Vater untergebracht.
Wie die Mutter ihren Sohn nun besuchen darf, soll ein zweites Gutachten entscheiden. Erst das erlöst die Mutter von dem Alptraum. Im zweiten Gutachten heißt es plötzlich: Es lägen "keine begründeten Anhaltspunkte" vor, dass die Mutter sich oder ihren Sohn töten könnte. Vielmehr weise das erste Gutachten "erhebliche Mängel" auf. Das glaubt nun auch der Richter. Sohn Anton darf vorerst wieder nach Hause. Warum das Gericht dem offensichtlich mangelhaften Gutachten folgte und Mutter und Sohn wochenlang trennte, wollte es gegenüber Panorama nicht erklären. Auch der vom Gericht eingesetzte erste Gutachter wollte sich nicht äußern.
Über 50 Prozent weisen Mängel auf
Wie mangelhaft Gutachten an Familiengerichten oftmals sind, ist jetzt erstmals systematisch nachgewiesen worden. In einer Studie der FernUniversität Hagen wurden alle Gutachten von vier exemplarisch ausgewählten Gerichten untersucht. Diese Vollerhebung über zwei Jahre zeigt erstmals das ganze Ausmaß: Über 50 Prozent der untersuchten Gutachten weisen gravierende Mängel auf. "Das ist natürlich eine völlig intolerierbare Zahl von Gutachten", sagt Prof. Dr. Stefan Stürmer vom Institut für Psychologie. Denn so ist es "ein Lotteriespiel, ob man ein gutes Gutachten bekommt oder ein schlechtes. Und das ist für einen rechtsstaatlichen Prozess natürlich nicht hinnehmbar."
Die Auswirkungen für die Betroffenen können katastrophal sein. In Familiensachen sind Gutachten die wichtigste Grundlage für die richterliche Entscheidung. Wenn ein Gutachten wegen Qualitätsmängeln zu einem falschen Ergebnis kommt, könnte auch ein Richter eine falsche Entscheidung treffen.
- Teil 1: Familiengerichte: Jedes zweite Gutachten mangelhaft
- Teil 2: Nur im Einzelfall Fehler?