Am Tatort im Stadtteil Kesselstadt in Hanau wurden Blumen abgelegt und Kerzen aufgestellt. © dpa-Bildfunk Foto: Andreas Arnold

Vorkämpfer der Vernichtung

Stand: 21.02.2020 13:33 Uhr

Die Schablone des geistig verwirrten Amokschützen passt nicht. Der Mörder von Hanau hat sich selbst klar in die Tradition des Nationalsozialismus gestellt, meint Stefan Buchen in seiner Analyse.

von Stefan Buchen

"Am 30. Januar sind in Deutschland die Würfel gefallen. Und ich glaube nicht, dass die Gegner, die damals noch gelacht haben, heute auch noch lachen." Das sagte, nein schrie, Adolf Hitler im Sommer 1933 vor einer begeisterten Menge zehntausender Deutscher. Sein Gesichtsausdruck war dabei besonders verbissen. Kaum etwas versetzte ihn und Joseph Goebbels mehr in aufrichtige Rage als der Gedanke, jemand könne sich über sie lustig gemacht haben. In Wahrheit taten das nur ganz wenige Deutsche.

Hitler und Goebbels hatten es geschafft, den Nationalsozialismus zu einer Sache des tierischen Ernstes zu machen. Dies war eine wichtige psychologische Vorbedingung für ihren politischen Aufstieg und die Festigung der eroberten Macht. Anders formuliert: ohne die Ausschaltung des Lachens und des Humors als Formen ethischer Kontrolle hätte der Nationalsozialismus gar nicht an die Macht kommen können.

Vorbote einer neuen Machteroberung

Polizeiabsperrung in Hanau. © Boris Rössler/dpa
Tobias R. tötete in Hanau zehn Menschen und anschließend sich selbst.

Am 20. Februar 2020 war im Internet ein Video von Tobias R. abrufbar. In der Nacht zuvor hatte der 43-Jährige studierte Betriebswirt mit Schwerpunkt auf International Management in Hanau neun Menschen nichtdeutscher Abstammung erschossen und dann seine Mutter und sich selbst umgebracht. In der Videobotschaft, die in sachlich-überlegtem Ton gehalten ist, sagt Tobias R.: "Es gibt ein berühmtes Zitat, das möchte ich hier etwas umwandeln: 'Ich glaube nicht, dass die Leute, die damals gelacht haben, heute auch noch lachen.' Ich möchte das abändern, indem ich sage: Ich glaube nicht, dass Leute, die heute lachen, in Zukunft noch lachen werden."

Auf wen sich der Mörder von Hanau beruft, ist eindeutig. Ebenso unzweifelhaft lässt sich die geschichtliche Stellung erkennen, die der Attentäter sich selbst zuweist. Er sieht sich als Wegbereiter, als Vorbote einer neuen Machteroberung. Auf diesem Weg müssen zunächst der Bürgerkrieg entfesselt und die Demokratie sturmreif geschossen werden. Der Täter kann weder ausschließen noch verhindern, dass manche Leute jetzt über ihn und seine Äußerungen lachen. Aber in Zukunft werde allen das Lachen vergehen.

Als "wirr" und "grotesk" haben Medien die Äußerungen des zehnfachen Mörders bezeichnet. In seinen Botschaften spricht R. auch von seiner Überwachung durch einen mächtigen Geheimdienst, davon, dass fremde Mächte sich von fern in seine Gedankengänge "einklinken" und von einer Doktorandin mit kurzen blonden Haaren und großer Oberweite. Als "offenbar psychisch krank" und "Einzeltäter" wurde er eingestuft.

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Aber die Gleichgesinnten, wovon es in Deutschland eine wachsende Zahl zu geben scheint, haben seine Botschaft genau verstanden. Da darf man sich ganz sicher sein. Es ist eine nationalsozialistische Botschaft. In dieser Vorstellungswelt steht Tobias R. jetzt auf der Ehrenliste der gefallenen Vorkämpfer.

In seinem schriftlichen Manifest sagt der Mörder, dass "die Existenz gewisser Volksgruppen ein grundsätzlicher Fehler ist." Er meint damit einen Fehler der Evolution, den man aktiv korrigieren müsse. "Eine komplette Ausweisung dieser Menschen" löse das Problem nicht. Das würde das Problem nur auf künftige Generationen "verlagern".

Feindbild Islam

Tobias R. beklagt, dass wir "Volksgruppen, Rassen und Kulturen in unserer Mitte haben, die in jeglicher Hinsicht destruktiv sind". Er warnt vor der "Degeneration" des deutschen Volkes und spricht es aus: "eliminieren" müsse man "den inneren Feind". An einer Stelle kennzeichnet der Attentäter diesen Feind als den "Islam". Nicht jeder, der einen deutschen Pass besitze, sei "reinrassig und wertvoll".

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"Ich kam zur ersten Schlussfolgerung, dass, wenn ich auf diese Welt komme, diese Menschen gar nicht da sein dürften", so der Attentäter. Sie seien "instinktiv abzulehnen". Letztlich müsse die Welt der Weißen, der Deutschen, "mein eigenes Volk..., aus dem das Beste und Schönste entsteht und herauswächst", den Krieg auch in die Länder der Lebensunwürdigen tragen, um dort einen Vernichtungsfeldzug zu führen. Wörtlich heißt es in der Passage: "Daher sagte ich, dass folgende Völker komplett vernichtet werden müssen: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Israel, Syrien, Jordanien, Libanon, die komplette saudische Halbinsel, die Türkei, Irak, Iran, Kasachstan, Turkmekistan, Usbekistan, Indien, Pakistan, Afghanistan, Bangladesch, Vietnam, Laos, Kambodscha bis hin zu den Philippinen."

Bezeichnenderweise fehlt "Israel" in dieser Aufzählung nicht. Dabei handele es sich um "die erste Grob-Säuberung", so der Mörder. Die "Fein-Säuberung" komme danach und betreffe "die restlichen afrikanischen Staaten, Süd- und Mittelamerika, die Karibik." Im Bündnis sieht Tobias R. sich und die Deutschen mit dem Amerika von Donald Trump.

Mit dem bloßen Vordenken der Vernichtung wollte der 43-Jährige sich nicht begnügen. Überlebende und Augenzeugen des Blutbades von Hanau berichten, der Mörder habe seinen Opfern kaltblütig in den Kopf geschossen. Er hat es vorgemacht, sachlich und kalt. Nach Durchsicht seiner Manifeste muss man annehmen, dass er sich dabei als Vollstrecker des Volkswillens gefühlt hat. Der von Tobias R. geäußerte Zweifel, ob das deutsche Volk am Ende wirklich zu einer "Siegerspezies" gehöre, schwang auch bei den Nazis immer schon mit.

Propaganda der Tat

Wenn der Generalbundesanwalt von "der Tat" spricht, meint er es kriminalistisch. Vergessen sollte man jedoch nicht, dass die Gesinnungsgenossen des Mörders den Begriff der "Tat" mit einer ganz anderen Bedeutung aufladen. Für sie ist es die Propaganda der Tat, die Tat, die Politik macht, indem sie Nachahmer sucht und die Gesellschaft jenem Zustand ein Stück näher bringt, den diese hasserfüllten Antidemokraten so heiß ersehnen.

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Es ist fatal, hier nur das "Wirre", "Groteske", "Kranke" sehen zu wollen. Zurecht rufen Politiker unermüdlich dazu auf, aus der Vergangenheit zu lernen und die Lehren zu beherzigen. Zurecht werden zentrale Wegmarken der Geschichte zum Anlass dafür genommen, wie die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz vor 75 Jahren.

Gleichzeitig muss man zur Kenntnis nehmen: Eine offenbar rasch wachsende Minderheit lehnt diesen menschlichen Konsens des moralischen Erschüttertseins und der Besinnung ab. Diese Leute "lernen" die Vergangenheit ganz anders. Sie glauben, damals sei vieles richtig und vorbildlich gelaufen. "Wahrheit macht frei", sagt der Mörder von Hanau zum Abschluss seiner Videobotschaft in dreist unmissverständlicher Anlehnung an jenen zynischen Schriftzug, den die Deutschen über dem Eingang nach Auschwitz anbrachten.

Der Text erschien zuerst auf Qantara.de - Dialog mit der islamischen Welt.

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Rechtsextremismus