Schöne, neue Arbeitswelt: Wollen wir so leben?
Wer will schon den typischen 9-to-5-Job machen? Jeden Tag geht man an den gleichen Ort, zur gleichen Uhrzeit, um die gleiche Arbeit zu machen. Und das von Montag bis Freitag - das ganze eintönige Leben lang. Alle reden von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung - was soll das damit zu tun haben?
Heute kann doch jeder über das Internet arbeiten. Verschiedene Online-Plattformen vermitteln Arbeitsmöglichkeiten, von Buchhaltung bis Hemden zur Reinigung bringen. Jeder kann immer arbeiten - und das, für wen er will, was er will und wie viel er will. Es ermöglicht die totale Flexibilität, die totale Freiheit. Statt einer Festanstellung arbeitet man nun als Mikrounternehmer und verdient mit vielen kleinen Jobs pro Tag sein Einkommen - und nicht mehr mit einer einzigen Beschäftigung.
Wozu noch zur Arbeit gehen, wenn alles Freizeit sein kann?
So ist Arbeit dann auch viel abwechslungsreicher und das Beste daran ist: Man muss nicht immer am gleichen Ort bleiben. Man kann auch Jobs über das Internet erledigen und dabei am Strand sitzen - mit einem Cocktail in der Hand und dem Laptop auf dem Schoß. Arbeit ist dann auch gar keine Arbeit mehr, sondern Freizeit und Freizeit wird zu Arbeit. So braucht man auch keine Pausen mehr.
Das alles ist nicht nur Träumerei, sondern diese Vision von Arbeit ist heute schon Realität. Unterschiedliche Plattformen im Internet organisieren diese neue Arbeitswelt. Eine davon ist "Taskrabbit" aus San Francisco. Im Interview mit Panorama erklärt die Vizechefin Jamie Viggiano: "Wir revolutionieren, wie Menschen mit Arbeit umgehen." Auch sie ist fest davon überzeugt, dass es eine Trennung von Arbeit und Privatleben nicht mehr gebe. Und für sie hat das nur Vorteile: "Wir bieten allen, diese Flexibilität, damit sie die Arbeit machen können, für die sie am meisten brennen." Flexibilität bedeutet für sie also, dass man das tun kann, wozu man Lust hat.
Und wenn die Freizeit am Ende alles Arbeit ist?
Diese Arbeitswelt ist faszinierend, aber vor allem ist sie neu. Konkret bedeutet das: Viele Fragen sind noch offen. Wenn man nun also am Strand in einem fernen Land in der Sonne liegt, mit dem Cocktail in der Hand, und für einen amerikanischen Auftraggeber in seiner Quasi-Freizeit die Buchhaltung macht, was ist, wenn man krank wird? Bekommt man dann Krankengeld wie sonst in Deutschland? Und Mindestlohn? Oder Urlaubsgeld?
Und wer sagt überhaupt, dass man den Buchhaltungsjob bekommt? Vielleicht liegt man zwar wartend am Strand, den Job kriegt aber jemand ganz anderes. Denn vielleicht ist ein Mensch in Indien, Pakistan oder China mit viel weniger Geld zufrieden als man selbst?
Die neue Arbeitswelt macht den Menschen zum digitalen Tagelöhner. Es gibt zwar mehr Arbeitsmöglichkeiten, es gibt aber auch mehr Konkurrenz - und zwar mit den Arbeitern der gesamten Welt. Und die Arbeitnehmerrechte? Die scheinen an vielen nationalen Grenzen zu enden. Die totale Flexibilität, die totale Freizeit - sie ist vor allem ein System des globalen Outsourcings.
Wozu aufgeben, wofür Generationen gekämpft haben?
Es stimmt: Die Worte "Flexibilität", "freie Zeiteinteilung" oder "überall arbeiten können" klingen einfach attraktiver als "Arbeitszeitordnung", "Rentenversicherung" oder "Arbeitsschutz". Aber können wir das wollen, dass vor unseren Augen all die Rechte einfach so verschwinden, für die Generationen von Menschen gekämpft haben - und das mit gutem Grund? Denn es ist doch gut, dass ein arbeitender Mensch auch mal krank sein darf, ohne um seine Existenz bangen zu müssen. Oder es ist doch sinnvoll, dass man zur Erholung Arbeitspausen, Freizeit und Urlaub hat. Und es ist wichtig, dass keiner der Willkür eines Arbeitgebers ausgesetzt wird.
Es gibt also einen Grund, warum es all diese Rechte heute gibt. Erst sie erschaffen den Raum außerhalb der Arbeitszeit für Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Und so kann man dann wirklich am Strand liegen, mit dem Cocktail in der Hand, ohne Laptop, einfach so.