Patient zündet sich an: Kritik am Berliner Maßregelvollzug
Die Gewaltserie im Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzugs reißt nicht ab. Es kam erneut zu einem tragischen Vorfall.
Erneut ist es im Berliner Maßregelvollzug zu einem dramatischen Vorfall gekommen: Nach Panorama-Informationen hat sich im Februar 2021 ein Patient an den Gittern seines Zimmers erhängt und selbst angezündet, die Tür hatte er verbarrikadiert. Er wird wegen schwerster Verbrennungen in einer Klinik behandelt.
Der psychisch kranke Mann war von einem Gericht wegen einer Straftat in den Maßregelvollzug eingewiesen worden, nicht das erste Mal. Mitarbeiter des Maßregelvollzugs berichten, dass der Patient zwischen verschiedenen Stationen mehrmals verlegt werden musste. Er sei schließlich auf einer sehr großen Station untergebracht worden, auf der Pfleger und Ärzte derzeit am Limit arbeiten würden. Weil er aggressiv und unberechenbar war, wurde er offenbar in einem Einzelzimmer untergebracht und eingeschlossen, um sich zu beruhigen. Weshalb er trotz seines instabilen Zustandes ein Feuerzeug hatte, ist nicht geklärt.
Vorfall wurde nicht öffentlich gemacht
Gegenüber Panorama kritisieren Mitarbeiter des Maßregelvollzugs, dass der Vorfall nicht öffentlich gemacht wurde. Er sei als "nicht presserelevant" eingestuft worden. Sie schildern außerdem, dass man wegen Platzmangels oft nicht mehr wisse, wo man neu eingewiesene Straftäter noch unterbringen solle. Wir fragen die Senatsverwaltung für Gesundheit, verantwortlich für den Maßregelvollzug, nach dem Vorfall. Die knappe Antwort: Man wolle sich zu "einzelnen Ereignissen" in der Einrichtung "aus datenschutzrechtlichen Gründen" nicht äußern.
Panorama hatte im Dezember 2020 über die dauerhafte Überbelegung und dramatische Personalsituation im Maßregelvollzug Berlin berichtet. Mehrere ärztliche Leiter hatten wiederholt Brandbriefe an die Gesundheitssenatorin und den Regierenden Bürgermeister geschrieben.
Schlechte Bedingungen für Rehabilitation
Im Maßregelvollzug sind Täter untergebracht, die aufgrund von schweren psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen Straftaten begangen haben, bei denen sie vermindert oder nicht schuldfähig waren. Sie sollen hinter Gittern therapiert werden, damit von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht und manche von ihnen wieder in die Gesellschaft zurückkehren können.
Doch offenbar hat sich die Lage seit der Panorama-Berichterstattung weiter verschlechtert. Das offenbart ein internes Schreiben eines Pflegers, das Panorama vorliegt. "Die Arbeitsbedingungen spitzen sich immer weiter zu", heißt es darin. Auch die Gewalt nehme zu. Weiter schreibt die Pflegekraft: "Unsere Ärzt:innen, die wenigen, die noch im Haus sind, kündigen nacheinander, dadurch haben wir eine mangelnde ärztliche Betreuung." Es fänden nur ungenügend (Therapie-)Gespräche statt. So könnten die Pflegekräfte die "Gefährlichkeit nicht einschätzen bei Patient:innen, die gelockert werden müssten".
Personalmangel spitzt sich zu
"Gelockert werden müssten" - das bedeutet, dass Ärzte und ein Gericht entschieden haben, dass der Straftäter schrittweise wieder in die Freiheit entlassen werden muss. Doch ohne ausreichende Einschätzung von Ärzten stellt dies für alle Seiten ein Risiko dar. Dem Insassen, der nicht gelockert wird, droht womöglich ein Rückfall in die Aggression. Wird er trotz mangelhafter Betreuung zu früh nach draußen gelassen, birgt das die Gefahr von Wiederholungstaten.
In dem Panorama vorliegenden Schreiben beklagt der Mitarbeiter, dass auch immer mehr Pflegekräfte kündigten. Trotzdem sei eine neue Station eröffnet worden, während das Personal weiter schwindet. Auf Anfrage bestätigt die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci, dass seit Dezember 2020 mittlerweile "6 Ärzt*innen, 7 Pflegekräfte, 6 psychologische Mitarbeiter*innen" ausgeschieden seien. Man erkenne aber keinen Zustand, der "zu einer erheblichen oder gar starken Einschränkung der therapeutischen Angebote" führe. Eine "gute Gefährlichkeitseinschätzung" sei weiterhin gewährleistet.
Sicherheitsmängel kommen im Prozess zur Sprache
Astrid N. hält die Zustände im Berliner Maßregelvollzug dagegen für untragbar. Die Stationsärztin überlebte nur knapp den Angriff eines Insassen im vergangenen Jahr. Der 64-Jährige hatte sie mit einem Messer töten wollen. Es ist einer von vielen Gewaltvorfällen in der Einrichtung.
Vor dem Berliner Landgericht fand nun der Prozess gegen ihren Angreifer statt. Dabei kam auch die mangelhafte Sicherheitslage im größten Maßregelvollzug Deutschlands zur Sprache. In der Verhandlung stellt die Richterin die Frage, wie die Tat denn passieren konnte. "Es war wieder so ein Tag, wo die Personalsituation sehr schlecht war", antwortet die Ärztin mit ruhiger Stimme. Es gebe auch keine Wachleute auf der Station und keine Videoüberwachung auf den Fluren. Astrid N. kann nicht verstehen, warum die Mitarbeiter weiterhin so einem hohen Risiko ausgesetzt und im Stich gelassen werden.
Ergänzung vom 23. März: Das Berliner Landgericht ordnete bei dem 64-Jährigen wegen versuchten Totschlags eine weitere Unterbringung im Maßregelvollzug an. Dies geschah, weil er aufgrund seiner psychischen Erkrankung als schuldunfähig gilt.
Ergänzung vom 09. April: Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.
Anmerkung der Redaktion: Panorama hatte im Dezember über den Fall Astrid N. berichtet. Weil die Ärztin bis zum Gerichtsprozess anonym bleiben wollte, war ihr Name im Bericht "Julia Heise".