Personalmangel: Sicherheit in Gefängnissen gefährdet?
Eigentlich habe sie den Beruf gewählt, weil sie die Inhaftierten auf ein Leben nach dem Gefängnis vorbereiten wollte. Doch genau das sei nicht mehr möglich, erzählt uns eine JVA-Beamtin, die unerkannt bleiben will. Denn Resozialisierung existiere nur auf dem Papier, nicht im Vollzug. "Der Druck auf meine Kollegen und mich steigt extrem an. Ich kann zu Hause kaum noch abschalten, immer häufiger habe ich Schlafstörungen." Und ein weiterer JVA-Beamter berichtet uns: "Wir können unseren eigentlichen Aufgaben gar nicht mehr nachkommen. Alles bleibt auf der Strecke, auch die Gefangenen - weil wir permanent unterbesetzt sind."
Düsteres Bild von der Welt hinter den Gefängnismauern
Die Beamten sind bereit, anonym mit uns über die Zustände im Gefängnis zu sprechen. Eigentlich dürfen sie das nicht. Denn sie riskieren damit ihren Job. Doch die Not sei inzwischen so groß, dass sie sich trotzdem dazu entschlossen haben. Sie zeichnen ein düsteres Bild von der Welt hinter den Gefängnismauern. Denn der Personalmangel führt offenbar inzwischen dazu, dass Beamte sich gezwungen sehen, gegen interne Dienst- und Sicherheitsvorschriften zu verstoßen. Aus Sicherheitsgründen sind diese Anweisungen nicht öffentlich - während unserer Recherche war es uns jedoch möglich, sie einzusehen.
Zu wenig Personal vor Ort
Ein zentraler Bestandteil dieser Vorschriften: die Nachtdienstverordnung. Wenn nachts eine Gefängniszelle geöffnet werden muss, soll das laut Vorschrift kein Beamter alleine machen - eine Schutzmaßnahme. Doch gegen diese wichtige Vorschrift werde regelmäßig verstoßen, so erzählt es der Beamte. Eine andere Vorschrift besagt, dass einmal in der Woche jede Zelle auf verbotene Gegenstände untersucht werden muss. Eigentlich sei sie für Haftraumkontrollen nicht zuständig, berichtet die Beamtin. Ihr Arbeitsplatz sei hinter dem Schreibtisch. Weil aber zu wenig Personal vor Ort sei, müsse sie die Haftraumkontrolle immer häufiger übernehmen - und anders als vorgesehen alleine. Wie gefährlich das sein kann, erzählt sie uns: "Ich ging zur Zelle, bat den Gefangenen, den Haftraum zu verlassen. Der ist innerhalb von Sekunden von 0 auf 180. Er schreit mich an, hebt seine Arme, ballt seine Hände zu Fäusten. So schnell, dass ich gar nicht weiß, wie mir geschieht. Es war eine sehr bedrohliche Situation. Es war kurz davor, zu eskalieren."
"Sicherheit stellenweise massiv gefährdet"
Der Vorsitzender der Gewerkschaft für JVA-Beamte, René Müller, macht deutlich: Was uns geschildert wurde, ist keine Ausnahme. "Die Gefangenen müssen innerhalb der JVA sicher sein. Und erst recht unsere Bediensteten, die tagtäglich dort ihren Dienst verrichten. Und die Sicherheit ist stellenweise massiv gefährdet." Ist die Personalnot so schlimm, dass es nicht möglich ist, die Sicherheitsregeln einzuhalten? Die verantwortlichen Ministerien in Norddeutschland streiten diesen Vorwurf ab. Doch aktuelle Zahlen zeigen, dass es ein massives Problem gibt.
Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Land, in dem die Überstunden - 18.000 pro Jahr - sinken, sieben Stellen sind unbesetzt. Schleswig-Holstein kommt auf über 24.000 Überstunden - 1.000 mehr als vor zwei Jahren, elf Stellen sind unbesetzt. In Niedersachsen haben sich die Überstunden in den letzten vier Jahren sogar mehr als verdoppelt. 202 Stellen sind unbesetzt. Hamburg ist mit über 65.000 Überstunden Spitzenreiter, das sind über 12.000 Stunden mehr als vor vier Jahren. Zurzeit sind dort 68 Stellen unbesetzt. Der Hamburger Justizsenator Till Steffen weiß um den Personalmangel in seiner Stadt. Er räumt ein, dass das zu Problemen führt. "Wenn weniger Bedienstete auf einer Station sind, als idealerweise dort sein sollten, führt das natürlich zu Einschränkungen. Das kann bedeuten, wenn ein Gefangener einen Notfall hat, dass alle anderen unter Verschluss genommen werden müssen. Das ist natürlich nicht gut."
"Noch einiges zu tun"
Justizsenator Steffen setzt auf Ausbildung. Man baue das Personal inzwischen stark auf. "Wir haben ein Personalbemessungssystem, in dem wir sagen, wie viel Personal wir brauchen, um guten Vollzug zu machen. Da wir noch einiges zu tun, und deswegen bilden wir sehr intensiv aus." Auch Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern wollen die Probleme mit mehr Ausbildung in den Griff kriegen. Doch ob das reicht? Die Gewerkschaft der JVA-Beamten meint: Der Strafvollzug an sich sei noch zu unattraktiv - Vergütung und Aufstiegschancen seien bei anderen Behörden schlicht besser. Dass sich etwas verbessern wird, daran glaubt die JVA-Beamtin, die sich uns offenbart hat, nicht mehr. Sie hat sich wegbeworben und hofft auf einen neuen Job, zum Beispiel bei der Polizei. Hauptsache raus aus dem Gefängnis.