Nach offenem Brief: Bildungsministerium beauftragte Listen für Fördermittelentzug
Panorama liegen in einer gemeinsamen Recherche mit "Frag den Staat" weitere Mailverläufe aus dem Bildungsministerium (BMBF) vor. Demnach hat das von Bettina Stark-Watzinger (FDP) geführte BMBF offenbar Namenslisten mit Hochschullehrenden erstellen lassen, die nicht auf der politischen Linie des Ministeriums sind.*
Nach einer Panorama-Recherche, wonach das Bildungsministerium prüfen lassen wollte, ob man kritischen Hochschullehrenden Fördermittel entziehen könne, liegen Panorama in einer gemeinsamen Recherche mit "Frag den Staat" nun weitere Mailverläufe vor. Aus ihnen geht hervor, dass das von der FDP geführte Ministerium den Auftrag erteilt hat, die Unterzeichner eines offenen Briefes daraufhin zu überprüfen, ob diese Zuwendungsempfänger oder Gutachter des BMBF sind. Die entsprechenden Namen sollten in der Liste der Unterzeichner markiert werden. Hintergrund zur Prüfung war ein offener Brief, bei dem sich Hochschullehrende kritisch gegen die polizeiliche Räumung einer Besetzung von Teilen der Berliner FU durch pro-palästinensische Studierende geäußert haben.
Bearbeiter bekundeten "großes Unwohlsein"
Bei den Bearbeitern des Auftrags sorgte diese Überprüfung wohl für Unbehagen. So heißt es in den Mails, die Panorama und "Frag den Staat" vorliegen: "Ich möchte Ihnen nicht verhehlen, dass es unter den Kolleginnen und Kollegen großes Unwohlsein ausgelöst hat, Namen in Listen zu markieren, (...) aus meiner Sicht ist dieses Statement absolut durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt." Weiter heißt es: "Sollten Sie die Liste dennoch übermittelt bekommen haben wollen, dann mache ich das selbstredend." Auf die geäußerten Bedenken hin antwortete das Ministerium: "(...) guten Morgen. Ich finde diese Haltung sehr schwierig, um es etwas zurückhaltend zu formulieren. Ich bitte Sie, unserem Wunsch zu folgen. (...)"
Zur ursprünglichen Anweisung der Prüfung heißt es in dem Mailverkehr: "Wäre eine Entziehung einer etwaigen BMBF-Förderung möglich? Letztlich wäre so etwas natürlich eine politische Entscheidung, die sehr gut abgewogen sein müsste. Als Grundlage hierfür bittet die Leitung zunächst um eine Einschätzung, ob dies zumindest theoretisch möglich wäre." Inwieweit die Bildungsministerin Stark-Watzinger in diesen Prozess eingebunden war, geht aus den Mails nicht hervor. Auf eine aktuelle Panorama-Anfrage zum genauen Vorgang im BMBF und der Anfertigung von Namenslisten kritischer Hochschullehrender hat das Ministerium bis zum Ende der Frist nicht geantwortet.
Möglicherweise "erheblicher Eingriff" in Wissenschaftsfreiheit
Clemens Arzt, pensionierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Berlin, sieht in dem Vorgang den offenkundigen Wunsch des BMBF, förderrechtliche Schritte einzuleiten. "Wäre dies so geschehen, läge ein erheblicher Eingriff in die vom Grundgesetz gewährleistete Wissenschaftsfreiheit vor. Aber auch so wissen nun alle Forschenden, dass bei aus Sicht des Ministeriums unliebsamen Meinungsäußerungen eine Streichung von Fördergeldern, mindestens aber eine Beschränkung oder Verweigerung neuer Drittmittel für die Forschungsförderung drohen kann," so Arzt.
Nachdem Panorama die Recherche zur förderrechtlichen Prüfung kritischer Hochschullehrenden Mitte Juni öffentlich gemacht hatte, versetzte Bildungsministerin Stark-Watzinger ihre Staatssekretärin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand. In einer Erklärung des BMBF vom 16. Juni hieß es, dass Döring den Prüfauftrag veranlasst habe. Die Bildungsministerin Stark-Watzinger habe von dem veranlassten Vorgang erst durch die Panorama-Recherche erfahren.
*Nachtrag vom 25.06.2024 15:50 Uhr:
Das BMBF hat sich nach Veröffentlichung zu einigen Formulierungen kritisch geäußert und teilt mit:
"Richtig ist: Um auf Nachfragen der Presse vorbereitet zu sein, wurde im BMBF auf Fachebene eine Übersicht der Unterzeichner des Offenen Briefes, die in einer Verbindung zum BMBF stehen, erstellt. Diese Übersicht wurde nicht der Ministerin vorgelegt und auch nicht an das Pressereferat oder Dritte übermittelt. Die Übersicht verblieb auf Fachebene und wurde erst im Zuge der nach dem Panorama-Bericht am 11. Juni im BMBF angestoßenen Aufklärung über die zuständige Fachabteilung hinaus bekannt."