Nach Kritik aus den eigenen Reihen: Bundesregierung will Chinatechnik aus dem 5-G-Netz drängen
Plötzlich ging alles schnell. Die Bundesregierung teilte am 11. Juli 2024 mit, sie habe sich mit den drei großen Mobilfunknetzbetreibern auf die Entfernung von Komponenten der chinesischen Technologieausrüster Huawei und ZTE aus den deutschen 5G-Netzen geeinigt.
Bis Ende 2026 sollen Komponenten von Huawei und ZTE aus den sogenannten Kern- und bis Ende 2029 aus den Zugangs- und Transportnetzen verschwinden. Alternativen für diese Einigung wären entweder weiterhin Nichtstun oder die eigentlich längst fälligen Anordnungen der Bundesregierung an die Unternehmen Deutsche Telekom, Vodafone und Telefonica gewesen, Bauteile der chinesischen Technologieausrüster zu entfernen.
Abgeordnete der Ampelkoalition hatten zuvor in Panorama am 4. Juli kritisiert, dass die Bundesregierung in der Sache seit Jahren keine Entscheidung getroffen hatte.
Nils Schmid (SPD) betonte, der Gesetzgeber habe bereits 2019 klar zum Ausdruck gebracht, dass in Kritischer Infrastruktur wie den Telekommunikationsnetzen "keine Komponenten von nicht vertrauenswürdigen Anbietern" eingebaut werden sollen. "Die Deutsche Telekom und die anderen Anbieter in Deutschland wissen das seit vielen Jahren." Der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz meinte, es dürfe in diesen kritischen Fragen "keine Abhängigkeiten" geben. An die Adresse des Bundeskanzlers sagte von Notz: "Da müssen eben Entscheidungen gefällt werden und Verantwortung übernommen werden."
Große politische Fragen
Hinter dem Konflikt verbergen sich große politische Fragen. Traut sich die Bundesregierung, durch den Ausschluss chinesischer Technologieunternehmen China vor den Kopf zu stoßen? Wird China das Argument akzeptieren, dass Deutschland "technologische Abhängigkeiten verringern" und seine "digitale Souveränität" behaupten möchte? Und traut sich die Bundesregierung, den Telekom-Giganten in Deutschland wirtschaftliche Einbußen um der "öffentlichen Ordnung und Sicherheit" willen abzuverlangen?
Wegen der chinesischen Beteiligung an den deutschen 5G-Netzen war hinter den Kulissen monatelang zwischen Regierungsvertretern und Mobilfunkanbietern verhandelt worden, ohne dass sich ein Ergebnis abgezeichnet hätte. Telefonica hatte nach Anfrage von Panorama auf die Möglichkeit hingewiesen, gegen einseitige Anordnungen der Bundesregierung vor Gericht zu klagen.
Jetzt hat die Bundesregierung mit jedem der drei Telekom-Unternehmen einen öffentlich-rechtlichen Vertrag unterzeichnet. Darin seien die Fristen für die Komponentenentfernung als Eckpunkte gleichlautend festgelegt, heißt es. Neben dem als besonders kritisch geltenden Kernnetz, also Rechenzentren, in denen die zu übertragenden Daten verarbeitet werden, werden ausdrücklich auch die Managementsysteme von Huawei und ZTE in den Zugangsnetzen (auch Anschlussnetze genannt) unter Verbot gestellt. Ab Ende 2029 müsse die chinesische Steuerungssoftware in diesem Netzbereich ersetzt werden, schreibt das federführende Bundesinnenministerium (BMI) in einer Erklärung an die Presse.
Auch Antennen könnten betroffen sein
In einer Mitteilung des BMI an die Bundestagsausschüsse für Inneres, Digitales und Auswärtiges, die Panorama vorliegt, steht hierzu ein interessantes Detail, das in der Presseerklärung fehlt. Das BMI deutet an, dass vom Austausch der Managementsysteme auch die Antennen der chinesischen Hersteller betroffen sein könnten. "Die Verträge dokumentieren eine deutliche Entscheidung der Bundesregierung zu den Herstellern Huawei und ZTE," schreibt das BMI an die Ausschussvorsitzenden. "Durch die Verpflichtung der Provider, sämtliche Managementkomponenten zur Steuerung und Konfiguration von 5G-Komponenten im Anschluss- und Transportnetz bis Ende 2029 auszutauschen, erfolgt eine umfassende Risikominimierung für alle Komponenten (also auch für die Antennen (Basisstationen)) in Deutschland."
Panorama hatte dokumentiert, wie die Deutsche Telekom noch im Juni 2024 Antennen von Huawei auf einen neuen Funkmast schraubte, den sie im münsterländischen Stadtlohn für ihr 5G-Netz errichten ließ. Die Steuerungssoftware und die Antennen sind bislang von den Herstellern, sowohl von den chinesischen als auch etwa vom europäischen Wettbewerber Ericsson, "im Paket" geliefert worden. Huawei und ZTE müssten also der westlichen Konkurrenz Quellcodes und Schnittstellen offenlegen, damit neue Steuerungssysteme mit den chinesischen Antennen kommunizieren können. Das erscheint nicht sehr naheliegend. Wenn es für die Schnittstellen keine Lösung gibt, müsste etwa die Telekom auch Huawei-Antennen bis 2029 entfernen, die sie zum Teil erst 2024 eingebaut hat. Ein Sprecher der Telekom betonte gegenüber Panorama, dass das Unternehmen mit der Entwicklung einer eigenen Steuerungssoftware begonnen habe. Auf die Frage, ob auch Antennen von Huawei vom Austausch betroffen sein könnten, gab der Sprecher eine ausweichende Antwort: "Es geht nicht um Hardware, sondern um Netzwerkmanagementsysteme zur Steuerung der Hardware."
Kritik von Huawei
Ein Sprecher der deutschen Niederlassung von Huawei reagierte auf die Einigung zur Zurückdrängung von Komponenten des Herstellers mit Kritik:
"Es gibt nach wie vor keinerlei nachvollziehbare Belege oder plausible Szenarien, dass Huaweis Technologie in irgendeiner Form ein Sicherheitsrisiko darstellen würde." Huawei wolle auch künftig einen Beitrag leisten, "den Aufbau der Mobilfunknetze und die Digitalisierung in Deutschland zu beschleunigen." Das klingt nach Beharrungsvermögen und deutet daraufhin, dass Huawei sich nicht einfach aus Deutschland zurückziehen wird. Der zweite chinesische Ausrüster ZTE ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Zusätzliche Kosten bei den Betreibern
Durch einen Austausch von Komponenten werden den Telekom-Giganten Kosten entstehen. Das Bundesinnenministerium erklärt auf Anfrage von Panorama: "Die Verträge sehen keine Kompensationszahlungen, Entschädigungen oder Ähnliches vor." Die Mobilfunkanbieter pflichten dem bei. Die Unternehmen würden die Kosten tragen. "Eine Kompensation ist nicht vorgesehen," wie der Telekom-Sprecher bekräftigte. Ein Telefonica-Sprecher erklärte ebenso: "Gemäß getroffener Vereinbarung sind die Kosten von den Netzbetreibern zu tragen." Vor der Einigung mit der Bundesregierung hatte Telekom-Chef Höttges angekündigt, Schadenersatzansprüche prüfen zu wollen für den Fall, dass 5G-Bauteile ausgetauscht werden müssten. Ähnlich hatte sich ein Telefonica-Sprecher geäußert. Vodafone antwortete auf Anfragen von Panorama nicht.
Kontrolle durch das BMI
Wie wird nun überprüft, ob zu den vereinbarten Fristen tatsächlich die fraglichen chinesischen Komponenten entfernt worden sein werden? Kann das BMI hier selbst tätig werden oder wird es reichen, dass die Unternehmen "Vollzug" melden? Während das Ministerium eine Antwort mit Hinweis auf "Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse" meidet, ist die Auskunft von Telekom und Telefonica auch in diesem Punkt klar. "Wir haben dem BMI entsprechende Auditrechte vertraglich zugesichert, damit die Bundesregierung die Einhaltung der vertraglichen Zusagen selbst überprüfen kann," teilt die Telekom mit. "Die Erfüllung der vertraglichen Pflichten kann durch das Bundesministerium des Inneren überprüft werden," erklärt Telefonica.
Die Fristen für den Rauswurf von Huawei und ZTE werden unterschiedlich bewertet. Während etwa der Netz- und Sicherheitsexperte der Grünen Konstantin von Notz das Vorgehen gegen die chinesischen Hersteller als zu langsam und unentschlossen bemängelt, heben andere wie das Ministerium für Digitales hervor, dass den Mobilfunknetzbetreibern nun ausreichend Zeit bleibe, den Umbau zu organisieren.
Offenkundig ist, dass Bundesregierung wie Telekom-Unternehmen das Thema abräumen wollten. Eine weitere öffentliche Debatte wegen einer ausbleibenden Entscheidung hätte beiden geschadet. Die Bundesregierung möchte Handlungsfähigkeit beweisen. Hatten ihre Minister doch, wie Panorama gezeigt hat, bereits 2019 die Telekom-Giganten auf die Risiken hingewiesen, die eine weitere Zusammenarbeit mit chinesischen Netzwerkausrüstern mit sich bringen würde. Dennoch hatten weder die letzte Merkel-Regierung noch das Kabinett Scholz sich zu einem harten Durchgreifen gegen die chinesischen Technologiefirmen durchringen können. Ein diesbezügliches Gesetz blieb halbherzig und ermöglichte vor allem Eines: zu lavieren, ohne eine Entscheidung zu treffen. Das ging nun nicht mehr. Irgendein verkündbares Ergebnis musste her. Den Telekom-Giganten wiederum scheint zu dämmern, dass wirtschaftliche Interessen - sie hatten lange gut und günstig bei den Chinesen eingekauft - sich nicht unabhängig von weltpolitischen Veränderungen durchsetzen lassen.
Der Konflikt um die chinesische Beteiligung an den 5G-Netzen zeigt Deutschland buchstäblich Grenzen auf. Die politische Bindung an den Westen und die enge wirtschaftliche Verflechtung mit China lassen sich gleichzeitig nicht störungsfrei aufrecht erhalten. Huawei ist in den USA und vielen europäischen Staaten aus den 5G-Netzen gedrängt worden. Deutschland zögerte. Einen Grund plauderte ausgerechnet Telekom-Chef Höttges bei der Jahrestagung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) im Juni 2023 aus. Sinngemäß sagte er auf dem Podium, dass, sollte Huawei in Deutschland verboten werden, deutsche Unternehmen in China Schwierigkeiten bekommen könnten, ihre Produkte zu verkaufen. Der Videomitschnitt der Podiumsdiskussion liegt Panorama vor. Das Ausmaß der deutschen Investitionen in China, von der Automobil- über die Chemiebranche bis Siemens, ist bekannt. Probleme mit diesen Engagements könnten sich schnell so zuspitzen, dass die Huawei- und ZTE-Geschichte wie ein harmloses Vorgeplänkel erscheint.
Das Wort vom "russischen Imperialismus" kommt den deutschen Politikern von Olaf Scholz abwärts seit Putins Angriff gegen die Ukraine im Februar 2022 leicht über die Lippen. Bei China, obschon ein offener Unterstützer Russlands, redet man lieber verklausuliert vom "systemischen Rivalen". Von "amerikanischem Imperialismus" zu sprechen, ist in der Bundesregierung gänzlich tabu. Derweil sind diese drei Imperialismen im Begriff, die Epoche des freien Welthandels und der überall sicheren Investitionen zu beenden. Die Bundesregierung und die deutsche Industrie haben lange gehandelt, als ginge jene gewinnbringende Epoche immer weiter und als könne sie durch nichts getrübt werden. Sie wurden überrascht. Außer der Hoffnung, dass irgendwie alles gut gehen möge, waren tragfähige Gegen- und Selbstbehauptungsstrategien lange Mangelware. Die Regelung zu 5G ist der Versuch, eine Linie zu finden. "Wir müssen unabhängiger und krisenfester werden," wie Bundesinnenministerin Faeser sagte.