Gabriel und die Autobahn
Derzeit macht das böse P-Wort die Runde: Das Wort von der Privatisierung. Und das auch noch im Zusammenhang mit den Autobahnen, jenen knapp 13.000 Kilometern Asphalt, die das Rückgrat der deutschen Verkehrsinfrastruktur bilden. Etwa 180 Milliarden Euro sind sie wert. Zusammen mit den Bundesstraßen gar über 400 Milliarden. Ein riesiger Vermögenswert, der uns allen gehört, den Steuerzahlern. Kein Wunder, dass die Aufregung groß ist, wenn plötzlich die Nachricht, der Bund wolle dieses Tafelsilber verscheuern, per "Spiegel Online"-Eilmeldung auf die Smartphones gepumpt wird. Doch die Eilmeldung enthielt so wenig Neues, wie das Dementi aus Berlin, das umgehend folgte.
Niemand hat die Absicht, eine Autobahn zu privatisieren...
Denn die Blaupause zu den Regierungsplänen liegt seit Anfang 2015 auf dem Tisch. Damals berichtete Panorama in Kooperation mit "Die Welt" exklusiv über die Pläne der sogenannten Gabriel-Kommission, einer Expertenrunde, die sich im Auftrag der Bundesregierung u. a. mit der künftigen Finanzierung der Autobahnen beschäftigte. Und die bis ins letzte Detail das ausarbeitete, was jetzt (wieder) die Gemüter erhitzt: Die Schaffung einer privatrechtlichen Bundesfernstraßengesellschaft, in die das Eigentum an Autobahnen und Bundesstraßen überführt werden soll. Diese soll sich dann um Bau und Betrieb der Autobahnen kümmern.
Tatsächlich geht es bei den Planungen nicht um eine stumpfe Vollprivatisierung. Der Deutschen hochgeliebte Autobahn komplett an Konzerne zu verscherbeln, so dämlich wäre kein Politiker, der an seinem Amt hängt. Nein, es ging und geht in den Vorschlägen der Gabriel-Kommission darum, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Einerseits mehr privates Kapital in die öffentliche Infrastruktur zu lenken, um so, andererseits, Banken und Versicherungen neue Investitionsfelder zu eröffnen. Denn wegen der andauernd niedrigen Zinsen, verdienen diese kaum noch etwas, wenn sie ihr Geld dem Staat direkt leihen. Ihnen mehr Investitionen in staatliche Infrastruktur zu ermöglichen, war daher das erklärte Ziel der von Gabriel eingesetzten Kommission. Es geht dabei um eine Privatisierung mit dem Florett, nicht mit dem Säbel. So fein, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) damals wie heute verkünden lassen kann, dass die Autobahnen "in unveräußerlichem Besitz des Bundes verbleiben". Niemand hat also die Absicht, eine Autobahn zu privatisieren? Moment, Moment. Jetzt kommt das Aber…
Knapp die Hälfte der deutschen Autobahnen könnte an Konzerne gehen
Für die neue Bundesfernstraßengesellschaft braucht es eine Grundgesetzänderung. Der kürzlich öffentlich gewordene Entwurf ("STRENG VERTRAULICH") für eine Reform des Art. 90 GG lässt aber eine Beteiligung privater Investoren von bis zu 49,9 Prozent an dieser Gesellschaft zu. Die Mehrheit verbliebe zwar beim Bund, knapp die Hälfte der deutschen Autobahnen könnte aber an Konzerne gehen. Nichts anderes hatte die Gabriel-Kommission vorgeschlagen und nichts anderes hat Wolfgang Schäuble (CDU) laut "Spiegel" im Bundestags-Haushaltsausschuss dargelegt. Doch plötzlich will Gabriel davon nichts mehr wissen. "Es wird weder eine Privatisierung von Straßen noch der Bundesfernstraßengesellschaft geben", lässt er erklären. Soso.
Private Konzerne könnten Maut kassieren
Doch auch das ist bloße Nebelkerze. Denn es geht gar nicht um das Eigentum an der Straße, sondern darum Bau und Betrieb von Teilstrecken über mehrere Jahrzehnte, meist für 30 Jahre, an private Konzerne auszulagern. Diese kassieren dann die anfallende Maut. Solche Public-Private-Partnerships (PPP) gibt es schon lange und sie werden immer mehr. Und seit es sie gibt, lassen die Rechnungshöfe kein gutes Haar an ihnen: Mit der neuen privatrechtlichen Autobahngesellschaft, die nicht der direkten parlamentarischen Kontrolle unterstehen würde, könnte PPP endgültig zum Standard werden. 300 Milliarden Euro wäre eine solche indirekte Privatisierung im Autobahnbereich schwer, rechnet die Organisation "Gemeingut in BürgerInnenhand" vor.
Laut Gutachten "eindeutig unwirtschaftlich"
Mehr noch: Panorama liegt ein Kurzgutachten des baden-württembergischen Verkehrsministeriums vor. Es geht davon aus, dass "funktionale Privatisierungen" von Teilnetzen oder gar des gesamten Autobahnnetzes nach dem PPP-Ansatz möglich wären, selbst, wenn der Bund alleiniger Eigentümer der Autobahnen bleibt. Zwar sei das "eindeutig unwirtschaftlich", aber die Frage ist ja: Für wen? Für den Steuerzahler wohl auf jeden Fall, aber für Banken und Versicherungen wäre es hochprofitabel. Und genau das wollte Sigmar Gabriel ja, als er seiner Kommission den Auftrag gab, "mit attraktiven Investitionsangeboten kapitalkräftige Versicherungen und Pensionsfonds als Investoren zu gewinnen". Das Vorhaben scheint nun von Erfolg gekrönt zu werden. Hauptsache das böse P-Wort lässt sich auch weiterhin dementieren.
Die Welt berichtete in Kooperation mit Panorama Anfang 2015 exklusiv zu den Plänen der sogenannten Gabriel-Kommission, auf denen die Autobahn-Pläne basieren.