Frei trotz Gefängnisstrafe: Milde gegenüber Iman L.
Nicht bloß die Wege des Herrn sind unergründlich. Auch die Wege der deutschen Justiz. Wenn ein Angeklagter zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt und dieses Strafmaß von der obersten Instanz bestätigt wird, darf man eigentlich davon ausgehen, dass der schuldig Gesprochene ins Gefängnis muss. Zur Bewährung kann eine solch hohe Strafe nicht ausgesetzt werden.
Aber im Fall des 37-jährigen Geschäftsmanns Iman L. ist es anders. Der Mann mit deutscher und iranischer Staatsangehörigkeit hat deutsche Flugmotoren auf dem Umweg über Dubai in den Iran geliefert. Panorama deckte den Fall im August 2010 auf. Es ging um den Verdacht des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz, weil die Ausfuhrgenehmigungen für die Motoren fehlten.
Verurteilt - aber nie im Gefängnis
Fünf Jahre später waren die Vorwürfe Gewissheit. Die Flugantriebe erwiesen sich als geeignet für die iranische Militärdrohne vom Typ "Ababil III". Um sie als harmlos erscheinen zu lassen, hatte der Händler die Motoren gegenüber dem Zoll als "Jet-Ski-Motoren" deklariert. Das stellte der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main fest und urteilte gegen Iman L.: dreieinhalb Jahre Gefängnis. Die Revision hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren in seinem Beschluss vom 23. August 2016.
Aber verbüßt der rechtskräftig Verurteilte nun auch seine Strafe? Ist er im Gefängnis? Nach Recherchen von Panorama hat Iman L. keinen einzigen Tag im Gefängnis verbracht. Wie kann das sein? Von einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des 37-Jährigen ist nichts bekannt. Während der 44 Verhandlungstage am Oberlandesgericht und während der Urteilsverkündung war er anwesend. Er wäre also "leicht greifbar" gewesen.
Wer schützt Iman L.?
Für die Urteilsvollstreckung ist die Anklagebehörde zuständig. In dieser Staatsschutzsache spielt diese Rolle die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. "Wir bemühen uns um die Vollstreckung", teilte ein Sprecher auf Anfrage von Panorama mit. Worin diese Bemühungen genau bestehen, wollte der Sprecher nicht sagen. Auch mehr als ein Jahr nach Eintreten der Rechtskraft des Urteils haben die Vollstreckungsbemühungen jedenfalls noch nicht zum Erfolg geführt. Woran das liegt, dazu wollte die Bundesanwaltschaft sich nicht äußern. Auf die Frage, warum man nicht rechtzeitig Haftbefehl beantragt habe, erklärte eine Sprecherin, es hätten bei Iman L. keine Tatsachen vorgelegen, die eine Fluchtgefahr nahegelegt hätten. Der Verteidiger von Iman L., der diese Situation als Erfolg verbuchen kann, möchte keine öffentlichen Erklärungen zu seinem Mandanten abgeben. Wo sich der Verurteilte zur Zeit aufhält, ist unklar.
Der Fall erinnert in Teilen daran, wie die deutsche Justiz mit einem anderen Geschäftsmann iranischer Herkunft umging, den der Bundesnachrichtendienst (BND) unter dem Namen "Sindbad" als Spion beschäftigt hatte. "Sindbad" betrieb, genau wie Iman L., eine Handelsfirma in Hessen. Auch er lieferte deutsche Güter in den Iran, die man militärisch nutzen konnte. Gleichzeitig brachte er von seinen Geschäftsreisen nach Persien Informationen über den iranischen Regierungsapparat mit, an denen die Bundesregierung sehr interessiert war. Als "Sindbad" 2008 auf Betreiben der Bundesanwaltschaft festgenommen wurde, deckte der "Spiegel" die Geschichte auf.
Demnach habe es einen Machtkampf zwischen dem BND und der Bundesanwaltschaft gegeben. Die Geheimen hätten die Kreise des Spions nicht stören und ihn trotz möglicher Gesetzesverstöße seinen Handelsgeschäften mit dem Iran weiter nachgehen lassen wollen, weil sie weiter Informationen von ihm bekommen wollten. Die Bundesanwaltschaft habe jedoch auf der Durchsetzung des Rechts und damit der Festnahme von "Sindbad" bestanden. Die Strafverfolger setzten sich zunächst durch und klagten "Sindbad" an. Er wurde vom Kammergericht Berlin zu drei Jahren Haft verurteilt. Aber er verbüßte keinen Tag seiner Freiheitsstrafe. "Sindbad" durfte unmittelbar nach seiner Verurteilung in ein Drittland ausreisen. Ist Iman L. also "Sindbad II"?
"Deals sind an der Tagesordnung"
Es ist nichts darüber bekannt, inwiefern auch Iman L. als Spion für den BND tätig war. Auf Anfrage wollte sich der Bundesnachrichtendienst nicht zu dem Fall äußern. Angeblich fanden die Ermittler bei Durchsuchungen in den hessischen Geschäftsräumen von Iman L. Namens- und Adresslisten iranischer Generäle.
"In diesen Fällen gibt es nicht die Transparenz, die bei Gerichtsverfahren eigentlich üblich ist", sagt Rechtsanwältin Tanja Kistner, die über "Straftaten im Außenwirtschaftsgesetz" promoviert hat. "Deals" seien an der Tagesordnung, die dann dazu führen könnten, dass Urteile nicht vollstreckt würden. Partner der Justiz seien bei diesen informellen Vereinbarungen die Geheimdienste.
Nach geltendem Recht kann die Anklagebehörde von der Strafverfolgung absehen, wenn durch ein Gerichtsverfahren die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland Schaden nähmen. Von dieser Möglichkeit machte die Bundesanwaltschaft zum Beispiel im Jahre 2002 Gebrauch, als sie im letzten Moment auf Anweisung des Justizministeriums und des Bundeskanzleramts die Anklage gegen zwei syrische Spione vor dem Oberlandesgericht Koblenz fallen ließ.
Haben Beamte Strafvereitelung begangen?
Nach Beweisaufnahme und Verurteilung ist allerdings eine Verschonung aus Gründen der Staatsräson nicht vorgesehen. Vielmehr droht das Strafgesetzbuch in §258 jedem mit bis zu fünf Jahren Haft oder mit Geldstrafe, der "absichtlich oder wissentlich die Vollstreckung einer gegen einen anderen verhängten Strafe oder Maßnahme ganz oder zum Teil vereitelt." Zu der Frage, ob Bundesanwälte durch ihre Milde gegenüber Iman L. in den Verdacht geraten könnten, sich nach §258 strafbar zu machen, wollte die Anklagebehörde nicht Stellung nehmen. Es ist aber wohl nicht damit zu rechnen, dass Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft oder gar des BND sich jemals wegen Strafvereitelung im Fall Iman L. verantworten müssen. Wer sollte ermitteln und wer die Anklage führen? Bei Iman L. und einigen anderen endet die Geschichte eben so, dass der verurteilte Geschäftsmann einfach in die Freiheit entschwindet.