Stand: 24.11.2014 10:00 Uhr

Richter fordern Begnadigung von Mohammad Darwish

von Stefan Buchen
Mohammad Darwish
Die NRV sieht Mohammad Darwish als Fluchthelfer und fordert seine Begnadigung.

Als Reaktion auf den am 06. November in Panorama ausgestrahlten Bericht hat die Neue Richtervereinigung (NRV) die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) aufgefordert, den als "Schleuser" syrischer Kriegsflüchtlinge zu drei Jahren Haft verurteilten Mohammad Darwish zu begnadigen. "Fluchthilfe darf nicht ins Gefängnis führen," begründet NRV-Sprecher Martin Wenning-Morgenthaler den Aufruf. "Ein Rechtssystem, das Humanität kriminalisiert, bedarf dringend der Korrektur. Frau Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, begnadigen Sie Mohammad Darwish."

Das Landgericht Essen hatte den Syrer Mohammad Darwish am 4. Dezember 2013 wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in vier Fällen zu drei Jahren Haft verurteilt. Panorama hatte bereits während des Prozesses über den Fall berichtet. Dabei wurde deutlich, dass der 32-jährige Syrer vor allem wegen des sozialen Bezuges zu seinen schutzsuchenden Landsleuten handelte.

Flucht nur mit Helfern möglich

Darwish lebte seit 2005 in Athen. Ab Ende 2011 strandeten dort syrische Kriegsflüchtlinge, die zu Verwandten in Deutschland wollten. Die Flüchtlinge wandten sich an Darwish um Hilfe, weil sie aus derselben Gegend im Nordosten Syriens stammten wie er. Darwish besorgte den Flüchtlingen in Athen ein Dach über dem Kopf, indem er Wohnungen anmietete. Mit Darwishs Hilfe bekamen die Flüchtlinge falsche Papiere und Flugtickets für die Weiterreise nach Deutschland. 3.000 bis 4.000 Euro pro Flüchtling nahm Darwish für seine Dienste. Der allergrößte Teil des Geldes diente dazu, die Unkosten zu decken. "100 bis 300 Euro" je Fluchthilfe seien bei ihm übrig geblieben, sagte Darwish im Interview mit Panorama.

VIDEO: Fluchthelfer: Gestern Helden, heute Kriminelle (14 Min)

Aus den Polizeiakten, die Panorama vorliegen, geht hervor, dass Darwish sich fürsorglich um die Flüchtlinge kümmerte. Er war ganz offensichtlich daran interessiert, dass seine Landsleute sicher und wohlbehalten in Deutschland ankamen. Dies haben Flüchtlinge, die Darwishs Hilfe in Anspruch nahmen, gegenüber Panorama bestätigt. Mohammad Darwish wurde am 29. Januar 2013 auf Grund eines von der Bundesregierung erwirkten "Europäischen Haftbefehls" in Athen festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert. Im "Tatzeitraum", also im Jahre 2012, hatten schutzsuchende Syrer keine andere Möglichkeit, zu Verwandten in Deutschland zu kommen als mit Hilfe von Schleusern. "Damit hat Herr Darwish nichts anderes gemacht als die Fluchthelfer aus der Bundesrepublik Deutschland, die Bürgerinnen und Bürgern der DDR bei einer Flucht in die BRD geholfen haben," heißt es in der Erklärung der Neuen Richtervereinigung.

Kriminelle oder Helden

In dem Bericht vom 06. November hatte Panorama die gegensätzliche Behandlung von Fluchthelfern zur Zeit des Eisernen Vorhangs und von Helfern syrischer Kriegsflüchtlinge heute herausgestellt. Gewerbsmäßige Schleuser von DDR-Flüchtlingen wie Hasso Herschel bekamen das Bundesverdienstkreuz am Bande, während Schleuser syrischer Kriegsflüchtlinge, auch solche mit Verwandtschaftsbeziehungen nach Deutschland, als Kriminelle mit Gefängnis bestraft werden. "Fluchthilfe aus der DDR war eine Heldentat, Fluchthilfe aus Syrien ist eine Straftat," moniert der NRV.

Während Mohammad Darwish seine Haftstrafe verbüßt, ist er ein zweites Mal vor dem Landgericht Essen angeklagt. Am 20. November begann der neue Prozess wegen 13 weiterer "Schleusungsfälle". Wenn es nach dem Landgericht geht, muss Darwish also mit einer noch härteren Strafe rechnen. In höherer Instanz kämpft Darwish derweil um einen Freispruch. Vor dem Bundesgerichtshof hat er Revision gegen seine erste Verurteilung eingelegt. Diese wurde zugelassen. Im Januar steht die Verhandlung in Karlsruhe an. Sollte Ministerpräsidentin Kraft auf den Richterappell eingehen, könnte sie den Fall Darwish vorzeitig beenden.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 06.11.2014 | 21:45 Uhr

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