CIA-Studie: Wann ist es sinnvoll, zu töten?
Ein CIA-Geheimpapier untersucht die Folgen gezielter Tötungen und formuliert Ratschläge, wann diese Programme sinnvoll sind. Vor allem aber gibt es Einblick in das Selbstverständnis des US-Geheimdienstes. Denn es geht in dem Papier weniger um die Frage, ob jemand getötet werden soll, sondern ob es dafür einen richtigen Zeitpunkt gibt.
Wann ist der richtige Moment, einen Menschen zu töten? Die Central Intelligence Agency, der US-Auslandsgeheimnis, hat diese Frage untersucht - in einer geheimen Studie, die NDR und "Süddeutscher Zeitung" vorliegt und von Wikileaks veröffentlicht wurde. Der Titel: "Best Practices in Counterinsurgency: Making High-Value Targeting Operations an Effective Counterinsurgency Tool" (deutsch etwa: "Bewährte Verfahren zur Bekämpfung von Aufständen: Wie die Tötung wichtiger Ziele ein effektives Mittel zur Bekämpfung von Aufständen sein kann").
Die Evaluierung von "gezielten Tötungen"
Auf 22 Seiten schreiben die Autoren des Geheimdokuments über die Folgen von gezielten Tötungen, gleich zu Beginn heißt es: "Eine CIA-Untersuchung zu weltweiten Programmen gezielter Tötungen wichtiger Ziele legt nahe, dass diese Operationen eine wichtige Rolle spielen können." Anhand mehrerer Beispiele - Tötung von FARC-Führern in Kolumbien, Militärschläge gegen die Taliban und al-Qaida, Bomben auf die Hamas - destilliert die Geheimdienst-Untersuchung die positiven Effekte dieser Targeting-Aktionen. Die Studie listet auf:
- Die Effektivität der Aufständischen wird reduziert.
- Willen und Moral der Aufständischen werden geschwächt.
- Aufständische Gruppen können so ihre Unterstützung verlieren, wenn sie erst als zu geschwächt erscheinen.
- Aufständische Gruppen können zersplittern, wenn wichtige Personen gezielt eliminiert werden.
Zu den negativen Folgen der Strategie zählen die Autoren:
- Die Tötung ihrer Anführer kann eine Gruppe radikalisieren.
- Die Unterstützung in der Bevölkerung kann steigen, wenn eine Gruppe angegriffen wird.
- Durch die Schwächung einer Gruppe kann ein Machtvakuum entstehen, in das weitere Konfliktparteien drängen.
- Der Konflikt kann eskalieren - im Interesse aufständischer Gruppen.
Das Selbstverständnis der CIA
Nun ist es wichtig zu wissen, welche Folgen eine militärische oder geheimdienstliche Operation haben kann. Insofern ist das Dokument ein argumentativer Werkzeugkoffer, aus dem sich die Agenten bedienen können - je nach dem, was sie belegen oder widerlegen wollen. Vor allem aber gewährt diese Untersuchung einen seltenen Einblick in das Selbstverständnis des US-Geheimdienstes. Es ist nämlich nicht die Frage, ob es die richtigen Toten überhaupt geben kann. Die Frage ist: Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Tötung? Und: Lohnt es sich, bestimmte Menschen zu töten?
Ein demnach sinnvolles Ziel könnten Gruppen sein, "die zentralistisch und um eine Person herum aufgebaut sind". Sie seien "besonders verwundbar durch den Verlust ihrer Führungskräfte". Außerdem: Diese "„Gruppen sind insbesondere während der Zeit ihrer Gründung und ihres Abstiegs schwach" und von ihren Führern "abhängig". Weniger "effektive" Ziele seien hingegen Gruppen und deren Anführer, die im Ausland Unterschlupf gefunden hätten oder durch "politische Faktoren vor Tod und Gefangenahme" geschützt seien. Auch eine breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung spräche gegen die gezielte Tötung.
Es geht nicht um Moral - sondern um Strategie
Die passende Strategie ergibt sich also aus dem Zeitpunkt, dem Ziel und dessen Ansehen, weniger aus der Überlegung, ob es richtig oder falsch ist, jemanden zu töten. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls die Studie. Diese versuche jedoch lediglich, schreiben die Autoren, einen Rahmen zu bieten, um den strategischen Nutzen gezielter Tötungen wichtiger Ziele einschätzen zu können und "Entscheidungsträger und Militärdirektoren, die in den Autorisierungsprozess [dieser Operationen, Anm. d. Red.] involviert sind", zu unterstützen.
Um die Möglichkeit von Kollateralschäden zu vermeiden, die Tötung Unschuldiger also, raten die Autoren der CIA-Studie dazu, die möglichen Methoden der Ausführung abzuwägen. So könne auch die Logistik einer Gruppe geschwächt werden oder der Geldfluss unterbunden werden. Doch das steht erst ganz am Ende, rechts unten in der Ecke, im zweiten Anhang zu Studie. Denn, wie die Autoren selbst schreiben: Es geht um den strategischen Nutzen gezielter Tötungen.