Stand: 03.08.2016 18:47 Uhr

Anja Reschke: "Ohne Hass lebt es sich besser"

von Anja Reschke

Vor einem Jahr habe ich einen Kommentar in den Tagesthemen gesprochen. Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung war es kein Kommentar PRO Flüchtlinge, sondern ein Kommentar ANTI Hetze. Ich war erschrocken damals, als ich die vielen hasserfüllten Kommentare im Netz über Flüchtlinge gelesen habe. Ich war schockiert, als ich die Bilder sah von wütenden Bürgern, in Freital etwa, die vor einem Asylbewerberheim "Der Dreck muss weg" gebrüllt haben. Ist man wieder soweit, dass man andere Menschen einfach als Dreck bezeichnen darf, habe ich mich gefragt. Nur, weil sie von woanders herkommen. Das war eine Seite von Deutschland, die ich in dieser Massivität bis dahin nicht kannte. Und ich wollte wissen, ob es noch eine Zivilgesellschaft gibt, die sich unverhohlenem Rassismus entgegenstellt. Und ob ich mit dieser Wahrnehmung alleine dastehe. Ich stand es nicht.  Hunderte von Mails und Kommentaren haben mich erreicht, bis heute, von Bürgern, die genauso entsetzt waren über diesen Umgang, diesen Hass auf andere Menschen.  Das war und ist beruhigend und ermutigend.

VIDEO: Anja Reschke: "Dagegen halten - Mund aufmachen" (2 Min)

Beleidigungen und Verleumdungen sind heute Alltag

Aber das ist nur die eine Seite. Die andere ist, dass sich seit vergangenem Sommer die Sprache und der Umgang miteinander weiter verschärft haben. Üble Beleidigungen und  Verleumdungen sind inzwischen Teil unserer alltäglichen Kommunikation, nicht nur im Netz.  Man hat sich daran gewöhnt. Man ist nicht mehr schockiert. Auch dass Politiker vom Platz gejagt oder Abgeordnetenbüros verwüstet werden, gehört heute halt anscheinend dazu. Und dabei ist es genauso verwerflich, ob es sich dabei um einen Politiker der Linken oder der AfD handelt. Auch das war in dieser Häufigkeit vor einem Jahr nicht denkbar. Je mehr böse Worte gefallen sind, je mehr Übergriffe es gab, desto mehr hat sich das Klima vergiftet.  

Der Aufstand der Anständigen ist anstrengend

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Ich habe vor einem Jahr in meinem Kommentar zu einem Aufstand der Anständigen aufgefordert.  Aber mal ehrlich, wer traut sich denn heute noch, "ein Anständiger" zu sein? Die Gesprächskultur ist derartig angespannt, dass man auf jeden Beitrag, der auch nur am Horizont die Situation der Flüchtlinge thematisiert - eventuell auch deren Nöte - eine Flut von beschimpfenden Kommentaren erntet. Vor einem Jahr erschien mir ein Aufstand der Anständigen selbstverständlich, heute weiß ich, wie anstrengend er ist. Das wirkt sich aus, auf Politik, auf Medien und damit auch auf die Gesellschaft. Im vergangenen Jahr waren Berichte über Flucht und das, was Menschen in Syrien, auf der Flucht durchgemacht haben, an der Tagesordnung. Heute muss man schon viel Kraft aufbringen,  um über fehlende Therapieplätze oder Familiennachzug auch nur zu reden.  

"Es liegt an jedem Einzelnen"

Was nichts damit zu tun hat, dass auch ich mir Sorgen mache. Wer ist in diesen Tagen nicht verunsichert? Dazu gibt es genügend Gründe: Wir sind in Deutschland nicht gewohnt, dass junge Männer mit Äxten auf Fahrgäste in einer Regionalbahn einhacken. Dass sie sich und andere mit einem Rucksack in die Luft sprengen wollen, dass Männer in Horden junge, feiernde Mädchen betatschen. All das ist schwierig, all das will man nicht haben. Und trotzdem frage ich mich: Ist Hass und Wut darauf die richtige Antwort? Ist das alles, was wir dem entgegenzusetzen haben? Schneiden wir uns damit nicht ins eigene Fleisch?

Ich würde den Kommentar von vor einem Jahr - trotz aller Erfahrungen, die wir seitdem gesammelt haben - genauso wieder sprechen. Weil ich einfach glaube, dass es sich ohne Hass besser lebt. Weil ich einfach gerne hätte, dass Deutschland so freundlich bleibt, wie es war. Und das liegt an denjenigen, die hier leben. An jedem Einzelnen. 

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