Das Ohnsorg-Theater erobert das Fernsehen
Sieht man die Liste der über 200 Fernseh-Übertragungen aus dem Ohnsorg-Theater durch, fällt auf, dass der Erfolg zunächst eher verhalten einsetzte. Der NWDR übertrug ein oder zwei Aufführungen im Jahr. Erst ab 1957 sendete der NDR drei, später vier oder fünf Inszenierungen pro Jahr. Die Verleihung des Deutschen Fernsehpreises für "Zwei Kisten Rum" als beste Theaterübertragung im Jahr 1958 markierte die Wende und den Beginn des Siegeszuges.
Unter den vielen Titeln in der Liste, die die Zusammenarbeit zwischen Bühne und Fernsehen dokumentiert, sind beliebte Schwänke wie "Das Hörrohr", "Opa wird verkauft" und "Die Kartenlegerin". Henry Vahl und Heidi Kabel, Karl-Heinz Kreienbaum und Erna Raupach-Petersen, Edgar Bessen und Gisela Wessel, Jürgen Pooch und Heidi Mahler gehören zu den Schauspielern, die durch das Ohnsorg-Theater berühmt wurden.
"Die schönsten Ohnsorg-Momente"
Das populärste Stück freilich sollte "Der Tratsch im Treppenhaus" werden. Als der NDR in der Reihe der "Hitlisten des Nordens" 2010 nach den "schönsten Ohnsorg-Momenten" fragte, gelangte das Spiel um die Tratsch-Tante im Mietshaus mit einem deutlichen Vorsprung auf den ersten Platz. 11,5 Prozent der online abgegebenen Stimmen galten der Kult-Komödie, gefolgt von 5,9 Prozent für "Das Hörrohr" und von 5,5 Prozent für "Opa wird verkauft". Menschlich, allzu menschlich erscheinen die Dialoge um Klatsch und Tratsch über die neuen Untermieter, höchst vergnügt folgt man der äußerst professionellen Spielfreude von Heidi Kabel als Nachbarin Meta Boldt.
"Tratsch im Treppenhaus" hatte 1962 Premiere. Zunächst war es für den 18. Februar angekündigt, doch die verheerende Hamburger Sturmflut machte die Übertragung unmöglich. Erst am 4. August 1962 wurde das Stück von Jens Exler im Fernsehen ausgestrahlt. Die Ansagerin, "Fräulein Krause", wie es im Protokoll heißt, wies auf die "Flutwasser-Katastrophe" hin, begrüßte die Zuschauer in Deutschland und Österreich und wünschte einen "angenehmen Abend".
Diesen hatten laut Infratest sage und schreibe 79 Prozent der Fernsehzuschauer. Eine Zahl, bei der aber auch zu bedenken ist, dass es zu diesem Zeitpunkt nur ein einziges alternatives Fernsehprogramm gab: Im zweiten Programm der ARD lief zeitgleich ein Spielfilm von Luchino Visconti über die gesellschaftlichen Missstände in Süditalien.
Tratsch mit Kult-Charakter
Die Übertragung dieser ersten "Tratsch im Treppenhaus"-Inszenierung ist leider nicht erhalten. Was vielen Zuschauern bis heute im Gedächtnis ist, was sie lieben und schätzen, ist die Aufführung vom Silvesterabend 1966.
Seit Ende der 1990er-Jahre avancierte diese Schwarzweiß-Aufnahme zu einem Kult-Stück, das immer öfter am 31. Dezember gesendet wird. "Die erfolgreichste Komödie, die je über den Bildschirm flimmerte", nannte es NDR Redakteur Gerd Spiekermann in seiner Geschichte über das Ohnsorg-Theater, die er anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Hauses 2002 verfasste.
Doch was macht den Kult-Charakter dieser Komödie aus? Wieso erfreuen sich so viele an dem ohne kameratechnischen Schnickschnack eingefangenen Spiel auf einer einfachen Bühne? Für viele ist es ein Stück "Bademantel-Fernsehen", das sie an die Kindheit am Samstagabend erinnert. Hinzu kommt so etwas wie ein ausgesprochener Retro-Charme der schwarzweißen Fernsehgeschichte, der beispielsweise auch alte "Stahlnetz"-Folgen und "Miss Marple"-Ermittlungen einschließt.
Zeitlose Unterhaltung
Schließlich aber gilt für "Tratsch im Treppenhaus" etwas, was ebenso "Dinner for one" und andere unterhaltende Kult-Fernsehmomente auszeichnet: eine handwerkliche Perfektion der Spielfreude und eine Präzision der Pointen. Es macht Spaß, den Volksschauspielern bei ihrer Kunst des alltäglichen Verwirrspiels und der menschlichen Charakterzeichnung zuzusehen und immer wieder neue Facetten ihres pointenreichen Könnens zu entdecken. So sorgen die Ohnsorgs in der Fernsehgeschichte bis heute für gute Unterhaltung aus dem Norden.
- Teil 1: Beginn einer langen Fernseh-Ehe
- Teil 2: Gut Ding will Weile haben