Die Querelen um den NDR-Staatsvertrag
Das Schicksal des NDR hing an einem seidenen Faden: Im Mai 1980 sollte das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, ob der NDR eine Dreiländer-Anstalt für Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg bleibt, ob er eine Zweiländeranstalt wird oder ob es zur Auflösung des Senders kommt.
Zwei Termine gab es für das Verfahren: Die mündliche Verhandlung am 22. Mai und die Verkündung der Entscheidung am 28. Mai. Eigentlich war alles ganz einfach:
- Daumen hoch: Der NDR bleibt komplett erhalten.
- Daumen quer: Der NDR wird eine Zweiländeranstalt.
- Daumen runter: Der NDR wird aufgelöst.
"Nur der Wahrheit verpflichtet"
Der NDR als Dreiländeranstalt und zugleich Nachfolgeanstalt des NWDR existierte seit 1956. Immer wieder gab es politische Querelen, CDU und SPD versuchten, ihren Einfluss beim Personal und damit im Programm zu sichern. Unabhängige Journalisten bzw. jene, die sich nicht unterordnen wollten, wurden immer wieder angegriffen.
Schon die Auflösung des NWDR im Jahr 1955 war letztlich auch auf den nie überwundenen politisch-gesellschaftlichen Weltanschauungsgegensatz zurückzuführen zwischen jenen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unabhängig sahen (grob gesehen: SPD, Minderheit in der CDU, Evangelische Kirche, Gewerkschaften, Teile der Liberalen) und jenen, die den Rundfunk in privater Hand bzw. klarer konservativ ausgerichtet sehen wollten (grob gesehen: Mehrheit in der CDU und FDP, Katholische Kirche, Wirtschaftsverbände). Nur durch das Bundesverfassungsgericht wurde das System unabhängig gehalten. In der Reihe "Medienreport" war dies auch vielfach Thema gewesen.
Beginn der Auseinandersetzungen
Erste Höhepunkte der Auseinandersetzungen waren im NDR die Diskussionen um den Chefredakteur Peter Merseburger, die lange verzögerte Neuwahl des Nachfolgers für Intendant Gerhard Schröder, die immer neuen Unzufriedenheiten mit Intendant Martin Neuffer und schließlich die Berichterstattung des NDR zum Bau des Atomkraftwerkes in Brokdorf.
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Stoltenberg (CDU) kündigte den NDR-Staatsvertrag im Juni 1978. Offizielle Begründung: mangelnde Sparsamkeit. Letztlich ging es aber um die Unzufriedenheit mit dem Programm, die allerorten als Ursache gesehen und auch ironisiert wurde. Sofort entbrannte der Streit, ob diese Kündigung nur einen Austritt Schleswig-Holsteins aus dem NDR bedeutete, Niedersachsen und Hamburg also im NDR gebunden blieben. Oder ob es sich bei der Kündigung um eine Auflösungskündigung handelte, ob also mit dem Austritt Schleswig-Holsteins der NDR aufgelöst würde.
Niedersachsens Ministerpräsident Albrecht (CDU) wollte die Sache vorantreiben und kündigte den Vertrag ebenfalls ("Eine Sache, fast so groß wie Gorleben") und beantragte beim Bundesverwaltungsgericht die Feststellung, dass es sich um eine Auflösung des NDR handele. Damit überrollte er Stoltenberg, der durch die Kündigung in erster Linie nur den NDR-Staatsvertrag zu seinen Gunsten ändern wollte.
Hamburgs Erster Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) konnte nur verlieren: Hamburg würde des Senderstandortes verlustig, Arbeitsplätze wären verloren, es bliebe ein kleiner Stadtsender übrig. Also klagte Hamburg - Ziel: Austrittskündigung.
- Teil 1: "Nur der Wahrheit verpflichtet"
- Teil 2: Die Verhandlungsrunden
- Teil 3: Tag der Entscheidung