Ein Funkhaus für die NORAG
Am 8. Januar 1931 eröffnete der moderne Neubau des NORAG-Funkhauses in Hamburg-Harvestehude.*(1) Das Hamburger Architekturbüro Puls & Richter hatte das Gebäude im Stil der Neuen Sachlichkeit entworfen.*(2) Das Funkhaus sollte alle modernen Ansprüche der Technik, insbesondere der Akustik, erfüllen. In seinem Zentrum liegt der Große Sendesaal. Aus ihm ergibt sich der gesamte architektonische Aufbau – ein radikal neues Firmengebäude, das sich selbstbewusst inmitten des gründerzeitlichen Villenviertels erhebt.
Hauptfassade und architektonischer Aufbau
Eine kniehohe Mauer begrenzt die erhöhte Lage des Grundstücks. Durch einen Vorgarten ferner von der Rothenbaumchaussee abgerückt, erstreckte sich das NORAG-Haus auf 45 Metern Breite. Die weiße, glatte Putzfassade überspannte Alt- und Neubau, war in drei Geschosse gegliedert und durch ein Flachdach beschlossen. Klare, reduzierte, kubische Formen verdeutlichen das Prinzip des Neuen Bauens. Kontraste entstanden aus den dunklen Fensterlaibungen und zwei verklinkerten Bauelementen: Ein horizontaler Vorbau zog sich als verlängerte Veranda durch das Erdgeschoss. Er bildete den Übergang von Neu- zu Altbau, bis in die Wartehalle – das vormalige Vestibül der Engelbrecht’schen Villa. Rechts begrenzte ein vorspringender Turm den Vorbau. Ein oval geformtes Vordach kennzeichnete hier den Haupteingang.
Der dunkel verklinkerte Turm überragte den gesamten Bau um ein Geschoss. Auf seinem Dach erhob sich rechts ein Glasturm, der von einem Geländer begrenzt wurde. Eine Antenne ragte noch weit darüber hinaus. Rechtsseitig zog sich das Firmenlogo der "NORAG" in großen, vertikal angeordneten Leuchtversalien herab. Links auf dem Flachdach wiederholte sich derselbe Schriftzug in horizontaler Leserichtung. Freigestellt hoben sich die serifenlosen Großbuchstaben gegen den Himmel ab.*(3)
Relikte der Engelbrecht’schen Villa
Dass sich die Architektur der Engelbrecht’schen Villa in das Konzept von Puls & Richter einschrieb, wird vor allem an der Gliederung und Formgebung der Fenster deutlich. Bei näherer Betrachtung der Fassade könnte deren asymmetrischer Aufbau ohne Kenntnis der Baugeschichte schnell beliebig oder inkonsequent wirken. Im direkten Vergleich mit der Architektur der Villa zeigt sich jedoch die Übernahme der Veranda wie auch der Fensterpositionen, insbesondere im Erd- und zweiten Obergeschoss.
Die Fassade ist dreigeteilt: Im linken Drittel (Altbau) spiegelt sich die Architektur der Villa – neben den Zwillingsfenstern im zweiten Geschoss durch das einzige Rundbogenfenster im Erdgeschoss links. Das rechte Drittel (Neubau) umfasst den Glasturm, der in seiner Gestaltung im durchgehenden Fensterband des Obergeschosses wieder aufgegriffen wird. Das mittlere Drittel verbindet beide Gestaltungen miteinander und lässt Neu- und Altbau fusionieren. Hier finden sich im obersten Geschoss die Zwillingsfenster der Villa, gleichzeitig spiegelt die Fensterreihung in ihren Abständen den Neubau, rechtsseitig des Turms.
Uhrenturm und Zentrum
Der verklinkerte Turm mit seinem hohen Glasaufbau, der großen Uhr sowie dem ovalen Vordach über dem Haupteingang bilden den Blickpunkt. Mittig des Turms geht die Eingangstür über das Vordach vertikal in ein Fensterband über, das mit Abschluss des Baus im zweiten Geschoss endet. Darüber thront zentriert die zwei Meter breite Hauptuhr. Diese ist, gemeinsam mit dem NORAG-Logo und dem Glasturm, schon aus der Distanz sichtbar. Die Uhr war durch eine eigene Zeitdienstanlage gesteuert, „deren Genauigkeit in Norddeutschland einzig sein dürfte, […] auf die Sekunde genau ab[zu]lesen“.*(4) Ein Vortragender berichtete regelmäßig im Hörfunk über Sternbilder und astronomische Beobachtungen, die mit einem Fernrohr auf der Plattform des Glasturms gemacht wurden.
Eingänge und Fassadenseiten
Das NORAG-Haus hatte noch eine zweite, freistehende Schauseite zur Werderstraße. Hier befanden sich separat Bühnen- und Künstlereingang und der direkte Aufgang zur künstlerischen Leitung. An dieser Fassadenseite werden Elemente der Hauptfassade wiederholt, so die Gestaltung des Glasturmes, der Fensterbänder wie auch der Leuchtmittel.*(5) Der Bau von Puls & Richter sollte jedoch im Zuge des 20. Jahrhunderts mehrfach erweitert und mit benachbarten Gebäuden zusammengeführt werden, sodass die Fassadenseiten nicht mehr in ihrem Ursprung erhalten sind.
Beleuchtung als Gestaltungselement
Zur Abenddämmerung bestätigten sich die prominenten Blickpunkte: Werbewirksam waren Glasturm und Firmenlogo, das breite Ziffernblatt der Hauptuhr wie auch das Eingangsportal des Turmbaus mit einem modernen Lichtdesign ausgestattet und hell erleuchtet. Die NORAG-Leuchtversalien hoben sich von dem dunklen Nachthimmel, und das Funkhaus von den umliegenden großbürgerlichen Gründerzeitvillen ab. Die Leuchtreklame war, nach Aufhebung seines Verbotes im Ersten Weltkrieg, in den 1920er Jahren zu seinem Höhepunkt gelangt. Im Neuen Bauen wurde sie gezielt eingesetzt. Dass die Beleuchtung ein wichtiges Element der gesamten, radikal-modernen Architektur bildete, zeigt sich in der Verbindung von Außen- und Innenraum. Auch im Interieur zog sich ein eigenes Lichtdesign durch sämtliche Räume – so auch im Heinrich-Hertz-Raum zu sehen.