Der Große Sendesaal
Der Große Sendesaal, das heutige Studio 1, ist das Herzstück des Funkhauses. In seiner akustischen wie räumlichen Funktionalität ließ er sich bis ins kleinste Detail anpassen. Der dreigeschossige Raum war ein Wunderwerk der Technik – und alles nach ihm ausgerichtet: Die akustischen Bedürfnisse gaben die Kriterien seiner Gestaltung und schließlich der gesamten Architektur vor. Abgerückt von der Straße und abgeschirmt von jeglicher Erschütterung, liegt der Saal umbaut von Nebenräumen im Zentrum des Gebäudes.
Aufgaben eines Funkhauses
Das Funkhaus der NORAG in Hamburg fungierte als Zentrale des norddeutschen Hörfunks. Das Gebäude hatte eine Vielzahl an Funktionen zu erfüllen: Neben den Büro-, Proben- und Arbeitsräumen sollte hier live gesendet werden, ein Orchester spielen sowie ein intimer Ort für den Austausch von Künstler*innen und Publikum entstehen. Der Große Sendesaal war Studio, Bühne, Konzert- und Kirchenraum zugleich. Mit seinen drei Geschossen reagierte er auf diverse Bedürfnisse und musste sich flexibel anpassen. Der Saal glich durch seine Bühne und den absenkbaren Orchestergraben einem Theater- oder Konzerthaus. Doch ist seine Grundfläche nicht für Publikum oder Bestuhlung vorgesehen. Sie erfüllte vor allem funktionale Zwecke: Hier sollten verschiedene Klangräume entstehen, je nach Bedürfnis von Produktion und Sendung.*(1) Falls Zuhörer*innen zugelassen waren, nahmen diese im seitlichen Auditorium Platz.
Außen und Innen
Im Turmbau, unter dem ovalen Vordach, befand sich der Haupteingang. Durch das Foyer, einen kleinen Übungsraum und den Hauptflur, gelangten die Besucher*innen in den Großen Sendesaal. Während im ersten Stock die Verwaltung in den umliegenden Räumen untergebracht war, befanden sich weitere Probenräume und Garderoben im zweiten Geschoss.
Die Fassade zur Rothenbaumchaussee spiegelt bereits den inneren Aufbau der Architektur: So bildet die lange "Veranda" den Verbindungsflur von ehemaliger Villa zum Neubau ab. Daran angeschlossen liegt auf Höhe des dreigeschossigen Turms der Große Sendesaal. In Nähe des Glasaufbaus verweisen Antenne und Uhr auf zwei zentrale Elemente des Rundfunks und somit auf die Nutzung des Gebäudes.
Hochsensibel und abgeschirmt
Der Große Funk- oder Sendesaal war ein Wunderwerk der Technik. Hoch sensibilisiert für jegliche Aufnahme und Weitergabe von Schall, umgaben ihn strategisch gesetzte Nebenräume. Straßenlärm der Rothenbaumchaussee und Erschütterungen des Bahnverkehrs waren abgeschirmt. Eine Trennfuge auf Höhe des Hauptflurs stellte sicher, dass nichts die Akustik und feine Technik dieses Saales beeinträchtigte. Fenster zum Außenraum gab es keine. Eine doppelte Verglasung der Decke garantierte Tageslicht, wies Geräusche von außen hingegen ab.*(2)
Raumwunder aus Einzelsegmenten
Der Große Sendesaal war auf architektonische Flexibilität und akustische Varianz ausgelegt. Um den Schall zu kontrollieren und zu lenken, waren Wände und Oberflächen modifizierbar: Decke und Stirnwand ließen sich lautlos bewegen und das Raumvolumen, je nach Bedürfnis, verändern. Filzwände dämmten die Akustik. Auch gab es harte und weiche Blenden, die sich aus den Deckenschlitzen absenken ließen und die einzelnen Emporen der zweigeschossigen Galerien schließen konnten. Stalaktiten aus Kork, mit Silberbronze überzogen, konnten gesenkt und zur Leitung des Schalls eingesetzt werden. Auch die Konzert- und Chorbühne ließ sich heben und senken. Erneut war das Lichtkonzept von zentraler Bedeutung: Etwa 5.000 Lampen regelten in 12 Stufen die Helligkeit. Mit den Primärfarben Rot, Gelb und Blau, unter Hinzugabe von Weiß, konnte der Raum beliebig koloriert werden und verschiedene Lichtstimmungen annehmen. Das Tageslicht der Oberlichtdecke ließ sich durch die Stalaktiten ebenfalls flexibel variieren.*(3)
Publikumsmagnet
Der Sendesaal war schon vor Eröffnung der Höhepunkt der Architektur und seine Höhe von zehn Metern äußerst imposant. Bereits während der Bauphase wurden Rundgänge angeboten und das Publikum zeigte sich beeindruckt von der technischen und räumlichen Raffinesse. Durch schallisolierendes Glas abgetrennt, fanden sich seitlich die Regiekabine und ein kleines Auditorium. Somit war es möglich, ein ausgewähltes Publikum unmittelbar an den Aufnahmen teilhaben zu lassen. Das Hörerlebnis beschränkte sich auf Kopfhörer, um auch hier die Trennung von Aufnahme und Geräuschkulisse sicherzustellen. Das Eröffnungskonzert wurde aus dem Hamburger Saal weit über die innerdeutschen Grenzen hinaus nach Basel, Belgrad, Bern, Budapest, Lausanne, Prag, Warschau und Wien übertragen.
Welte-Funkorgel
Der Wunsch nach maximaler Flexibilität findet sich überall im Saal – bis hin zum Hauptinstrument, der eigens für den Rundfunk konzipierten Welte-Funkorgel. Ihre musikalische Vielfalt reicht von Solist bis Ensemble und Orchester, Kirchenmusik bis Schlager, Tanz oder zeitgenössischer Musik und passt sich den verschiedenen Genres an.
Die Welte-Rundfunkorgel ist eine der größten Multiplex-Pfeifenorgeln Europas. Bereits 1929 hatte die Firma Welte & Söhne aus Freiburg eine Kinoorgel realisiert. Dieses Modell wurde im Folgejahr für den Rundfunk erweitert und im September 1930 in den Großen Sendesaal eingebaut. Insgesamt umfasst das Instrument eine Haupt- und eine Solo-Orgel, 2.000 Orgelpfeifen, drei Manuale mit je 61 sowie ein Pedal mit 30 Tasten.
Zu Beginn der 1960er Jahre wurden die Live-Sendungen mit der Welte-Funkorgel eingestellt. Doch ist sie seit Ende der 1980er in öffentlichen Konzerten wieder im Einsatz. 1999 gründete sich zudem der Verein der Freunde der Welte-Funkorgel Hamburg e.V., der die Einzigartigkeit des Instruments lebendig hielt und Veranstaltungen mit verschiedenen Musiker*innen organisierte.*(4)
"Studio 1" – Umbauten und heutige Nutzung
Die zahlreichen Umbaumaßnahmen im Laufe des 20. Jahrhunderts trafen auch den Großen Sendesaal. Ende der 1960er Jahre war die 40 Jahre alte Hydraulik zu einem Sicherheitsrisiko geworden: Die beweglichen Wände wurden größtenteils durch Vorhänge ersetzt, die Bühnendecke fixiert, eine Kassettendecke eingezogen und der Bühnenboden mit Teppich verkleidet. 1982 folgte ein erneuter Umbau und mit ihm eine neue Berechnung der akustischen Notwendigkeiten. Auch wurde die Oberlicht-Glasdecke in Abriss genommen und durch Platten und Deckenfluter ersetzt.*(5) Den letzten Umbau erfuhr das Studio 1 um 2010. Heute probt hier vor allem die NDR Bigband.