Stand: 21.09.2020 11:49 Uhr

Klima-Vorreiter im finnischen Lahti

von Christoph Kersting

Die Finnen gelten als äußerst technikaffin: Wenn es um neue Technologien oder um Digitalisierung im Alltag geht, ist Finnland oft mit von der Partie. Auch beim Thema Klimwandel hat Helsinki eine Vorreiterrolle übernommen und will bis 2035 klimaneutral werden. Eine Provinzstadt nördlich von Helsinki hat noch ehrgeizigere Ziele und setzt dabei auf eine Klima-App. Die NDR Info Perspektiven waren kurz vor der Corona-Krise vor Ort.

Die Klima-App der Stadt Lahti auf einem Smartphone. © NDR Foto: Christoph Kersting
Die Klima-App zeigt an, dass der Nutzer durch seine Lebensweise in dieser Woche (Viikko) erst ein Kilogramm CO2 ausgestoßen hat.

Niko Suuvisilta checkt noch schnell seine Whatsapp-Nachrichten, wie das Wetter morgen in Südfinnland aussieht - und wieviel CO2 er heute schon ausgestoßen hat. Ein gutes Kilo, ein ordentlicher Wert sei das, findet der 28-Jährige und wirft nochmal einen Blick auf sein Smartphone: "Das ist unsere CitiCap-App. Ich sehe hier auf einen Blick meine individuellen CO2-Emissionen. Die App erkennt und speichert automatisch, wie ich mich fortbewege: ob ich gehe, mit dem Rad fahre, das Auto nehme oder einen Zug." An diesem Tag sieht man beispielsweise, dass er gegangen ist und sich danach zwei Stunden nicht bewegt hat. Dann hat er den Bus zur Arbeit genommen: "Wenn ich das jetzt anklicke, sehe ich genau auf einer Karte, wo und wie lange ich unterwegs war. Und dass ich mit der Busfahrt 1,1 Kilogramm CO2 ausgestoßen habe."

CO2-Budget wird an Lebensumstände angepasst

Niko Suuvisilta ist einer von 600 Testnutzern der CO2-App in Lahti, einer 120.000-Einwohner-Stadt eineinhalb Autostunden nordöstlich von Helsinki. Sinn und Zweck des städtischen Projekts: Die User können sich digital verfolgen lassen und erfahren, wieviel schädliches CO2 sie täglich produzieren. Grundsätzlich stehen dabei jedem Bewohner und jeder Bewohnerin 17 Kilogramm CO2 pro Woche zur Verfügung. Dieses Budget wird allerdings an die jeweiligen Lebensumstände angepasst: Sind Kinder im Haushalt, die zur Schule gebracht werden müssen? Wohnt man im Zentrum oder in einem Vorort? Niko Suuvisiltas Budget zum Beispiel liegt bei 21 Kilogramm CO2, weil er Vater von zwei kleinen Kindern ist: "Wenn ich am Ende der Woche unter diesem Limit bleibe, dann bekomme ich Punkte in einer Art virtueller Währung gutgeschrieben. Alle vier Wochen kann ich das dann einlösen für Bustickets, eine Tasche oder eine Fahrradreparatur."

Eine Erdkugel liegt im Wasser. © picture alliance Foto: Christian Ohde
AUDIO: CO2-Fußabdruck messen per App in Finnland (5 Min)

Effektives Gesamtkonzept zur Verringerung von Emissionen

Ein großes Plakat in der Stadt Lahti wirbt für die dortigen Klima-Strategie. © NDR Foto: Christoph Kersting
"Gemeinsam wurden wir European Green Capital", lautet der stolze Slogan, der eine Art Danksagung an die Bürger sein soll.

Das Ganze ist das weltweit erste Pilotprojekt seiner Art. Seit Mitte 2019 sind die Testnutzer mit der App unterwegs, aktuell sammeln und untersuchen Klimaforscher der Technischen Universität Lappeenranta-Lahti die Anwendungsdaten und führen Interviews mit den Nutzern. Die ersten Erkenntnisse seien positiv, heißt es. Eine App, mit der Nutzerinnen und Nutzer ihren CO2-Fußabdruck messen können, wirkt vielleicht wie eine nette digitale Spielerei im technikaffinen Finnland. Doch die Smartphone-App ist nur Teil eines Gesamtkonzepts, mit dem Lahti seine Emissionen drastisch senken will. Schon 2010, als Erderwärmung und Klimawandel primär ein Thema unter Wissenschaftlern oder Umweltaktivisten war, beschloss die Stadt, ihren Pro-Kopf-CO2-Ausstoß bis 2025 zu halbieren - und hat dieses Ziel längst erreicht.

Wandel von Kohle zu klimafreundlich

Müllverbrennungsanlage und Kraftwerk der Stadt Lahti. © NDR Foto: Christoph Kersting
Das Kraftwerk soll auch dazu beitragen, die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben - bis 2050 will Lahti ein Zero-Waste-System haben.

Die Stadt Lahti will bis 2025 klimaneutral sein, 25 Jahre früher als es der von der Europäischen Kommission entworfene "European Green Deal" vorsehe, sagt Saara Vauramo. Die Ökologin arbeitet in der Stadtverwaltung daran, dass das ehemals graue Lahti tatsächlich immer grüner wird. An diesem Märzmorgen steht sie vor den Toren einer weitläufigen Kraftwerksanlage am Stadtrand von Lahti. Wegen Covid-19 dürfen wir das Gelände nicht betreten: "In den 1990er Jahren war Lahti eine von diesen typischen Städten in Finnland, die alle Kohle als Energiequelle nutzten. Über 80 Prozent unserer Energie haben wir damals durch Kohleverbrennung erzeugt. Seit 2012 haben wir hier eine neuartige Müllverbrennungsanlage in Betrieb: Wir zerkleinern und erhitzen den Müll, wodurch ein Gas entsteht, das dann verbrannt wird." Die Anlage habe dadurch eine doppelt so hohe Energie-Effizienz wie herkömmliche Müllverbrennungsanlagen.

Strategie: Radikale Schritte für das Klima

Die Ökologin Saara Vauramo (links) vor der Skisprungschanze in Lahti. © NDR Foto: Christoph Kersting
Die Ökologin Saara Vauramo (links) und Planerin Emma Sulkanen vor der berühmten Skisprungschanze in Lahti.

Strom und Wärme produziert seit Herbst 2019 auch noch ein weiterer Block der Anlage: Dort werden Holzreste aus den Sägewerken und Möbelfabriken der Region verbrannt. Das vermeidet laut Vauramo nicht nur Emissionen durch weite Transportwege, sondern fördert auch die lokale Wirtschaft - und ist CO2-neutral, da man einen nachwachsenden Rohstoff nutzt, der seinerseits CO2 bindet: "Dieses Umdenken im Energiebereich ist maßgeblich dafür, dass wir unsere Emissionen drastisch gesenkt haben. In den 1990er-Jahren hatten wir einen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß von elf Tonnen jährlich. Heute liegen wir da bei 2,5 Tonnen. Das ist das Ergebnis von radikalen Schritten, die hier in Lahti unternommen wurden." Die hohen Ambitionen werden auch von der EU honoriert: Brüssel hat das kleine Lahti als "European Green Capital 2021" ausgezeichnet, als nachhaltiges Vorzeigemodell für andere europäische Städte und Regionen. Das Projekt läuft trotz Corona weiter, wie ein Sprecher der Stadt versichert.

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NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 21.09.2020 | 11:49 Uhr

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