Fisch und Fleisch aus dem Labor: Die Zukunft des Essens?
Schweinebauer Thomas Asmussen steht vor seiner vielleicht größten Veränderung: Könnte er für einen Teil seiner Fleischproduktion bald aufs Schlachten verzichten, weil das Fleisch in Containern wächst? Und wäre das Fleisch aus dem Labor nicht nur gut für das Tierwohl, sondern auch eine klimafreundlichere Alternative?
Im kleinen Ort Gelting, im Norden Schleswig-Holsteins, bewirtschaftet Asmussen in vierter Generation seine konventionelle Schweinemast und Ferkelzucht. Asmussen hat zwei harte Jahre hinter sich: Niedrige Preise, Corona und steigende Kosten durch den Ukraine-Krieg haben ihm so stark zugesetzt, dass er es nur durch staatliche Unterstützung geschafft hat. Er sagt: "Wenn ich ein knallharter Betriebswirtschaftler wäre und nicht an meiner Scholle hängen würde, weil das über Generationen gewachsen ist, müsste ich die Bude zumachen."
Bioreaktor mit Körpertemperatur des Tieres
Gerade in dieser schwierigen Situation kamen Lars Krüger und Alexander Heuer von einem Hamburger Start-up bei ihm vorbei. Sie sind an einem Produkt interessiert, das Asmussen bisher eigentlich weggeworfen hat: der Nabelschnur. Darin sind Stammzellen, aus denen sie Muskel- und Fettzellen gewinnen wollen, um sie in einem großen Kessel zu vermehren. Der sogenannte Bioreaktor soll die Körpertemperatur des Tieres nachahmen, weshalb er auf 38 Grad geheizt wird. Die Zellen werden dann mit einer Nährlösung gefüttert, die unter anderem Vitamine, Eiweiße und Salze enthält. Heraus kommt dann das sogenannte zellkultivierte Fleisch.
Pro Nabelschnur hätte Asmussen das zellkultivierte Fleisch von sieben ausgewachsenen Schweinen mit einem Schlachtgewicht von 120 Kilogramm, so die Versprechen des Start-ups. Asmussen ist noch skeptisch: "Man muss sehen, was für uns am Ende dabei übrigbleibt." Er will verhindern, dass er nur billig den Rohstoff liefert und jemand anderes dann das große Geschäft macht. Nachdem sich fünf Höfe in Schleswig-Holstein bereit erklärt haben, als Pilotbetriebe dabei zu sein, sammelt das Start-up Geld von Investoren ein, um loslegen zu können.
Weltweite Investitionen steigen
Während der Fleischhunger in Deutschland aber leicht sinkt, wächst er global dramatisch. Das kann wohl nur die industrielle Landwirtschaft abdecken. Die Folge aber: Flächenfraß, Tierleid und großer Ausstoß von Treibhausgasen. Schon vor neun Jahren wurde eine angeblich goldene Lösung präsentiert: eine Burgerfrikadelle aus echtem Rindfleisch, hergestellt im niederländischen Labor von Mark Post für damals 250.000 Euro. 2013 schien die Technologie noch in weiter Ferne zu liegen. Inzwischen hat sich einiges getan. Wirtschaftsethiker Nick Lin-Hi von der Universität Vechta sagt: "Ich glaube, dass wir es hier mit einer Innovation zu tun haben, die wirklich das Potenzial hat, die bestehende Technologie abzulösen. Das heißt auch, den aktuellen konventionellen Fleischmarkt wirklich in die Nische rein zu verdrängen."
In Singapur ist Hähnchenfleisch aus dem Bioreaktor bereits zugelassen und über einen Lieferdienst erhältlich. Als Nährlösung wurde hier aber das ethisch umstrittene fetale Kälberserum, welches aus dem Blut eines ungeborenen Kalbs gewonnen wird. Lin-Hi sagt, in Europa müsste das Kälberserum durch pflanzliche Alternativen ersetzt werden, sonst werde es nicht angenommen. Daran werde aber schon gearbeitet, so Lin-Hi. Weltweit werden in die Forschung und Produktion von zellkultiviertem Fleisch mehrere Hunderte Millionen Dollar investiert. Laut Datenauswertungen des Good Food Institutes sind 2021 allein in den USA 699 Millionen Dollar investiert worden, in Deutschland hingegen bisher nur neun Millionen.
Nachhaltigkeitsversprechen beruhen bisher auf Annahmen
Im kalifornischen Unternehmen "Sci-Fi-Foods" zum Beispiel wollen die Gründer in zwei Jahren ihre Burgerfrikadellen aus zellkultiviertem Rindfleisch und pflanzlichen Zutaten auf den Markt bringen. "Die kultivierten Zellen sind im Grunde die Geschmackszutat. Die erschafft mit ihren Fetten und Proteinen das Geschmackserlebnis von Fleisch", erklärt Mitgründer Joshua March sein Produkt. Auch für dieses Fleisch muss jedoch Energie verwendet werden, um den Bioreaktor zu erhitzen. March entgegnet dem: "Wir haben einen vorläufigen Bericht, der zeigt, dass unsere Produkte in Bezug auf Treibhausgas-Emissionen etwa zehnmal besser sind als konventionelles Fleisch." Bei diesen Daten handelt es sich aber nur um Hochrechnungen, da solche Untersuchungen bei großen Produktionsstätten bisher nicht durchgeführt worden sind. Expert:innen bezweifeln, dass die Einsparungen bei allen Fleischarten so klar sind.
Inzwischen ist längst ein Wettlauf um die ersten Produkte aus zellkultiviertem Fleisch und auch Fisch entstanden. Die Firma "Bluu Seafood" aus Lübeck will als erstes europäisches Start-up Fisch aus dem Bioreaktor auf den Markt bringen, um etwas gegen die Überfischung der Weltmeere zu tun. Das aus dem Fraunhofer Institut ausgegründete Unternehmen könnte so alle Fischarten herstellen. Ihre ersten Produkte sollen aber Fischbällchen und Fischstäbchen sein. Fischfilet wäre in Zukunft auch möglich. Nur die Zulassung in der EU ist bisher die größte Hürde, so Gründer Sebastian Rakers. Denn er muss viele Prototypen testen und die Ergebnisse einreichen.
Wenig politisches Interesse an zellkultiviertem Fleisch
Die Bundesregierung hat sich in ihrem aktuellen Koalitionsvertrag dazu verpflichtet sich "für die Zulassung von Innovationen wie alternative Proteinquellen und Fleischersatzprodukten in der EU" einzusetzen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir möchte sich dazu gegenüber Panorama 3 nicht äußern. Stattdessen bekräftigt Renate Künast, agrarpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, den Satz im Koalitionsvertrag: "Wir müssen uns den ganzen Bereich der alternativen Proteine angucken. Und es geht von der Linse und der Erbse eben bis dahin." Im internationalen Vergleich hängt Deutschland was die unabhängige Forschung angeht, noch hinterher. Während die Politik noch unentschlossen ist, was zellkultiviertes Fleisch und Fisch betrifft investieren deutsche Fleischunternehmen wie die PHW-Gruppe oder die Rügenwalder Mühle bereits Millionenbeträge. Mit den ersten Produkten auf dem EU-Markt rechnen Expert:innen frühestens 2025. Andere aber glauben, dass es dafür noch zu viele ungeklärte Fragen gibt.