Stand: 18.08.2011 16:45 Uhr

Das Doppelleben der Dora Ratjen

von Bettina Lenner, NDR.de
Dora Ratjen 1937 © Bundesarchiv, Bild 183-C10379 / CC-BY-SA
Dora Ratjen 1937.

Ratjen hatte von den Machenschaften möglicherweise nie etwas gewusst. Doch ihre Enttarnung zwei Jahre später empfand sie als Befreiung. Sie sei froh, dass jetzt "alles zum Klappen kommt", also rauskäme, erklärte sie der Polizei. Es folgten mehrere medizinische Untersuchungen, alle kamen zum selben Ergebnis: Ratjen ist ein Mann. Ratjen versprach, "mit sofortiger Wirkung keinerlei Sport mehr zu treiben", Meistertitel und Rekorde wurden aberkannt. Ein Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Betrugs wurde eingestellt. Dora sei niemals darauf hingewiesen worden, dass er ein Mann sei, stellte der zuständige Oberstaatsanwalt fest.

Vom Mädchen zum Knaben im Januar 1939

Vor allem dem Vater fiel es aber auch weiterhin schwer, das Offenkundige zu akzeptieren. Er wollte die Schande in der Öffentlichkeit nicht ertragen, fürchtete den Niedergang seiner Gastwirtschaft. Dora solle als Mädchen weiterleben, forderte er, selbst wenn sie tatsächlich ein Junge sei. Erst als die Korrektur des Geschlechts in den Verdener Akten am 11. Januar 1939 amtlich wurde, bat er den Polizeipräsidenten von Bremen in einem Schreiben, den Vornamen seines Kindes in Heinrich zu ändern. Ratjen selbst nannte sich später Heinz.

"Durch die Hölle gegangen"

Ratjen musste erst lernen, als Mann zu leben und zu agieren. Seine Schwestern halfen ihm dabei. 1957 sorgte er für Verwirrung, als er behauptete, sein Taufname sei Herrmann, die Hitlerjugend habe ihn dazu gezwungen, als Frau bei den Olympischen Spielen 1936 anzutreten. Stichhaltige Beweise gibt es dafür nicht. Wie auch sonst wenig bekannt ist über Heinrich "Heinz" Ratjen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er eigenen Angaben zufolge als Soldat erlebte, arbeitete Ratjen in Bremen in der familieneigenen Schankwirtschaft. Am 22. April 2008 starb er, ohne sein Schweigen je gebrochen zu haben. Auch die Versuche Gretel Bergmanns, mit Ratjen Kontakt aufzunehmen, scheiterten. "Wir sind beide auf unterschiedliche Art durch die Hölle gegangen. Unsere Leben haben Parallelen, aber wir haben beide unseren Weg gemacht", sagte die gebürtige Laupheimerin, die 1942 die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 28.08.2011 | 23:30 Uhr

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