1989: Tränengas gegen Fußballfans von Hansa Rostock
"Ich habe nur eingeschüchterte Leute gesehen"
Dietrich Kehl hörte vor dem Stadion durch Hansa-Fans, die auf anderen Wegen angereist waren, von den Ereignissen. Offiziell erfuhr der damalige Vize-Präsident des FC Hansa Rostock von der tschechoslowakischen Seite, man habe in dem Sonderzug einen Waggon voll Alkohol gefunden. Mannschaft und Vereinsführung waren entsetzt: Kurzzeitig dachten die Rostocker darüber nach, nicht anzutreten. Doch das hätte eine lange internationale Sperre durch den europäischen Fußballverband nach sich gezogen. Also bereiteten die Mecklenburger sich auf das Spiel gegen Baník Ostrava vor.
Während die Mannschaft auflief, eilte Kehl zum Bahnhof. "Als ich zum Bahnsteig vorgedrungen war, war das für mich erst einmal eine schockierende Situation. Ich habe nur eingeschüchterte Leute gesehen", erzählt er. Kehl ließ sich zum Einsatzleiter bringen und verlangte, ihm den Waggon mit dem Alkohol zu zeigen. "Dazu waren sie natürlich nicht in der Lage. Die ließen auch in keiner Weise mit sich reden. Ich hatte einfach Angst um die Fans im Zug." Die tschechoslowakische Polizei befahl nach drei Stunden Wartezeit auf dem Bahnhof von Ostrava, den Zug wieder zurückfahren zu lassen. "Er fuhr an, und wie ich erwartet hatte, wurde die Notbremse gezogen. Die Polizisten stürmten den Zug. Mich hat man einfach vom Bahnsteig weggeführt. Ich konnte überhaupt nicht eingreifen", erinnert sich Kehl.
Prügelnde Polizisten
Die Hansa-Fans, die eigentlich schon längst hätten im Stadion sein sollen, bekamen unangenehme Gesellschaft für ihre Reise Richtung Heimat. Die mitfahrenden tschechoslowakischen Sicherheitskräfte waren nicht zimperlich: Wer vermeintlich oder tatsächlich aufmuckte, wurde mit Knüppelschlägen malträtiert. Die Hunde der Miliz hatten keine Maulkörbe um und verbreiteten zusätzlich Angst unter den Reisenden, die ihre Abteile auf dem Weg zum Prager Bahnhof nicht mehr verlassen durften. Dort angekommen, ereignete sich ein weiterer Zwischenfall, wie Axel Klingbeil berichtet: "Dort war ein Mitarbeiter der DDR-Botschaft, der mit dem Megafon den Reiseleiter ausrief. Es stieg auch jemand aus, der einen blau-weißen Schal umhatte. Der wurde von der Polizei sofort verprügelt. Es kam noch mal dieselbe Aufforderung von dem Botschaftsmitarbeiter. Jemand wies darauf hin, dass der, der da gerade bearbeitet wurde, der Reiseleiter sei. Der wollte dann gar nicht mehr reden und ist wieder eingestiegen."
Protestbrief der Hansa-Fans
Es ging weiter zum Grenzübergang Bad Schandau, wo zur allgemeinen Erleichterung die Miliz aus- und die Transportpolizei einstieg, die in der DDR für die Sicherung auf den Bahnanlagen zuständig war. "Die waren nicht mit Knüppeln und Hunden ausgerüstet", sagt Klingbeil. Die Durchsage, dass alle Personen bis nach Rostock mitzufahren hätten, um dort verhört zu werden, beunruhigte die Fans dann allerdings aufs Neue. "Ein Waggon wurde geräumt, um die ersten Verhöre durchzuführen", erinnert sich Klingbeil. Letztlich durften die Rostocker Anhänger ab Berlin doch an den verschiedenen Stationen aussteigen und nach Hause gehen.
Noch während der Rückfahrt verfassten einige Fans einen Protestbrief, den alle Mitreisenden unterschrieben. "Diesen Brief haben wir an sämtliche Zeitungen geschickt, veröffentlicht wurde darüber nichts", sagt Klingbeil. Was durchaus Erwähnung in der Presse fand, war die 0:4-Niederlage des FC Hansa Rostock gegen Baník Ostrava an jenem 27. September. Doch das Europapokal-Aus des Vereins aus Mecklenburg war in Fan-Kreisen längst zur Nebensache geworden. Die Reisekostenrückerstattung von 150 Mark durch das FDJ-Reisebüro war für die Anhänger blanker Hohn.
- Teil 1: 5.000 DDR-Bürger auf dem Weg nach Ostrava
- Teil 2: Dramatische Szenen am Bahnhof und im Zug