"Wollte kein Verräter sein": Ullrichs Doping-Geständnis zwischen den Zeilen
Kurz vor seinem 50. Geburtstag hat Jan Ullrich so deutlich wie nie über das Thema Doping gesprochen. Ein Geständnis kommt dem einstigen Radsport-Helden aus Rostock aber auch gut 26 Jahre nach seinem Tour-de-France-Sieg nicht über die Lippen.
"Ja, ich habe gedopt", sagt Ullrich auch im "Stern"-Interview nicht, aber die Aussagen des 49-Jährigen lassen die Interpretation "Geständnis zwischen den Zeilen" zu. "Ich habe ziemlich schnell gelernt, dass Doping weitverbreitet war. Mir wurde vermittelt: Du bist gut, ein Riesentalent, du trainierst mit hohem Einsatz, du hast alle Fähigkeiten, die es braucht. Doch wenn du hier mithalten willst, musst du mitmachen", erklärt Ullrich, der am 2. Dezember seinen 50. Geburtstag feiert und am Abend zuvor zu Gast bei 3nach9 im NDR Fernsehen sein wird.
"Ohne nachzuhelfen, so war damals die weitverbreitete Wahrnehmung, wäre das so, als würdest du nur mit einem Messer bewaffnet zu einer Schießerei gehen." Jan Ullrich über Doping
Der Straßen-Weltmeister und Olympiasieger wurde 2006 von seinem Team Telekom wegen Verbindungen zum spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes suspendiert und 2012 vom Internationalen Sportgerichtshof CAS für zwei Jahre gesperrt. Systematisches Doping beim Team Telekom ist mittlerweile belegt.
Damals habe sich das alles völlig normal angefühlt: "Allgemein überwog die Einstellung: Wenn man das nicht macht - wie will man in einem Rennen bestehen? Dann fährst du im Peloton und weißt, du bist wahrscheinlich einer derjenigen, die nichts drin haben, und deswegen hast du auch null Chancen", so Ullrich. Konkret seine eigene Rolle im System und zu welchen Methoden er griff, das lässt der gebürtige Rostocker aber weiterhin (noch) offen.
"Ich wollte kein Verräter sein"
Ullrich erläuterte, warum er weder 2006 noch ein Jahr später, als eine Reihe anderer Telekom-Fahrer Doping einräumte, über Doping redete. "Ich wollte kein Verräter sein. Ich wollte auch nicht mit Halbwahrheiten raus und schon gar nicht mit der ganzen Wahrheit", sagt Ullrich, gegen den 2007 ein Strafverfahren lief. "Da hingen Existenzen dran, Familien, Freunde. Die Anwälte haben mir gesagt: Entweder du gehst raus und reißt alles ein, oder du sagst gar nichts."
Ullrich bereut sein Schweigen
Ullrich entschied sich damals für die zweite Variante und bereut dies rückblickend. "Aus heutiger Sicht hätte ich reden sollen. Es wäre für einen kurzen Moment sehr hart geworden, aber danach wäre das Leben leichter gewesen."
So folgte für den einstigen Radsportstar der "Totalabsturz" (Ullrich), mit Drogen- und Alkoholproblemen. Ullrich trank bis zu zwei Flaschen Whisky pro Tag, konsumierte Kokain. "Es war ein einziges Betäuben", sagt der Ex-Profi, der als Jahrunderttalent galt. "Dieses ganze Verdrängen hatte mich so belastet, dass ich am Ende fast daran zerbrochen wäre. Ich war nicht weit weg vom Tod."
"Ich war im Himmel, und ich war in der Hölle. Jetzt bin ich zurück auf der Erde, auf dem Weg in die Mitte."
Unter anderem mit der Hilfe seines einst größten Rivalen und heutigen Freundes Lance Armstrong, der sieben Mal die Tour gewann, aber später Doping gestand, kämpfte sich Ullrich aus dem langjährigen Tief und fand den Weg zurück in einen geregelten Alltag. "Ich bin wieder hungrig aufs Leben", sagt Ullrich, über dessen Leben in der kommenden Woche eine Dokumentation bei einem Streamingdienst erscheint.