Violette Dorange bei der Vendée Globe: Die junge Frau und das Meer
Violette Dorange ist mit 23 Jahren die jüngste Teilnehmerin aller Zeiten an der fordernden Solo-Weltumseglung Vendée Globe. Die couragierte Französin ist ein großes Segel-Talent und versteht es perfekt, sich von Bord ihrer Yacht aus zu vermarkten. Ohne ihre Social-Media-Kanäle wäre ihr Start auch gar nicht möglich gewesen.
Am Donnerstagabend hat Violette Dorange ein Millionen-Publikum in Frankreich in ihren Bann gezogen. Diesmal nicht wie seit dem Start der Vendeé Globe direkt via ihrer Social-Media-Kanäle von Bord ihrer Imoca aus, sondern als Protagonistin in ihrem eigenen Film. Zur besten Sendezeit strahlte der Sender "TVR" die Dokumentation "Devenir" aus.
Mit ebenso beeindruckenden wie emotionalen Bildern zeigt Julien Touzaint nicht nur den steinigen Weg von Dorange zur ersten Teilnahme an der legendären Einhandregatta auf. Dem Filmemacher ist es auch gelungen, den täglichen Spagat der jungen Frau zwischen Leistungssport, Privatleben und ihrem Ingenieurstudium als stiller Beobachter mit der Kamera einzufangen.
Boot stellt sich auf den Kopf: "Ich habe oft Angst"
Während der Film "Devenir" erstmals ausgestrahlt wurde, kämpfte Dorange mit ihrer gleichnamigen Yacht im Atlantik mit den Naturgewalten - diesmal ohne Probleme. In der Nacht zuvor war die 23-Jährige aus dem Schlaf gerissen worden, weil hohe Wellen das Boot auf den Kopf geschleudert hatten, wie die Französin Stunden später der Zeitung "Le Figaro" berichtete.
Zwar sei es ihr ohne größere Probleme gelungen, die Devenir zu wenden und eine kleine Reparatur durchzuführen. Aber der Zwischenfall dürfte ihren ohnehin riesigen Respekt vor dem Ozean und seinen Tücken noch einmal erhöht haben. Unlängst hatte die in ihren Social-Media-Clips immer so fröhlich und furchtlos auftretende Dorange zugegeben: "Ich habe oft Angst."
Große Erfolge in Optimisten-Klasse
Ehrliche Worte einer Frau, die mehr oder minder auf dem Wasser aufgewachsen ist. Bereits mit sieben Jahren begann die aus einer Segel-affinen Familie stammende Dorange mit dem Segelsport. Ihre Begeisterung dafür hielt sich zunächst noch in Grenzen. Mit den Jahren aber wurde aus dem Hobby eine Passion.
Das gründete auch darauf, dass ihr Vater sie regelmäßig zu Rennstarts seines Studienfreundes Jean-Pierre Dick mitnahm, einem Hochseesegler, der bei der Vendée Globe 2012/2013 Rang vier belegte. Dass sie ihm irgendwann nacheifern würde, war damals noch nicht abzusehen.
Dorange sammelte ihre ersten Erfahrungen auf dem Wasser wie viele jugendlichen Segler in einer Optimisten-Jolle. Allerdings fiel früh auf, dass das junge Mädchen mit dem Boot sehr schnell und sehr sicher unterwegs war. Die ersten Wettkämpfe ließen dann auch nicht lange auf sich warten. Mit 13 nahm Dorange an ihrer ersten Weltmeisterschaft teil, zwei Jahre später segelte sie als erstes Mädchen in 15 Stunden mit einem "Opti" über den Ärmelkanal, wieder zwölf Monate später überquerte die Französin auf dieselbe Art die Straße von Gibraltar.
Vendée Globe-Start ein Kindheitstraum
Damit war ihre Sehnsucht nach dem Meer, nach neuen Abenteuern aber längst nicht gestillt. Es folgte 2020 die Teilnahme an der Solitaire du Figaro, bevor Dorange im vergangen Jahr bei der Retour à la base mit 22 Jahren als jüngste Seglerin den Atlantik allein überquerte.
Tolle Erfolge für die Französin, die sie in ihrem Entschluss noch einmal stärkten, an der Vendée Globe teilzunehmen. Das sei ihre großer Traum gewesen, seitdem sie erstmals als Kind dem Auslaufen der Yachten in Les Sables d'Olonne beigewohnt hatte, erklärte Dorange vor dem Start der Hatz um den Globus am 10. November.
Hilferuf via Social Media machte Teilnahme möglich
Dass sie bei der Parade der Skipper an jenem grauen und ungemütlichen Sonntagvormittag nun selbst von Menschenmassen geradezu frenetisch bejubelt wurde, hatte wenige Monate zuvor noch in den Sternen gestanden. Denn Dorange fehlten die finanziellen Mittel für einen Start bei der Nonstop-Regatta, bei der sie eine von sechs Skipperinnen ist.
"Stand heute kann ich nicht an der Vendée Globe 2024 teilnehmen", erklärte sie mit ernster Stimme und fast schon verzeifelten Gesichtszügen in einem Video auf ihren Social-Media-Kanälen. Ein Notruf von Land aus, der ihr das Abenteuer auf dem Meer schließlich möglich machte.
Denn binnen kurzer Zeit fanden sich Sponsoren - darunter Franchisenehmer einer US-amerikanischen Burgerkette - die ihr das fehlende Geld für den Start zur Verfügung stellten. Dabei handelten die Gönner vermutlich weder aus Mitleid noch selbstlos.
Wirtschaftliches Kalkül dürfte hinter ihrem Engagement stehen. Denn als Gegenleistung für die monetäre Unterstützung werden ihre Firmenlogos über die Social-Media-Kanäle von Dorange einem Millionen-Publikum gezeigt.
PR-Profi Lupion: "Emotion steht vor der Information"
Ohne Instagram, Facebook und TikTok würde die Französin in diesen Tagen ziemlich sicher ziemlich viel Zeit für ihr Studium haben. Weil sie jedoch bereits vor rund einem Jahr die Koordination ihrer Videoinhalte in die Hände des Social-Media-Managers David Lupion gegeben hatte, wurde ihr Sponsoren-Aufruf via ihrer Kanäle so ein großer Erfolg. Lupion hatte bereits während der Qualifikation von Dorange für die Vendée Globe ihre Accounts umgestaltet. In einem Interview gab er dabei freimütig zu: "Segeln ist allen egal."
Bei den Inhalten sei etwas ganz anderes relevant, so der Franzose. "Alles läuft über die Person und die Emotion. Die Emotion steht vor der Information. Man muss authentisch und aufrichtig sein und sich selbst entblößen", erklärte der Social-Media-Profi. Als Beispiel führte er ein äußerst erfolgreiches Video von Dorange während der Transat CIC aus der Vergangenheit an, in dem sie mental am Boden ist und dies ihren Followern nahezu herzzereißend mitteilt.
Dorange übernimmt Boot von Segel-Legende Le Cam
Lapoins Arbeit ermöglichte der Französin letztlich wohl den Start bei der Vendée Globe. Dass sie nun mit gerade einmal 23 Jahren versucht, allein das Meer zu bezwingen, ist eigentlich schon bemerkenswert genug. Dass Dorange dies auf einem legendären Boot tut, lässt ihre Geschichte noch interessanter werden. Denn die 2006 gebaute und 60 Fuß lange Devenir wurde ihr im vergangenen Jahr von der Segel-Legende Jean Le Cam überlassen.
Der 65-Jährige, der in seiner langen Karriere unter anderem das Transat Jacques Vabre gewann und 2004/2005 Zweiter bei der Vendée Globe wurde, ist technischer Berater und Mentor von Dorange. Über die "kleine Frau mit dem klugen Kopf" sagte der Grandseigneur der Regatta vor dem Start voller Bewunderung: "Ihre Leidenschaft für den Wettkampf, ihr Engagement und ihre Ausdauer bei sehr anspruchsvollen Rennen sprechen für sie."
Debütantin und Routinier ohne Foils unterwegs
Nun segelt Dorange in dem Boot um die Welt, mit dem Le Cam bei den beiden vorigen Vendée-Globe-Ausgaben Sechster und Vierter wurde. "Le Roi" ("Der König"), wie der Routinier von der Konkurrenz auch ehrfurchtsvoll gerufen wird, ist derweil bei seinem sechsten und wohl letzten Start bei der Regatta auf einer neuen Yacht unterwegs, der Tout Commence en Finistere - Armo-Lux. Beide Imocas eint, mit Daggerboards und ohne Foils zu segeln.
Le Cam ist kein Freund der Tragflügel, mit denen 24 der zu Beginn 40 Boote gestartet sind. In einem Interview mit einem französischen Fernsehsender malte der älteste Teilnehmer der diesjährigen Weltumseglung ein düsteres Bild. Eines Tages, so Le Cam, werde alles wie ein Kartenhaus zusammenfallen, weil der Mensch nicht aufhören würde, noch schneller werden zu wollen. Und dies, so der 65-Jährige, würde dann so lange passieren, bis es bei der Vendée Globe einen Todesfall gebe.
Dorange will nur "ins Ziel kommen"
Realistische Siegeschancen haben ohne die von ihm verteufelten Foils weder Le Cam noch Dorange, obwohl beide in den ersten Tagen der Regatta noch im Spitzenfeld mitfuhren. Inzwischen ist ihr Rückstand auf die Führenden riesig. Das dürfte den unvermindert ehrgeizigen Le Cam wurmen, zumal er vor vier Jahren ohne Foils immerhin Vierter wurde. Er hatte die Regatta als Achter beendet, rückte aber wegen einer Zeitgutschrift nach der gelungenen Rettungsaktion seines in Seenot geratenen Landsmanns Kevin Escoffier vor.
Dorange, die beim Auslaufen der Boote in Les Sables d'Olonne von ihren Gefühlen übermannt wurde und viele Tränen der Rührung verlor, hat sich für ihr Debüt derweil nur vorgenommen, "ins Ziel zu kommen".
Vendée Globe längst auch große Werbeshow
Dafür muss die jüngste Teilnehmerin aller Zeiten in den kommenden Wochen gewiss noch viele hochanspruchsvolle seglerische Aufgaben meistern. Das Meer, das sie seit ihrer Kindheit so liebt, wird an einigen Tagen ihr größter Feind sein.
Weitere Gefühlsausbrüche sind garantiert. Ebenso, dass sie ihre huntertausende Follower auf ihren Social-Media-Kanälen daran teilhaben lässt. Der moderne Profi-Sport, ob zu Lande oder zu Wasser, ist auch eine große Werbe- und PR-Show.