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Ideallinie - über die Faszination Michael Schumacher

Stand: 29.11.2023 08:00 Uhr

Tempo, Triumphe, Exzellenz, Rekorde - dafür steht Michael Schumacher. NDR Reporter Jens Gideon hat den siebenmaligen Formel-1-Weltmeister jahrelang um den Planeten begleitet - und zehn Jahre nach dem verhängnisvollen Skiunfall des Ausnahme-Rennfahrers am 29. Dezember 2013 einen Podcast gemacht.

von Jens Gideon

Die Gondelbahn Saulire-Express schwebt auf ihrem Weg zur 2.738 Meter hohen Bergstation über die Unfallstelle. Auf meiner Abfahrt dorthin sind meine Knie trotz bester Schneebedingungen weich. Ein besonderer Ort, der sich anfühlt wie ein Teil meines Lebens, obwohl ich dort noch nie vorher Ski gefahren bin.

Zehn Jahre nach dem tragischen Unfall, der Michael Schumachers Leben so nachhaltig verändert hat, bin ich da auf Spurensuche gegangen, wo das Schicksal damals so gnadenlos zugeschlagen hat. Ich bin in den französischen Skiort Meribel gefahren, um mir diesen Ort mit eigenen Augen anzusehen. Nichts erinnert an den Unfall von damals, aber ich erinnere mich an alles, weil Michael Schumacher ein sehr wesentlicher Bestandteil meines Sportjournalistenlebens ist.

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Cover Podcast Michael Schumacher © NDR

Podcast: Schumacher. Geschichte einer Ikone

2013 verunglückte Michael Schumacher beim Skifahren. Nun herrscht seit zehn Jahren Stille. Jens Gideon begibt sich auf Spurensuche. extern

Es ist eine von diesen "Richtige Zeit - Richtiger Ort"-Geschichten. Als mein geschätzter Kollege Hans Reinhard Scheu Ende 2001 angekündigt hat, in absehbarer Zeit in Formel-1-Reporterrente zu gehen, kam nämlich meine Chance. Ich war gerade in die NDR Sportredaktion in Hamburg gewechselt als ich hörte, dass in der Formel 1 ein Berichterstatter-Platz frei werden würde.

Junge von nebenan und unglaublich schnell

Formel 1. Dieses Motorsportspektakel mit all diesen wahnsinnig erfolgreichen deutschen Fahrern, den Rennen in Deutschland und überall auf der Welt. Der Sport, der mich vor vielen Jahren gepackt hat, für den ich aufstehe, wenn andere noch schlafen, um die Rennen zu verfolgen, dessen Sound wie Musik für mich ist, dessen Drama mir schweißnasse Hände macht - ich habe nicht eine Sekunde gezögert und meinen Hut in den Ring geworfen.

NDR Reporter Jens Gideon steht neben einem Ferrari-Boliden von Michael Schumacher. © NDR
Benzin im Blut: NDR Reporter Jens Gideon.

Der wichtigste Protagonist der Formel 1 begeistert und fasziniert mich seit Jahren: Michael Schumacher. Diese Chance musste ich verwandeln, auch wenn die Konkurrenz groß war. Ich habe es geschafft - vielleicht ja, weil ich so sehr dafür gebrannt habe.

Dieses Feuer hat wohl auch ein bisschen was damit zu tun, woher ich komme. Im Osten Deutschlands hatte die Formel 1 einen besonderen Stellenwert. Ab 1986 gab es den Großen Preis von Ungarn in Budapest. Zehntausende Menschen aus der DDR pilgerten damals schon vor dem Fall der Mauer zu dieser Show des Automobilbau-Kapitalismus. Ein Hauch von weiter Welt, eine technische Inspiration für all die Trabant- und Wartburg-Fahrer aus dem Land hinter dem eisernen Vorhang.

Als die Mauer fiel, war das Auto wichtig für die Ostdeutschen. Endlich verfügbar, endlich schick, endlich schnell. Und dann kam da sehr bald dieser unglaublich schnelle Rennfahrer aus Kerpen bei Köln - dieser Junge von nebenan aus den genauso bescheidenen Verhältnissen.

Erster Sieg 1992 ein schwarz-rot-goldener Glücksmoment

Michael Schumachers erster Formel-1-Sieg am 30. August 1992 war einer der ganz großen, schwarz-rot-goldenen Glücksmomente des gerade wieder vereinigten Deutschlands.

Michael Schumacher bejubelt seinen ersten Formel-1-Triumph im August 1992 in Spa-Francorchamps. © IMAGO / Motorsport Images
Michael Schumacher bejubelt seinen ersten Formel-1-Triumph im August 1992 in Spa-Francorchamps.

Als der neue Superstar dann 1994, im Jahr seines ersten WM-Titels, dank eines Sponsorenvertrages das Logo des ostdeutschen Tankstellenbetreibers Minol auf seinem gelben Rennoverall trug, hatte er die Herzen der Menschen im Osten endgültig erobert. Auch für mich, den jungen Studenten aus Rostock, war dieser fast gleichaltrige Mann jetzt ein Superstar, einer dessen Leben faszinierte und dessen Erfolge mitgeholfen haben, eine gesamtdeutsche Identität zu fühlen. Die Karriere von Michael Schumacher ist schon damals zum festen Bestandteil meines Lebens geworden.

Kein Blick hinter die Rennfahrerfassade

Weil es ihn gibt, wollte ich Anfang der 2000er diesen Job. Weil es ihn gibt, hat mir dieser Beruf später so viel gegeben. Ich war dabei, als Schumacher große Siege und Titel gefeiert hat. Ich habe erlebt, wie er mit Niederlagen und Fehlern umgegangen ist. Und ich war zweimal ganz nah dran, als er den Helm an den Nagel gehängt hat. Es gab viele Begegnungen und Interviews, aber einen Blick hinter die Rennfahrerfassade hat es nicht gegeben. Über Michael Schumacher weiß ich nur, was er und sein Umfeld mich wissen lassen wollen. Das galt damals und gilt heute umso mehr.

Inzwischen reise ich nicht mehr um die Welt von Rennen zu Rennen. Der Grund ist, dass es ihn in diesem Sport nicht mehr gibt. Aber das Licht und der Schatten, die er wirft, sind so groß, dass er die Menschen immer noch elektrisiert.

Eine faszinierende und bewegende Spurensuche

Weil es ihn gibt, er so erfolgreich, streitbar, faszinierend und vom Schicksal geschlagen ist, durfte ich meiner Vergangenheit in den vergangenen 14 Monaten nochmal einen Besuch abstatten. Eine Dokumentation über Michael Schumacher - Wahnsinn! Getrieben von den Fragen, wer Michael Schumacher wirklich ist und was den Mythos "Schumi" tatsächlich ausmacht, habe ich mich auf Spurensuche im Leben dieser deutschen Sportikone begeben. Es war eine faszinierende und bewegende Reise.

Mick Schumacher (r.) im NDR Interview mit Reporter Jens Gideon © NDR
Mick Schumacher ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten.

Ich war in Kerpen Manheim, an der Kartbahn in der Kiesgrube - dem Ort, wo alles begann. In Maranello, der Wiege vieler seiner großen Siege. In seinem sportlichen Wohnzimmer in Spa-Francorchamps bin ich genauso gewesen wie in dem Ort, in dem er heute in aller Abgeschiedenheit lebt, in Gland am Genfer See in der Schweiz. Und ich war eben auch dort, wo die Uhren dieses Vollgaslebens am 29. Dezember 2013 erst einmal anhielten. Im französischen Alpen-Skiort Meribel. Seit zehn Jahren wissen wir alle nicht, wie es ihm geht.

"Ich bete jeden Tag für ihn"

Die Kirchenglocken von Maranello haben mich berührt und das Gespräch mit Schumis liebster Nudelköchin, Mama Rosella im Ristorante Montana in Fiorano sowieso. Ihr sind die Tränen gekommen, als ich sie vor einem riesigen Wandbild, auf dem beide Arm in Arm zu sehen sind, nach ihren Gedanken an Michele gefragt habe. "Ich bete für ihn", sagt sie, "jeden einzelnen Tag seit zehn Jahren." Mama Rosella erzählt, dass Schumi immer durch den Hintereingang zur ihr in die Küche kam, um dort seine Pasta Ragout zu essen.

Faszinierend auch der Besuch an der Kartbahn in der Kiesgrube in Kerpen Manheim. Auf dem "Kinderspielplatz" der Schumachers habe ich Michaels Bruder Ralf getroffen. Er hat uns gezeigt, wo die Brüder das Rennen fahren gelernt haben. Der sechs Jahre ältere Michael hatte eine besondere Bedeutung für Ralf: "Er war mein Schrauber, er hat mich unterstützt. Das war eine tolle Zeit, die wir da gemeinsam hatten", sagt er liebevoll über seinen Bruder.

"Ich habe mich damals über jeden seiner Erfolge gefreut, weil er so bodenständig war." Dirk Nowitzki

Vettel: "Er ist immer noch am Kämpfen"

Ich habe auch viele Wegbegleiter, Freunde, Fans und prominente Zeitzeugen befragt und viele getroffen, die eine besondere Beziehung zu Michael Schumacher hatten und haben. Im Rahmen eines Motorsport-Events in Schweden konnte ich Mick Schumacher eine Frage zu seinem Vater stellen, ein für uns beide bewegender Moment. Auch Vierfach-Weltmeister Sebastian Vettel war dort und hat mit mir über die Schumachers gesprochen: "Es ist für uns alle natürlich schwer, besonders für Mick. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, daran zu erinnern, dass er (Michael Schumacher, d.Red.) immer noch am Kämpfen ist", hat der viermalige Weltmeister und Freund der Familie mir erzählt.

Smudo auf dem Beifahrersitz

Ich habe mit anderen deutschen Sport-Legenden über Schumacher gesprochen. "Ich habe mich damals über jeden seiner Erfolge gefreut, weil er so bodenständig war", sagt Basketballstar Dirk Nowitzki. Franziska van Almsick und Bastian Schweinsteiger, der durch Schumachers Siege die Nationalhymne erst "richtig kennengelernt" hat, haben auch mitgemacht. Wir haben darüber philosophiert, was es bedeutet, eine Sport-Ikone zu sein.

Selfie von Smudo mit Michael Schumacher © Smudo
Selfie von Smudo mit Michael Schumacher.

Und ich habe überraschende Schnittmengen entdeckt. Bei Smudo, dem Frontmann von den Fantastischen Vier zum Beispiel. Der ist nämlich selbst begeisterter Rennfahrer und durfte das, was kaum jemand von sich behaupten kann: eine Runde auf einer Rennstrecke mit Michael Schumacher auf dem Beifahrersitz fahren. Smudo ist fasziniert von Schumi, weil er so ein "normaler Typ" sei, dessen "natürlicher Lebensraum das Fahrerlager ist".

Privatsphäre das höchste Gut

Die Geschichten und die Geschichte der Ikone Schumacher haben mir gezeigt, wie nah mir das Leben und natürlich das Schicksal dieses Mannes gehen. Neuigkeiten über Michael Schumachers Gesundheitszustand gibt es nicht. Das war von vornherein klar. Ich wüsste zwar gern, wie es ihm geht, aber ein Recht, das zu erfahren, habe ich nicht. Ich respektiere den Wunsch der Familie. Die Privatsphäre ist immer Michaels höchstes Gut gewesen und das soll auch so bleiben. In meiner Geschichte über meinen Star habe ich Dinge entdeckt, die ich noch nicht wusste, Verbindungen gesehen, die ich nicht kannte. Und bin damit der Faszination Schumacher näher gekommen als ich es je war.

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Michael Schumacher bejubelt einen Grand-Prix-Sieg. © Motorsport Images

"Being Michael Schumacher" in der ARD Mediathek

Die fünfteilige Serie verfolgt den Weg des Jungen von der Kartbahn an der Kiesgrube in Kerpen zu einer Ikone des Motorsports. extern

Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 29.11.2023 | 06:17 Uhr

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