Didi Thurau: Eine unvollendete Karriere
"Es wäre mehr drin gewesen." Ein typischer Satz, wenn es um den ehemaligen deutschen Radsport-Star Dietrich Thurau geht. Einstige Konkurrenten und Radsportfans bedauern bis heute, dass in Anbetracht seines Talents und seines märchenhaften Karrierestarts mit den "15 Tagen in Gelb" bei der Tour de France 1977 nicht mehr aus dem Frankfurter geworden ist.
Riesentalent und frühe Erfolge
Dabei fing alles sehr früh und erfolgversprechend an. Mit elf Jahren tritt der junge "Didi" Thurau in den RSC Edelweiß ein und fährt als junger Spund bereits den Größeren davon. Der selbstbewusste Rennfahrer mit dem ästhetischen Fahrstil macht schnell auf sich aufmerksam. Frühe Beobachter wie sein Entdecker und Sportjournalist Helmer Boelsen sind beeindruckt: "Als ich ihn zum ersten Mal bei einem Erste-Schritt-Rennen fahren sah, habe ich direkt die Zeile geschrieben: Wenn der Junge nächsten Sonntag wiederkommt, dann steht der Sieger in der Altersklasse fest."
Weltmeister mit dem Kilian-Vierer
Boelsen sollte Recht behalten, bereits 1974 wird Thurau mit dem berühmten "Kilian-Vierer" Weltmeister bei der Bahnrad-WM in Montreal. Noch im selben Jahr wird der gelernte Schriftsetzer Profi. Sein Traum: die Tour de France zu fahren, das größte Radrennen der Welt. Und tatsächlich: Schon 1977 steht Thurau am Start des Prologs, der ersten Etappe der Tour de France in Fleurance. Überraschend gewinnt der Neuling vor Größen wie Merckx, Knetemann und Thévenet. Der mit 22 Jahren jüngste Tour-Teilnehmer fährt damit ins Gelbe Trikot - und lebt ab dem Moment einen 15 Tage währenden Traum.
Deutschland avanciert zur Radsport-Nation
Zwei Wochen später schwappt das Radsport-Fieber nach Deutschland über. Die Tour gastiert in Freiburg und eine halbe Million Menschen will den neuen Star sehen. Der ungeahnte Rummel geht in die deutsche Sport-Geschichte ein. ARD-Kommentator Herbert Watterott vergleicht die Stimmung in Freiburg gar mit dem Begeisterung nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft 1954.
Doch einige Tage später folgt die Ernüchterung: Das Hochgebirge in den Alpen ist für den jungen Frankfurter zu anspruchsvoll. Er verliert das Maillot Jaune bei einem Bergzeitfahren nach Avoriaz. Zwei Tage später, auf der 17. Etappe ins Radsport-Mekka L'Alpe d'Huez, quält sich Thurau völlig erschöpft über die Alpenpässe und verliert über zwölf Minuten auf den späteren Tour-Sieger Bernard Thévenet. Der Traum ist ausgeträumt. Der damals 22-Jährige wird dennoch respektabler Gesamtfünfter und holt das Weiße Trikot des besten Jungprofis. Bei der Rückkehr in Frankfurt wird ihm ein "großer Bahnhof" bereitet, das neue "Radsport-Deutschland" lässt das Idol einer ganzen Generation hochleben.
Thurau wird Vorschusslorbeeren nicht gerecht
Große Hoffnungen werden in Thurau gesetzt. Doch er kann sie nicht erfüllen. So schnell er ins Rampenlicht fuhr, so schnell verblasst sein Ruhm. Nach der Tour 1977 steigt Thurau der Ruhm zu Kopf. Er verlässt das Team "TI-Raleigh" mit seinem Mentor Peter Post, um im belgischen "Ijsboerke"-Team alleiniger Kapitän zu sein. Einen externen Berater lehnen er und sein Vater ab. Zudem verpulvert Thurau seine Kräfte bei zu vielen Sechs-Tage-Rennen. 1987 beendet Thurau nach diversen Doping-Gerüchten seine aktive Karriere. Neben der Tour de France 1977 bleiben als größte Erfolge der Sieg beim Klassiker "Lüttich-Bastogne-Lüttich" (1979) und zwei Vize-Weltmeistertitel (1977, 1979).
Söhne haben den sportlichen Ehrgeiz des Vaters geerbt
Nach seiner Karriere versucht sich Thurau im Immobiliengeschäft - mit wenig Erfolg. Er gerät durch einige unrühmliche Geschichten mit dem Gesetz ins Konflikt, verlässt Frankfurt und zieht in die Schweiz. Seine beiden Söhne Urs und Björn haben den sportlichen Ehrgeiz des Vaters geerbt. Björn fährt Rennrad, Urs wird vom Vater im Tennis trainiert. Beide Thurau-Söhne stehen am Anfang ihrer sportlichen Karrieren und besitzen somit die Chance, aus den Fehlern des Vaters zu lernen. In einem besser geführten Team, mit einem geeigneten Manager und etwas mehr Geduld wäre für Thurau nach 1977 mehr drin gewesen. Das räumt der geläuterte Ex-Radstar heute selbst ein. Auch er benutzt dabei den Konjunktiv.