50 Jahre Blin gegen Ali - ein unvergessener Boxkampf

Stand: 26.12.2021 08:00 Uhr

Jürgen Blin gegen den "Größten", Muhammad Ali. Ein ungewöhnlicher Fight, der mit dem ersten K.o. des Hamburger Berufsboxers endete. Unvergessen - auch wenn er am 26. Dezember 2021 bereits ein halbes Jahrhundert her ist.

von Andreas Bellinger

Die Fäuste fliegen fast wie einst, wenn Jürgen Blin von den wilden Jahren als Boxprofi erzählt. Links, rechts knallen die Pranken in seine Handflächen und ein spitzbübisches Lächeln huscht über sein Gesicht. "Ich habe sie alle geboxt, hab mich reingehängt, bin immer voll drauf", erzählt der auf Fehmarn geborene Hamburger beim Besuch des NDR. "Ohne Rücksicht auf Verluste." Nervenflattern oder übergroßen Respekt? Nein, sowas kannte Blin nicht. Schon gar nicht im Ring, auch nicht gegen Muhammad Ali - dem unbestrittenen Highlight seiner Karriere vor 20.000 Zuschauern in Zürich.

Ein Stück Kuchen zum 50. Jahrestag

"Natürlich war es etwas ganz Besonderes, einmal gegen den bekanntesten Fighter der Welt zu boxen", sagt Blin und trommelt mit den Fäusten auf den großen Esstisch seines Heims im Osten der Hansestadt. Aber deshalb den 50. Jahrestag am zweiten Weihnachtstag groß feiern? "Nö", sagt der 78-Jährige kurz und knapp.

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Jürgen Blin (l.) 1971 im Kampf gegen Ali © picture-alliance / akg-images / Niklaus Stauss

Hamburger Boxidol Jürgen Blin: Adrenalin pur im Kampf gegen Ali

Er kam von ganz unten und trat sogar gegen den "Größten" an: Der Hamburger Boxer Jürgen Blin forderte am 26. Dezember 1971 Muhammad Ali heraus. Sieben Runden hielt er durch. mehr

Ein schönes Stück Kuchen sicherlich. Das aber soll es dann auch gewesen sein. "Wieso auch, es ist doch lange vorbei." Was so spröde klingt, ist wohl der tief verwurzelte Realismus eines Mannes, der, wie er sagt, einfach nur "raus wollte aus dem Sumpf einer hässlichen Kindheit". Geld verdienen, sich ein schönes Leben aufbauen - und das habe er auch geschafft.

"Es geht ganz gut mit mir"

Es hat ihn jung gehalten, wie es scheint. Zur Begrüßung erscheint im Türrahmen ein noch immer drahtiger Jürgen Blin, dem eigentlich nur sein volles blondes Haar aus früheren Zeiten fehlt - und wahrscheinlich hat er auch noch ein paar Kilo weniger im Vergleich zu seiner besten Zeit als Schwergewichtler.

Fit wie ein Turnschuh fühle er sich, sagt er. Manch Jungem laufe er bestimmt noch weg: "Es geht ganz gut mit mir. Ich bin jedenfalls zufrieden." Na ja, so ganz stimmt das an diesem eiskalten Dezembermorgen vielleicht doch nicht. Der Magen revoltiert und er fühlt sich etwas schlapp nach der dritten Corona-Impfung.

Blin gegen Ali: "Natürlich wollte ich gewinnen"

"Aber was soll's", pflegt Blin in solchen Momenten zu sagen. Und sogleich ist er wieder spürbar, der Kampfgeist, der ihn als Boxer wie als Geschäftsmann immer begleitet und mitunter wohl auch getrieben hat. Wie sonst hätte er auf die Idee kommen können, als sogenannter Aufbaugegner den ein paar Monate vorher als Schwergewichts-Weltmeister abgelösten Ali schlagen zu können?

"Natürlich wollte ich gewinnen und habe Feuer gegeben, so viel es ging", erinnert sich Blin, der Anfang der 1970er-Jahre als bester deutscher Boxer galt. Aber nach den ersten, ganz ordentlichen Runden kam schnell das böse Erwachen. "Ali wollte jeden Gegner ausknocken und wieder großes Geld verdienen. Da hatte ich keine Chance; da bin ich ganz ehrlich. Zumal ich körperlich viel leichter und schwächer war als er."

K.o. mit finanziellem Trostpflaster

In der siebten Runde war er vorbei, der Traum vom überraschenden Sieg und möglichen Folgekampf (inklusive großer Gage) gegen Joe Frazier. Ein rechter Haken ans Kinn streckte Blin nieder. Es war der erste K.o. seiner Profikarriere. "Da bin ich ausgestiegen", beschreibt er eher lapidar, was am 26. Dezember 1971 geschah.

Die Niederlage hat ihn trotzdem berühmt und sportlich begehrt gemacht. 180.000 D-Mark waren überdies ein ordentliches Trostpflaster. Vielleicht sogar mehr als das, weil ihm ein Kampf gegen den brutal starken Frazier auf diese Weise erspart geblieben war. "Der hätte mich vielleicht totgeschlagen", sagt Blin. "Wie Ali das geschafft hat, den zu schlagen? Ich weiß es nicht. Das wundert mich noch heute."

Blin wird bis heute auf der Straße erkannt

Gekniffen hätte er trotz der zu erwartenden "Haue" nicht. "Boxen ist ein harter Sport, da darf man nicht zimperlich sein." Die stattliche Börse wäre ein zusätzlicher und für ihn sicher überzeugender Grund gewesen. Und die Aussicht natürlich, einer der ganz Großen des internationalen Boxsports zu sein. Geschafft hat er es aber auch so. Bis heute wird er bisweilen noch auf der Straße erkannt. "Das ist doch der Boxer, der gegen Ali gekämpft hat", hört er meist ältere Semester tuscheln.

"Wenn du aussteigst, kriegst du keine Gage"

Was auch die Zuschauer am Fernseher spürten, das hat sich tief in Blins Erinnerungen eingebrannt: die knisternde Spannung, die unglaubliche Atmosphäre.

Als Ali in Helden-Manier die Halle betrat, nach ein paar Metern durch das Spalier begeisterter Zuschauer gleichsam durch die Seile zu schweben schien, "da wurde mir schon ganz komisch", erzählt Blin und schwärmt in bester norddeutscher Art, wie der Amerikaner "tänzelnd in den Ring stieg". Seine Aura breitete sich förmlich über dem Box-Quadrat aus. "Aber da muss man durch als Profi. Du musst Geld verdienen und wenn du kneifst, kriegst du keine Gage. Also muss man durchziehen."

Enkel Joscha auf Opas Spuren?

Durchziehen, vielleicht in seine Fußstapfen treten, will nun ein anderer Blin: Joscha, sein 24-jähriger Enkel, der just seinen ersten Profi-Kampf gewonnen hat. "Ich bin der Meinung, er hat gute Qualitäten. Er ist schnell und kann hauen. Er wird seinen Weg machen." Mit Tipps hält sich der Opa zurück. "Joscha hat ja einen Trainer."

Zwei Jahre hat er mit ihm gearbeitet und den passablen Fußballer womöglich darin bestärkt, sich gegen den Mannschaftssport zu entscheiden. Dann aber trennten sich die Wege, ohne Streit, wie Blin lachend erzählt: Tropfnass geschwitzt, habe ihm Joscha beim Seilspringen offenbart, dass nun mal Schluss sein müsse mit der familiären Zweisamkeit. "Opa", habe Joscha gesagt, "hör mal lieber auf. Sonst fällst Du noch um, und ich bin schuld."

Blin: "Wollte raus aus dem Dreck"

Die Emanzipation seines Enkels erinnert Jürgen Blin an seinen eigenen Prozess des Loslösens, den er nach schmerzhaft empfundener Kindheit als Jugendlicher durchlebt hat. "Es war ein langer Weg bei mir", sagt er. Nur weg von seinem Zuhause wollte er damals, da kam die Seefahrt als Fluchtpunkt für einige Zeit wie gerufen.

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Jürgen Blin (r.) und Sohn Knut © privat

Knut Blin: Kampf auf verlorenem Posten

Knut Blin war ebenfalls Profiboxer. "Er war der kommende Weltmeister", sagt Jürgen Blin. Doch Knut Blin ist psychisch krank, 2004 nimmt er sich das Leben. Blin über seinen Sohn. mehr

"Mit meinem Vater habe ich viel Ärger gehabt, er war Alkoholiker. Schweißer von Beruf. Der hat viel Mist gebaut. Aber ich habe es trotzdem geschafft", erzählt er. Eine Schlachter-Lehre hat er in Hamburg gemacht. Vis-à-vis ein Boxverein. "So kam ich zum Boxen, bin deutscher Amateur-Meister geworden und 1972 Europameister. Ich war besessen, wollte raus aus dem Dreck."

Harter Kerl mit weichem Kern

Doch Boxen war weit mehr für Blin, der in jungen Jahren so schüchtern war, dass er sich am liebsten verkrochen hätte. "Ich konnte kaum sprechen, war so gehemmt. Erst durch den Sport habe ich Selbstbewusstsein gekriegt." Die Erinnerungen und Emotionen überwältigen ihn, während er von den schlimmen Jahren erzählt, Tränen rinnen über sein Gesicht. "Ich möchte das nicht noch mal erleben, nicht noch mal 15 sein." Der weiche Kern des starken Mannes.

Auch Alis Schicksal mit der Parkinson-Krankheit rührt ihn noch immer. Sein Tod, der neueren Erkenntnissen der Medizin zufolge womöglich von den vielen harten Kopftreffern befördert worden ist. "Das glaube ich auch", sagt Blin. "Die harten Treffer bleiben ja nicht im Anzug stecken." Auch er habe sich nicht immer an das Rezept gehalten: "Flossen hoch und schön geschlossen bleiben". Aber er ist offensichtlich gut dabei weggekommen: "Ich bin froh, dass ich noch geradeaus gucken kann."

Blin mit 78 Jahren immer noch Trainer

Diese und andere Erfahrungen weiterzugeben, das bringt Blin auch mit 78 Jahren noch einen Riesenspaß. "Man bewegt sich und wird nicht alt", sagt er grinsend. In Winsen/Luhe trainiert er einen jungen Polizisten. Als herzensguten Kerl beschreibt er seinen Schützling: Fleißig, ehrgeizig, er will nach oben. "Der ist so wie ich früher", sagt Jürgen Blin, ballt die Fäuste - und wieder kommen ihm die Tränen.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 27.12.2021 | 14:00 Uhr

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