Hermann Rieger: Kultmasseur und HSV-Ikone
Hermann Rieger war jahrzehntelang die gute Seele des HSV. Der Physiotherapeut erlangte in Hamburg Kultstatus - und blieb trotz seiner großen Popularität stets bescheiden.
Am Ende trugen ihn die Spieler auf Händen. Hermann Rieger streckte die Arme in den Himmel, er blickte durchs weite Rund des Stadions im Volkspark und schien gar nicht realisieren zu können, dass all die Aufmerksamkeit der Fans in diesen Momenten ihm galt. Doch rund 50.000 HSV-Anhänger hatten sich am 22. Mai des Jahres 2004 nach dem letzten Saisonspiel des Hamburger Fußball-Bundesligisten gegen Eintracht Frankfurt (2:1) nur seinetwegen von ihren Sitzen erhoben. Sie zollten dem scheidenden Physiotherapeuten des Clubs nun mit Ovationen im Stehend Respekt. Minutenlang.
Nie zuvor in der deutschen Sportgeschichte war einem Masseur ein solch emotionaler Abschied bereitet worden. Aber Hermann Rieger, diese imposante Erscheinung mit dem sanften Lächeln, war auch weit mehr als ein "Kneter" und Seelsorger für die Profis. Als "Symbol für den Verein, das nicht von Marketingabteilungen gemacht wurde, sondern das die Fans und Anhänger sich selbst gesucht haben", wurde der gebürtige Bayer auf der Homepage der mächtigen Fanorganisation "HSV Supporters Club" treffend beschrieben.
Die personifizierte Loyalität
26 Jahre lang war Rieger für das Bundesliga-Gründungsmitglied tätig. Selbst für einen Physiotherapeuten ist das im schnelllebigen Erstliga-Geschäft eine Ewigkeit. Rieger war eine der wenigen Konstanten bei einem Club, der in puncto Personalpolitik in den vergangenen Dekaden nur sehr begrenzt auf Kontinuität setzte. Doch nicht nur seine Vereinstreue ließ "Hermann the German", wie sie ihn beim HSV nannten, für die Fans zu einer Ikone werden.
Rieger war die personifizierte Loyalität. Nie kam ein böses Wort über einen Profi, Trainer oder Funktionär über seine Lippen. Wenn der Masseur ein Tor bejubelte, tat er dies leidenschaftlicher als jeder Anhänger. Bei Rückschlägen hatte die Hamburger Trauer ein Gesicht: das von Hermann Rieger. An ihm, dem Bayern im hohen Norden, konnten sich die leidgeprüften HSV-Fans irgendwie festhalten. "Außer Hermann könnt ihr alle gehen", hallte es bei enttäuschenden Auftritten aus der Kurve.
"Dem HSV habe ich viel zu verdanken"
Trotz seiner großen Popularität drängte sich der Physiotherapeut nie in den Vordergrund. "Ich bin kein Star", hat er stets betont. Die Wahrheit ist eine andere. Nach Rieger ist der derzeit mitgliedsstärkste HSV-Fanclub "Hermanns treue Riege" benannt. Das Maskottchen des Bundesligisten, "Dino Hermann", trägt ebenfalls seinen Namen. Und wenn er die Spiele seines früheren Arbeitgebers besuchte, wurde er wie in alten Zeiten gefeiert, musste unzählige Hände schütteln und Autogramme geben. Und so scheint die Feststellung des "Hamburger Abendblatts": "Hermann Rieger ist wohl gleich nach Uwe Seeler der beliebteste HSVer", keineswegs übertrieben.
Netzers Lockruf erlegen
Dass Rieger jemals zu solchem Ruhm an der Elbe gelangen würde, war nicht abzusehen, als er 1978 vom damaligen HSV-Manager Günter Netzer verpflichtet wurde. "Ich habe mir gedacht, ich bleibe ein Jahr und gehe dann wieder zurück in meine Berge", sagte der am 2. Oktober 1941 im oberbayerischen Mittenwald geborene und aufgewachsene Masseur. Vor seiner Anstellung beim Hamburger Bundesligisten war Rieger als Technik-Trainer beim Deutschen Skiverband (DSV) und Physiotherapeut für den FC Bayern München tätig. Seine Mutter überredete ihn schließlich, den Umzug in den hohen Norden zu wagen. "Sie sagte: Da gibt's nette Leute", erklärte Rieger. Und tatsächlich wurde der "Kneter" in Hamburg rasch heimisch. "Ich habe hier ein tolles Umfeld gefunden und nette Leute kennengelernt. Ich bin ein richtiger HSV-Fan geworden", erzählte der gelernte Einzelhandelskaufmann.
- Teil 1: Die personifizierte Loyalität
- Teil 2: Ein Seelsorger mit heilenden Händen