Leonardo Manzi: Der Irrtum vom "kleinen Pelé"
Die Boulevard-Medien kündigten Leonardo Manzi als "kleinen Pelé" an. Doch der Brasilianer hatte mit dem Weltstar nur die Herkunft gemein. Dennoch liebten die Fans den eher rustikalen Fußballer, der 1993 sein wichtigstes Tor erzielte.
Ein Brasilianer beim FC St. Pauli? Das hatte es noch nie gegeben. Und so ließ sich die "Bild"-Zeitung 1989, als die Verpflichtung von Leonardo Manzi bekannt wurde, zu einer euphorischen Schlagzeile hinreißen: "Kleiner Pelé für St. Pauli". Es war ja auch verführerisch, einen Vergleich mit dem dreimaligen Weltmeister herzustellen. Schließlich kickte Manzi beim Pelé-Club FC Santos, war wie der frühere Ausnahmekönner Angreifer und ähnelte ihm sogar ein bisschen. Weder die verantwortlichen Redakteure des Boulevardblatts noch die Fans des Hamburger Stadtteilclubs können damals ahnen, dass sich der erhoffte Zauberer vom Zuckerhut sehr bald als mehr oder minder talentfreier Fußballarbeiter entpuppen sollte. Und doch erlangte der am 28. April in Goiania geborene Leonardo Caetano Manzi am Millerntor Kult- und Heldenstatus. Seine herzliche und ehrliche Art machte ihn zum Liebling der Massen. Ein wichtiges Tor sicherte dem "Strahlemann mit dem Zahnpasta-Lächeln" ("Die Welt") einen Platz in den Geschichtsbüchern des Clubs.
Ein Tor für die Ewigkeit
Es ist der 6. Juni 1993, als Manzi für den St.-Pauli-Anhang unsterblich wird. Die Hamburger stehen am letzten Zweitliga-Spieltag unter Zugzwang. Nur ein Erfolg im Derby gegen Hannover 96 sichert ihnen den Klassenverbleib. 73 Minuten lang haben gelungene Aktionen des Brasilianers wie so häufig zuvor Seltenheitswert. Coach Josef "Seppo" Eichkorn lässt den glücklosen Sturmhünen dennoch auf dem Feld. Und Manzi setzt zum entscheidenden Kopfball seiner Karriere an: Nach einer Flanke von Jürgen Gronau drückt er den Ball zum 1:0-Endstand über die Linie. "Leo" hallt es durch das baufällige Stadion. Nicht einmal. Nicht zweimal. Immer wieder. Ein ganzer Stadtteil ist nach dem versöhnlichen Ende einer turbulenten Spielzeit im Freudentaumel und Manzi scheint endlich an der Elbe angekommen. Zehn Tore schlagen am Ende der Serie 1992/1993 für den 1,87 Meter großen Angreifer zu Buche. Ein ordentlicher Wert für einen, der in den vier Jahren zuvor nur vier Mal ins Schwarze getroffen hatte.
"Grimassen wie der dumme August im Zirkus"
Manzi hat seine Kritiker eines Besseren belehrt. Zunächst verstummen die Spötter, die ihm nachsagen, er sei der "einzige Brasilianer, der nicht Fußball spielen könne". Ein "kleiner Pelé", wie von der "Bild" anfangs versprochen, ist indes auch nicht aus ihm geworden. Technisch und taktisch offenbart Manzi noch immer gravierende Defizite. Der Hamburger Publizist Kay Sokolowsky charakterisiert St. Paulis Kultprofi in seinem Buch "Ballhunger. Vom Mythos des brasilianischen Fußballs", wie folgt: "Er rannte wie nicht gescheit den Platz hinauf und hinunter, stolperte über die eigenen Beine, forderte Bälle, ohne sie dann annehmen zu können, versiebte die schönsten Chancen, schnitt anschließend Grimassen wie der dumme August im Zirkus und entwickelte zudem kein Gefühl für die Grenzen seines Körpers." Ein vernichtendes Urteil, das der Wertschätzung der Fans für "Leo" jedoch keinen Abbruch tut. Manzi ist das Paradebeispiel eines etwas anderen (unbegabten) Berufsfußballers und passt damit perfekt zum FC St. Pauli, der sich in diesen Jahren selbst zunehmend als einen etwas anderen Club definiert. Es ist hypothetisch, aber doch sehr wahrscheinlich, dass kein anderer deutscher Profiverein so viel Geld und Geduld in Manzi investiert hätte.
Maslo wirft Manzi aus dem Kader
Der ungelenke Brasilianer zahlt das Vertrauen primär mit Einsatzwillen und Leidenschaft zurück. Das Tor trifft er nur noch selten, sodass er sich schließlich als Verteidiger versuchen muss. Doch auch auf dieser Position genügt er bald nicht mehr den Ansprüchen von Coach Uli Maslo, der die Hanseaten 1995 sensationell zurück in die Bundesliga führt. Der Trainer hat wenig Sinn für Humor und Kult und verbannt Manzi nach dem Aufstieg ins Amateurteam der Kiezkicker. Die Bühne ist für den Strahlemann nun eine kleinere, die Unterstützung noch immer verhältnismäßig groß. Dutzende Anhänger folgen ihm bei seiner Tingeltour durch die Fußball-Peripherie. Nach seinem letzten Einsatz für die Zweitvertretung im Spiel beim VfB Oldenburg (0:2) fährt Manzi mit dem Fanbus zurück nach Hamburg. Als Geschenk erhält er von den Mitreisenden eine Dartscheibe. Auf dieser sind lauter Porträtfotos von Maslo befestigt.
Spätes Ende einer langen Laufbahn
Manzi verlässt das Millerntor im Streit mit dem Trainer, aber ohne Zorn. Zu schön war die Zeit, groß ist die Verbundenheit mit dem Club sowie den Fans. Er schließt sich dem Regionalligisten Hannover 96 an. Dort hat Coach Reinhold Fanz eine junge Mannschaft beisammen, die begeisternden Fußball zelebriert. Manzis Mitspieler heißen unter anderem Gerald Asamoah, Otto Addo und Fabian Ernst. Für den rustikalen Brasilianer bleibt im Ensemble der späteren Nationalspieler nur eine Nebenrolle. "Er stand meistens mit dem Ball auf Kriegsfuß, war aber immerhin ein lustiger Kerl", schrieb die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" einmal. Nach zwei Jahren ist auch seine Zeit bei den "Roten" abgelaufen. Ans Aufhören verschwendet er trotz ausbleibender Offerten von höherklassigen Vereinen keinen Gedanken. Es folgen Engagements beim BV Cloppenburg, mehreren brasilianischen Clubs sowie schließlich von 2006 bis 2008 beim SV Wilhelmshaven. Im Alter von 38 Jahren hängt Leonardo Caetano Manzi seine Fußballschuhe an den berühmten Nagel. Und auch wenn er auf keiner seiner vielen Stationen als "kleiner Pelé" in Erinnerung geblieben ist, gemocht wurde der Mann mit dem großen Kämpferherz überall.