Egon Müller: Der Tausendsassa des Motorsports
Speedway ist in Deutschland fast in Vergessenheit geraten. Das war in den 1980er-Jahren noch anders, als Egon Müller die Pisten unsicher machte. Der Kieler war ein echter Star, weit über die Motorsport-Szene bekannt. Und gesungen hat er auch noch.
4. September 1983: das Motodrom - ein Hexenkessel. 35.000 begeisterte Motorsportfans sind in die ostfriesische Gemeinde Halbemond bei Norden gekommen und wollen das Weltmeisterschaftsfinale im Speedway sehen. Die meisten sind wegen Egon Müller hier. Blondes, lockiges Haar, glitzernder Brilli im Ohr, sympathische Ausstrahlung. Ein Typ "Marke Sonnyboy". Er ist der Lokalmatador, er hat das Publikum an diesem Sonntag hinter sich. In Kiel geboren, 34 Jahre alt und mit der großen Chance, als erster deutscher Fahrer Speedway-Weltmeister zu werden. Startschuss: Müller kommt nicht weg. Er fällt zurück, kann aber mit einem riskanten Manöver in der ersten Kurve wieder auf Platz zwei vorrücken - hinter Hans Nielsen. Der Däne dominiert das Finale, fällt aber vor der letzten Runde aus. Müller zieht vorbei und überquert kurz darauf mit hochgezogenem Vorderrad die Ziellinie. Sieg. Der neue Weltmeister mag es spektakulär - nicht nur an diesem Tag.
Mit 150 Stundenkilometern in die Kurve
Bis heute ist Müller der einzige deutsche Speedway-Weltmeister. Eine Sportart, die fast in Vergessenheit geraten ist. Müller ist ein Unikum in der Motorrad-Szene. Ein Ausnahmeathlet der 1970er- und 1980er-Jahre. Bahnrennen mit Motorrädern. Beschleunigen - nicht bremsen. Mit bis zu 150 Stundenkilometern legen sich die Piloten in die Kurven. Ein Teufelsritt auf Gras- oder Sandpisten. Nur die kühnsten und mutigsten Fahrer gewinnen. Müller gehört dazu. Neben dem Titel im Speedway, der Kurzstrecke, gewinnt er dreimal auf der Langstrecke. Insgesamt feierte er 785 Rennsiege, ist achtfacher Europameister und 17-facher deutscher Meister. In seiner Karriere hielt er zwischenzeitlich 33 Bahnrekorde und drei Geschwindigkeitsrekorde. "Mich konnten fast zwei Jahrzehnte lang eigentlich nur ein Kettenriss, ein Gasseilriss, ein abgebrochener Spritschlauch oder irgendeine kaputte Zündkerze stoppen. Niemals Gegner", blickt der Mittsechziger heute zurück.
Jüngster Spross einer Artistenfamilie
Er konnte sich durchbeißen. Das lernte er schnell. Als jüngstes Kind einer Artistenfamilie mit zwölf Geschwistern wählte er früh das Zweirad als seinen ständigen Begleiter. "Alle haben irgendwas gekonnt im Zirkus. Ich hatte überlegt: Was kann ich denn? Ich kann am besten mit dem Fahrrad fahren. Also bin ich dann schon die Prinzenstraße in Eckernförde runtergefahren mit einem Fuß auf dem Sattel und einem auf dem Lenker. Und das rückwärts", erinnert er sich. Mit elf Jahren bekam er vom Vater sein erstes Motorrad - besorgt vom Schrottplatz für fünf Mark. Müllers Leidenschaft war geweckt, er bastelte nächtelang an seiner Maschine und legte los. Ein erster Stunt über das Dach einer Gartenlaube, der erste Start bei einem Geländerennen - wohlgemerkt ohne Führerschein -, und das erste Sandbahnrennen. Zunächst nur als Zuschauer.
Eine Flasche Whiskey gibt den Ausschlag
Das Rennen auf der Sandbahn fixt ihn an. Adrenalin schießt durch seinen Körper. Faszination. "Wenn ich da mitfahre, würde ich niemals Letzter werden", sagt Müller zu seinen Kumpels. Die setzten dagegen. Wetteinsatz: eine Flasche Whiskey. Beim nächsten Rennen meldet sich Müller an - und wird Zweiter. Den guten Tropfen lässt er sich schmecken, genauso wie den tosenden Applaus von den Rängen. Müller will mehr, er will ganz nach oben aufs Treppchen. Deswegen arbeitet er hart an sich und schraubt weiter an seinem Gefährt. Er meldet sich zu weiteren Rennen an, gewinnt und verdient damit gutes Geld.
- Teil 1: Mit 150 Stundenkilometern in die Kurve
- Teil 2: Ein Held der Rennbahn