THW Kiel, erste Handball-Frauen © Michael Schwarz
THW Kiel, erste Handball-Frauen © Michael Schwarz
THW Kiel, erste Handball-Frauen © Michael Schwarz
AUDIO: Die Handballerinnen des THW Kiel - "Spaßtruppe" tief im Schatten der Männer (3 Min)

Die Handball-Frauen des THW Kiel: "Spaßtruppe" tief im Schatten der Männer

Stand: 06.02.2024 08:35 Uhr

Bei den Handball-Männern ist der THW Kiel mit 23 deutschen Meisterschaften Rekordmeister. Das erste Frauenteam des Vereins ist weit unten im Ligensystem angesiedelt, spielt vor spärlich besetzten Rängen. Warum ist der Unterschied so radikal? Der NDR zu Besuch in einer anderen THW-Welt.

von Christian Görtzen

Dunkel ist es und still. Nur ein schmaler Lichtspalt, der aus der oberen Fensterreihe des klotzigen Gebäudes dringt, weist den Weg zur Halle. Nach dem beherzten Aufschwingen der Tür befindet sich im Eingangsbereich - nichts und niemand! Keine Kasse, kein Verkaufsstand von Kuchen, Würstchen und Getränken, kein kleiner Stand mit THW-Schals oder -Mützen, kein einziger Mensch, der sich mit einem Lächeln auf das Spiel freut.

Musik ist auch hier nicht zu hören. Stattdessen dringen - durch eine offenstehende Tür - Geräusche von aufploppenden Bällen und vereinzelt Frauenstimmen ans Ohr.

Tausende bei Heimspielen der THW-Männer, ...

Also, hindurch und hinaus auf die Tribüne! Dem Auge bietet sich ein fast unwirklicher Anblick - verglichen mit den Heimspielen der ersten Männermannschaft des THW Kiel, dem deutschen Handball-Rekordmeister.

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In der 10.250 Zuschauer fassenden Arena im Herzen der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt wird jedes Mal schon vor dem Anpfiff das ganz große Rad gedreht, eine gewaltige Show gezündet mit Verdunklung, Feuerfontänen beim Einlaufen der THW-Profis und Tausenden von Handylichtern auf der Tribüne. Es ist eine riesige Party mit ganz viel Jubel. So wird es auch wieder am Mittwoch gegen den SC Magdeburg sein.

... exakt 28 beim Heimspiel der THW-Frauen

Hier, in der Schulsporthalle der IGS Friedrichsort am nördlichen Rande Kiels, ist gefühlt kaum ein Außenstehender zu Besuch beim Heimspiel eines ersten Teams des großen THW Kiel - des ersten Frauenteams des Vereins. Auf der Tribüne sitzen zumeist Verwandte und Freundinnen sowie verletzte Spielerinnen.

Hier betätigt auch niemand am Smartphone den Button für die Licht-Funktion und hält vorfreudig das Telefon nach oben. Hier geht noch nicht einmal zufällig irgendwo ein Feuerzeug an, als sich unten die Spielerinnen von THW-Trainer Michael Schwarz für ihr Heimspiel in der siebtklassigen Regionsoberliga gegen den Wellingdorfer TV (32:20) aufstellen.

Exakt 28 Personen verteilen sich auf den harten Holzbänken der Tribüne. Acht davon geben sich recht bald als Support für die Gäste zu erkennen. Zwei kleinere Kinder hüpfen lieber über die Bänke. Bleiben somit 18 Personen, die sich über gute Aktionen der THW-Frauen freuen und diese beklatschen. Weiter unten steht Schwarz stoisch auf der langen Holzbank. Er hat diesmal nur zwei Ersatzspielerinnen neben sich sitzen, eine für das Feld, eine für das Tor. Der Spielstand wird per Klappkarten angezeigt.

Warum ist beim THW das Interesse am Frauenhandball so gering?

Einerseits ließe sich sagen: "Alles schön geerdet hier!" Andererseits drängen sich aber Fragen auf: Wie kann es sein, dass die Diskrepanz zwischen dem ersten THW-Team der Männer und der Frauen so derart gewaltig ist? Warum hat der Vorzeigeclub im deutschen Handball so wenig Interesse daran, auch ein Frauenteam im Ligensystem nach oben zu hieven - schon aus einem gewissen Selbstverständnis heraus? Und: Ließen sich angesichts eines Zwölf-Millionen-Euro-Etats bei den Männern nicht auch etwa 200.000 bis 250.000 Euro abzwacken, um ein Frauenteam in der Dritten oder gar Zweiten Liga mitmischen zu lassen?

Der TSV Nord Harrislee ist zum Beispiel nach Medienberichten mit einem Etat von 240.000 Euro in die aktuelle Saison der 2. Handball-Bundesliga der Frauen gegangen.

"Das kostet auch schon viel Geld." Olaf Berner, Vereinsvorsitzender THW Kiel

Eines dürfe hier nicht außer Acht gelassen werden, sagt Olaf Berner, Vereinsvorsitzender des Turnverein Hassee-Winterbek e. V. von 1904. "Die Bundesliga-Mannschaft ist eine ausgegliederte Firma aus dem Verein. Und wir haben als Folge der Bundesligamannschaft die Verpflichtung, dass wir unseren männlichen Jugendhandball qualitativ hochhalten, um das Jugendzertifikat zu erhalten. Da müssen die Mannschaften von der U15 bis zur U23 bei der sportlichen Leistung sehr hohe Anforderungen erfüllen - und das kostet auch schon viel Geld."

Nur ein einziges Frauenteam beim THW Kiel, keine Mädchenteams

Der ehemalige Bundesligaspieler macht aber auch ein Zugeständnis: "Grundsätzlich stimme ich natürlich zu, dass der Frauenhandball beim THW Kiel eine untergeordnete Rolle spielt. Und ich stimme auch zu, dass der Frauenhandball gefördert werden muss." Dies habe sich aber in der Historie des Vereins nie so ergeben, so Berner. Mit der Folge, dass es aktuell beim THW nur noch ein einziges Frauenteam gibt und keinen Unterbau im weiblichen Bereich, also keine Mädchenteams.

THW Kiel, Johanna Matthiesen von den ersten Frauen © Christian Görtzen
THW-Spielmacherin Johanna Matthiesen

Spielmacherin Johanna Matthiesen zählt mit ihren 32 Jahren zu den Jüngeren im Frauenteam der "Zebras". Sie stellt eines gleich einmal klar: "Ich spiele total gerne beim THW. Und ich finde auch nicht, dass man das mit den Männern vergleichen kann. Wir machen das alle zum Spaß, trainieren einmal die Woche. Viele sagen immer: 'Oh, ihr spielt beim THW - Wahnsinn!' Und dann sage ich: 'Nee, in Kiel und um Kiel herum - mehr nicht!'"

Sie und ihre Mitspielerinnen seien "einfach nur froh, dass wir überhaupt eine Mannschaft, einen Verein haben, wo wir spielen können. Ich finde, für den THW ist das auch schön. Ansonsten wäre das ja aber auch traurig. Weil man sonst denken würde: 'Oh, der THW Kiel, so ein riesiger Verein - und dann gibt es gar keine Frauenmannschaft?"

"Natürlich ist das schade für den Frauensport." Johanna Matthiesen, Spielmacherin der THW-Frauen

Mit der Ausrichtung des THW komme sie klar. Leicht, das räumt die Lehrerin ein, sei das aber nicht immer gewesen. "Klar, denken wir oft: Na, toll, die Jungs kriegen irgendwie alles. Früher in der Oberliga gab es immer die Frage, wer mit Harz spielen darf und wer nicht. Die Jungs aus der C-Jugend verkleben die Bälle bis sonst wohin, und uns verbieten sie das. Aber ich kann es auf der anderen Seite auch nachvollziehen, dass der Verein sagt: 'Wir haben irgendwie nur die und die Kapazitäten, und wir haben uns halt auf den Jungs- und Männersport spezialisiert.' Natürlich ist das schade für den Frauensport, aber ich glaube, wir als Mannschaft haben uns schon längst damit abgefunden."

Trainer Schwarz äußert einerseits Verständnis für die Handlungsweise des THW. "Im männlichen Bereich ist die Hoffnung so: Starker B-Jugendspieler wird starker A-Jugendspieler und kann dann eventuell in die Bundesligamannschaft aufgenommen werden. Und dann würde der Verein natürlich wahnsinnig viel Geld sparen, hinzu kommt das Renommee: Junge Spieler aus der Region, das finden die Leute natürlich toll. Und ein finanzielles Ding ist es natürlich auch, wenn man für 200.000 oder 300.000 Euro fertige Spieler holen muss oder die für schmales Geld selbst fabrizieren kann."

Andererseits sieht der Coach beim THW Kiel aber auch ganz viel Luft für Verbesserungen im weiblichen Bereich. "Ich will jetzt nichts gegen den Verein sagen. Wir spielen gerne hier, fühlen uns aufgehoben, alles ist in Ordnung. Aber ich würde mir von einem solch großen Handballverein eigentlich wünschen, dass da mehr Engagement im Frauen- und Mädchenhandball vorhanden ist. Die aktuelle THW-Mannschaft der Frauen besteht aus ehemaligen Oberliga-Spielerinnen, die auch wirklich leistungsmäßig gespielt haben und jetzt mehr oder weniger eine Spaßtruppe sind."

Klagen über fehlende Hallenzeiten

Neben dem finanziellen Einsatz gebe es auch infrastrukturelle Zwänge, so der Vereinsvorsitzende Berner. "Wir haben keine Hallenzeiten." Natürlich ließen sich letztlich welche finden, wenn es ein ambitioniertes Projekt im Frauenhandball gäbe, aber leicht sei so etwas dennoch nicht. "Selbst unsere Bundesligamannschaft hat noch vor fünf Jahren, als das Leistungszentrum in Altenholz noch nicht stand, auch in einer normalen Schulsporthalle trainiert und im Geräteraum die Videositzungen abgehalten. Diese Hallenzeiten sind in einer Stadt nicht so leicht zu finden."

Auch SG Flensburg-Handewitt ohne weibliche Teams

Das wird auch vom nördlichen Nachbarn SG Flensburg-Handewitt bestätigt. Dort hatte es im Sommer 2008 mal den Versuch gegeben, ein Frauenteam auf die Beine zu stellen. Es war nur ein kurzes Aufflackern, wie Lewe Volquardsen, Abteilungsleiter Handball beim TSB Flensburg, einräumt.

Seitdem läuft der weibliche Handball über den Handewitter SV - neben dem TSB die andere Handballabteilung, aus welcher die SG entstanden ist. "Es tut uns in der Seele weh", sagt Volquardsen im Telefongespräch zum Fehlen von weiblichen Teams bei der SG. "Es mangelt immer zuerst an den Hallenzeiten."

FA Göppingen mit ambitioniertem Frauen-Team

Bei den anderen norddeutschen Bundesligaclubs der Männer ist es wie folgt: Der HSV Hamburg verfügt über keine weiblichen Teams, bei der TSV Hannover-Burgdorf gibt es immerhin ein Landesliga-Team, das als TSV Burgdorf am Spielbetrieb teilnimmt.

Von den 18 Clubs der Männer-Bundesliga gibt es derzeit keinen, der auch in der Bundesliga der Frauen ein Team hat. Frisch Auf Göppingen steht aber vor der Rückkehr ins Oberhaus, in welchem die Frauen des Clubs auch mehrere Jahre am Stück gespielt haben. Zudem spielen die Füchse Berlin in der Zweiten Liga.

Harter Konkurrenzkampf um Sponsoren in Kiel

Dafür, das weiß natürlich auch der THW-Vereinsvorsitzende Berner, bedarf es eines gewissen finanziellen Einsatzes. "Überall dort, wo Spitzensport entstanden ist, kann er nur existieren, wenn das nötige Geld da ist. Dieses Geld bekommen wir weder mit 28 Zuschauern noch allein mit den 10.000 Zuschauern bei der Männermannschaft des THW. Man muss natürlich Sponsoren haben. Und es gibt da ja auch noch einen großen Fußballverein, der darauf angewiesen ist." Gemeint ist Holstein Kiel.

Beim Frauenhandball sei es "schwierig, etwas aus dem Boden zu stampfen. Und da würde ich gar nicht auf die Idee kommen", sagt Berner und macht zugleich deutlich, dass es kein kategorischer Verzicht ist. "Da müsste schon jemand kommen und sagen: 'Jetzt legen wir mal los!' Dem würden wir sicherlich keine Steine in den Weg legen." Der 74-Jährige räumt ein, dass dies wohl nicht allzu realistisch sein wird: "Man soll ja nie nie sagen. In absehbarer Zeit wird das aber nicht der Fall sein."

Also vorerst weiterhin ein erstes Frauenteam des THW Kiel, das tief im Kernschatten der Männer mit Spaß, aber ohne große Ambitionen den Lieblingssport betreibt, vor fast leeren Rängen. Berner: "Das ist die Realität - jawohl. Die harte Realität."

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