Magath und das "magische Dreieck" - VfL Wolfsburg wird Meister
2009 wird der VfL Wolfsburg überraschend deutscher Fußball-Meister. Mit einem legendären Offensivtrio und Trainer Felix Magath. Gleichzeitig markiert der Titelgewinn der "Wölfe" einen Wendepunkt im deutschen Fußball.
Gut 3.000 Minuten dauert eine Saison in der Fußball-Bundesliga für jedes Team. Viel Zeit für Wendungen, Höhepunkte und Enttäuschungen. Doch manchmal verdichtet sich die Spielzeit in wenigen Sekunden. So am 4. April 2009 in Wolfsburg: VfL-Stürmer Grafite schnappt sich den Ball, umkurvt erst die Bayern-Verteidiger Christian Lell und Andreas Ottl, dann Keeper Michael Rensing und mit aller Chuzpe schießt er ihn per Hacke ins Tor. "Noch heute spricht man mich überall auf das Tor an, egal ob in Asien, Südamerika, zu Hause in Brasilien immer, und erst recht, wenn ich nach Deutschland komme", erinnert sich Grafite.
5:1-Sieg gegen Bayern München der Schlüsselmoment
Der Treffer ist der Schlusspunkt eines spektakulären 5:1-Erfolgs der Wolfsburger gegen Bayern München. Jeder im Stadion spürt, dass in diesem Moment eine Wachablösung stattfindet. Magath treibt die Demütigung seines Ex-Vereins auf die Spitze, indem er in der letzten Minute noch den Torwart auswechselt. Die "Wölfe" ziehen am Titelverteidiger vorbei und übernehmen am 26. Spieltag erstmals die Tabellenführung. "Da hatte ich die Überzeugung, dass wir es schaffen können", so Stürmer Edin Dzeko. Am 23. Mai feiert Wolfsburg die Meisterschaft, nach einem 5:1 gegen Werder Bremen am letzten Spieltag.
"Magisches Dreieck" mit Grafite, Dzeko und Misimovic
Magath sieht sein Werk vollendet: Als Trainer und Manager in Personalunion hat er die vollständige Macht beim VfL. Der damalige Volkswagen-Boss Martin Winterkorn hat Fußball zur Chefsache erklärt und stellt Magath nach dessen Amtsantritt im Juli 2007 fast unbegrenzte finanzielle Möglichkeiten zur Verfügung, die dieser für ein wildes Hire-and-Fire-System nutzt. Die Spielerfluktuation ist gewaltig, doch in der Rückrunde 2008/2009 hat Magath seine Formation gefunden: Eine solide Defensive mit Keeper Diego Benaglio und dem Italiener Andrea Barzagli sowie ein extrem laufstarkes Mittelfeld, das von Kapitän Josue geführt wird.
Vor allem aber eine Offensive, die ihresgleichen sucht. Grafite wird mit 28 Treffern (in nur 25 Einsätzen) Torschützenkönig, Dzeko ist 26 Mal erfolgreich, 21 Mal allein in der Rückrunde. 54 Tore für ein Sturmduo sind ein Bundesliga-Rekord, der noch heute Bestand hat. Gelenkt wird das Spiel vom genialen Zvjezdan Misimovic, der insgesamt 20 Treffer vorbereitet.
Das letzte Hurra des Helden-Fußballs
Wolfsburgs Meisterschaft ist das letzte Hurra des alten Helden-Fußballs, der - vereinfacht gesagt - darauf basiert, dass die besten Einzelspieler es aufgrund ihrer Qualität schon irgendwie richten werden. Der VfL hat in dieser Saison die höchste Qualität, das Team spielt sich in einen wahren Rausch und gewinnt in der Rückrunde 14 von 17 Partien. Auch als wenige Wochen vor Saisonende bekannt wird, dass Magath zu Schalke 04 wechseln wird, gibt es keinen Spannungsabfall, im Gegenteil: "Die Mannschaft ist danach zusammengerückt und hat sich gesagt: jetzt erst recht", betont der Meistercoach.
Von Platz neun in der Winterpause spielt sich der VfL bis an die Spitze. Das taktische Konzept ist dabei relativ simpel: Acht Profis sorgen für eine stabile Grundordnung, das Offensivtrio erledigt den Rest. Und natürlich ist die Mannschaft topfit. Grafite: "Dieses Fitnesslevel, das ich unter Felix Magath hatte, habe ich nie wieder erreicht."
Besondere Genugtuung für Magath
Für den Coach ist der Titel eine Riesengenugtuung. Schließlich war er gut zweieinhalb Jahre zuvor nach zwei Doubles unehrenhaft bei den Bayern entlassen worden. Magath geht als Meister zu Schalke 04 und führt den Club ein Jahr später auf Rang zwei. Seine Methoden fallen jedoch mehr und mehr aus der Zeit, der Spitzenfußball in Deutschland entwickelt sich rasant weiter. Jürgen Klopp formt Borussia Dortmund von einem Fast-Absteiger nahe der Pleite zur aufregendsten Mannschaft der Bundesliga.
Auch die Bayern ziehen die Konsequenzen aus der Demütigung 2009 und verstehen, dass ein starker Trainer sowie ein langfristig angelegtes Konzept die Zukunft sind. Der Erfolg der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2010 ohne Michael Ballack, den größten Helden des Helden-Fußballs, öffnet schließlich auch vielen Skeptikern die Augen, dass eine neue Zeit angebrochen ist, was sich auch in der Meisterliste manifestiert. Seit dem Wolfsburger Triumph haben zweimal Dortmund und zwölfmal der FC Bayern (zuletzt elf Jahre in Folge) den Titel gewonnen.
Grafites Treffer für die Ewigkeit
Doch auch wenn sich die Erfolgsliste der Bayern endlos fortschreiben sollte, in Vergessenheit dürfte die Meisterschaft des VfL Wolfsburg 2009 nicht geraten. Denn wer einmal gesehen hat, wie Grafite die Bayern-Defensive austanzt und mit der Hacke vollendet, dem wird dieses Tor für alle Zeit in Erinnerung bleiben.