St. Pauli gegen HSV: Hamburg feiert den Frauenfußball
Mit knapp 20.000 Zuschauern hat das Pokal-Derby zwischen dem FC St. Pauli und dem HSV einen Hamburger Rekord aufgestellt. Der stimmungsvolle Abend könnte den Neuanfang des Frauenfußballs in der Hansestadt befeuern.
Um 20.21 Uhr erfüllt sich Mirkos Wunsch dann doch noch: "Song 2" von Blur, die Tormusik der Braun-Weißen, dröhnt aus den Boxen des Millerntor-Stadions. Joline Floeter hat nach einem Lattenabpraller den Ball über die Linie gedrückt und bringt die Stimmung auf Gegengerade und Haupttribüne zum Überkochen. Der Ehrentreffer der St.-Pauli-Frauen beim sportlich einseitigen 7:1-Pokal-Erfolg des Hamburger SV ist der Höhepunkt der kollektiven Feierstimmung, die in den 90 Minuten dieses Derbys zuvor einer Art Steigerungslauf geglichen hatte. Ein Ur-Schrei unter den Anhängern der Regionalligistinnen - und "Song 2" für Mirko.
Rund vier Stunden vorher sitzt der 53-Jährige mit seinem Sohn Ennis vor der Gegengerade. Viele, die es mit dem FCSP halten, sind hier versammelt. Um entweder noch Tickets zu holen, sich beim Fanladen auf das größte Frauen-Fußballspiel in der Geschichte der Hansestadt einzustimmen oder, wie die beiden, auf Freunde zu warten. Ein Tor für ihre Farben wünschen sie sich - und laute Gesänge. Beides gibt es an diesem Abend.
"Es ist richtig schön, dass die Ultras da sind und unterstützen." St.-Pauli-Fan Mirko
"Es ist schöner, authentischer, sehr geerdet", sagt Mirko. Seit der Europameisterschaft 2022 in England beschäftigen sich die beiden, die im Viertel wohnen, verstärkt mit dem Frauenfußball in Deutschland und freuen sich, dass der Support wächst: "Es ist richtig schön, dass die Ultras da sind und unterstützen."
Und in der Tat, die Ultras von St. Pauli sind da. Und sie sind viele. Die Südtribüne bleibt geschlossen, die Gegengerade aber ist gerappelt voll. Schon eine Dreiviertelstunde vor Beginn der Partie gibt es ein inniges verbales Hamburger Hin und Her zwischen St.-Pauli- und HSV-Anhängern. Denn auch der Gästeblock ist schon lange vor Anpfiff gut gefüllt, die Rothosen konnten sogar mehr Tickets absetzen, als ihnen vom Kontingent her zugestanden hätte.
St. Pauli gegen HSV: Weite Anreise für das Pokal-Derby
Als die Fans des HSV um kurz vor 17 Uhr, von der Polizei begleitet, den U-Bahnhof Feldstraße passieren, werden sie derby-standesgemäß mit ein paar derben Worten begrüßt. Allerdings tragen die drei Jungs, die sich kurz danach verdrücken, kein braun und weiß, wie man es vermuten könnte bei einem Heimspiel des FC St. Pauli, sondern Werder-Grün. Amtshilfe für die Gastgeber aus Bremen also. Die Anhänger der Rothosen nehmen es gelassen zur Kenntnis. Zwei von ihnen sind Birte und Dominik. Sie sind eigens für die Partie aus dem Kreis Stade und aus Kiel angereist. Die beiden 27-Jährigen gehen in der Saison fünf- bis sechsmal zu den Männern ins Volksparkstadion. Jetzt aber wollen sie mal das Millerntor sehen und die Zweitligistinnen ihres Vereins unterstützen.
Sie hatten schon häufiger überlegt, zu einem Spiel der HSV-Frauen zu gehen, nun habe es endlich gepasst. Und sie könnten sich durchaus vorstellen, künftig auch in den Sportpark Eimsbüttel zu gehen, wo die Mannschaft ihre Heimspiele austrägt, sagen sie. Ihr Interesse am Frauenfußball reiche schon lange zurück - bis zu den Weltmeisterschaften 2007 und 2011. "Es waren vor allem Länderspiele", sagt Birte. Mittlerweile aber würden sie auch deutlich mehr Club-Fußball schauen - Spitzenspiele in Bundesliga und Champions League, vor allem den VfL Wolfsburg.
"Ich hoffe, dass mehr Menschen Frauenfußball schauen." St.-Pauli-Anhängerin Josi
Das deutsche Frauenfußball-Aushängeschild unterstützt auch Josi, 18 Jahre alt, aus Eidelstedt. Wenn sie nicht gerade die Männer des FC St. Pauli in der 2. Liga auf der Gegengerade gemeinsam mit ihrer Mutter Nicole anfeuert. Vergangene Saison waren sie bei 14 der 17 Heimpartien am Millerntor. Auch sie hatten schon länger eine Begegnung der Frauen ihres Vereins besuchen wollen.
Nicole freut sich insbesondere auf die Derbystimmung und die Atmosphäre im Stadion zu diesem Anlass. Ihre Tochter, deren Idole die "Wölfinnen" Alexandra Popp und Merle Frohms sowie die Frankfurterin Laura Freigang sind und die auch schon mal für ein Champions-League-Spiel nach Wolfsburg fährt, erhofft sich - auch durch die TV-Übertragung -, "dass mehr Menschen Frauen-Fußball schauen". Ein (Neu-)Start für den über lange Zeit darbenden Frauenfußball in Hamburg könnte an diesem Abend auf jeden Fall gelingen. Denn die fußballerisch einseitige Partie wird von beiden Fanlagern - vom Einmarsch zu "Hells Bells" und roten Bengalos entlang der kompletten Gegengerade bis zum ekstatischen Torjubel in der 90. Minute - mit ausdauernden Gesängen gefeiert.
"Das Abmelden aus der Bundesliga ist beschämend gewesen." HSV-Fan Akos
Genau einen solchen Impuls hatte sich Akos für den Fußballfrauen-Standort Hamburg vor der Partie gewünscht, als er sich auf den Weg in Richtung Gästeblock macht. Das Abmelden des HSV aus der Frauen-Bundesliga im Jahr 2012 empfindet er auch heute noch als "beschämend". Für die Spiele der Männer im Volkspark hatte der 43-Jährige jahrelang eine Dauerkarte, jetzt unterstütze er häufiger vom TV aus, wie er mit einem Augenzwinkern sagt. Zum Spiel hat er seinen Sohn Bence, 10, und dessen Kumpel Hugo, 6, mit dabei: "Ich bin HSVer und unterstütze die Mannschaften des Vereins", sagt er. Mittlerweile seien sie häufiger auswärts unterwegs. Nach Hannover sind sie neulich gefahren, jetzt wolle er beiden Jungs die Atmosphäre im Gästeblock am Millerntor zeigen.
Die Fans auf der Nordtribüne, wo der Gästeblock liegt, haben an diesem Abend genug Grund zum Jubeln. Gleich sieben Mal. Doch auch ohne die Tore: 90 Minuten Fangesänge, Frotzeleien in Richtung der Gastgeber, Pfeifen auf die umgehende verbale Replik von der Gegengerade. Derby halt.
"Es muss mehr Gleichberechtigung geben." HSV-Fan Ronald
Unter der Haupttribüne stehen Ronald, 68, blau-schwarzer Schal, Rauten-Cap, und Peter, 69, St.-Pauli-Schal, keine Cap. Warum sie da sind? Zunächst mal wollten die beiden Männer, die sich über ihre Frauen kennengelernt haben, "endlich mal wieder ein Fußballspiel zusammen schauen". Ronald ist noch zu Oberliga-Zeiten erstmals zu den Rothosen gegangen - Peter, seit er 1985 nach Hamburg gekommen ist, immer wieder ans Millerntor. Viel Frauenfußball haben sie noch nicht gesehen, erzählen sie. "Unterklassig, in Egenbüttel mal", sagt Peter. Das ist im Kreis Pinneberg. Doch auch sie verfolgen die weite Welt des Frauenfußballs seit dem zweiten Platz der deutschen Nationalmannschaft bei der EM 2022 intensiver. "Mir gefällt, dass die Frauen Schiedsrichter-Entscheidungen anders akzeptieren, als die Männer", erklärt Peter. "Ich hoffe, dass das so bleibt." Was hingegen nicht so bleiben dürfe, sei die Ungleichheit zwischen Frauen- und Männerfußball, sind sich die beiden in den Farben getrennten Freunde einig. "Da muss es mehr Gleichberechtigung geben", findet Ronald.
Dominik, der für das Spiel den Weg aus Kiel auf sich genommen hatte, sagt, dass man "gerade nach der aus deutscher Sicht enttäuschenden WM jetzt unterstützen" müsse. Daher sei es toll, dass sich im Frauenfußball bei beiden großen Vereinen viel tue: "Da entsteht was in der Stadt." 19.710 Zuschauerinnen und Zuschauer konnten das am Freitag am Millerntor sehen und feierten noch 15 Minuten nach Abpfiff beide Mannschaften an diesem Hamburger-Frauenfußball-Rekordabend. Das dann aber doch in den Farben getrennt, versteht sich.