Kommentar zum FC St. Pauli: Hürzeler-Abschied ist verkraftbar
Kurz vor der neuen Bundesliga-Saison muss Aufsteiger FC St. Pauli den Abschied von Erfolgscoach Fabian Hürzeler verkraften. Warum dennoch keine Untergangsstimmung am Millerntor aufkommen muss, erklärt Johannes Freytag aus der NDR Sportredaktion in seinem Kommentar.
Gerade einmal vier Wochen ist es her, da ließ sich Fabian Hürzeler im Millerntorstadion auf den Schultern der Fans feiern. Nur eineinhalb Jahre nachdem er den Club in höchster Abstiegsgefahr übernommen hatte, führte er die Braun-Weißen in die Bundesliga. Mitten hinein in diese Aufstiegseuphorie platzte die Nachricht vom sofortigen Abschied des 31-Jährigen - er wechselt, wie sich in den vergangenen Tagen schon andeutete, in die englische Premier League zu Brighton & Hove Albion.
Das mag man auf den ersten Blick als falsch empfinden und einreihen in eine weitere dieser fußballtypischen "Söldner"- und "Verräter"-Geschichten, bei denen den vermeintlichen "Egomanen" fehlende Vereinstreue, Geldgier und dergleichen vorgeworfen wird. Doch das wird der Sache nicht gerecht.
Wieso St. Pauli Hürzelers Abschied verschmerzen kann
Denn erstens hat Hürzeler nie einen Hehl daraus gemacht, irgendwann woanders - und vorzugsweise in England - trainieren zu wollen. Zudem wechselt er nicht zu einem x-beliebigen Verein, sondern trifft in Brighton einen Club an, der dank seines datenbasierten Scoutings trotz eines vergleichsweise niedrigen Personaletats die Premier League aufmischt (Rang neun, sechs und elf in den vergangenen drei Jahren).
Die Spielidee von Brightons Trainer Roberto de Zerbi, den er nun an der englischen Südküste beerbt, bezeichnete Hürzeler in der Vergangenheit stets als Vorbild und besuchte öfter Partien der "Seagulls".
St. Pauli kassiert viel "Schmerzensgeld"
Zweitens wird dem FC St. Pauli der Abschied dem Vernehmen nach mit einer hohen einstelligen Millionensumme versüßt. Viel "Schmerzensgeld", mit dem es möglich sein sollte, auch den Verlust von Topscorer Marcel Hartel zu kompensieren und einen Kader zusammenzustellen, der in der Bundesliga die Klasse halten kann. Drittens hat sich St. Pauli als attraktiver Club etabliert und einen Weg eingeschlagen, der für bestimmte Trainer und Spieler interessant sein kann. Sportchef Andreas Bornemann wird gute Argumente haben, um seinerseits anderen Clubs den Coach abzuwerben.
Erinnerungen an den Wechsel Reimann/Schulte
Nicht zuletzt könnte den Fans ein Blick in die Vergangenheit des FC St. Pauli helfen, den Frust über den Hürzeler-Abschied nicht nur zu überwinden, sondern in hoffnungsvolle Aufbruchstimmung umzuwandeln. Konkret geht es um den November 1987, als Trainer Willi Reimann nach der Hinrunde vom HSV für 600.000 DM abgeworben wurde. Reimanns Nachfolge übernahm ein damals weitestgehend unbeschriebenes Blatt: Doch Helmut Schulte hielt den Club in der Rückrunde nicht nur unbeirrt weiter in der Spitzengruppe, sondern führte ihn in die Bundesliga und prägte zudem entscheidend den Imagewandel des FC St. Pauli zum "etwas anderen Club". In der Beletage gelang souverän als Tabellenzehnter der Klassenerhalt.
Strukturen beim Kiezclub sind gefestigt
Mit anderen Worten: Ja, es ist schade, dass Fabian Hürzeler mit seiner erfolgreichen Fußballphilosophie Hamburg (und auch Deutschland) den Rücken kehrt. Doch angesichts der gefestigten Strukturen beim Kiezclub muss einem nicht angst und bange werden. Es ist den Verantwortlichen um Bornemann durchaus zuzutrauen, erneut eine Erfolgsgeschichte zu schreiben: So wie ihre Vorgänger vor 37 Jahren - und vor allem so, wie sie es selbst vor eineinhalb Jahren schafften, als sie Hürzeler zum Chefcoach beförderten.