Kiels Philipp Sander (r.) und Steven Skrzybski © dpa Bildfunk Foto: Marcus Brandt

Kommentar zu Holstein Kiel: Kein Aufstieg aus dem Nichts

Stand: 11.05.2024 22:25 Uhr

Holstein Kiel hat den vorzeitigen Aufstieg in die Fußball-Bundesliga geschafft - und damit Historisches. Mit norddeutscher Ruhe und Gelassenheit ist die KSV so weit gekommen. Und wenn alles so läuft wie bisher, dann sind die Kieler gekommen, um zu bleiben, meint NDR Reporter Jan Neumann in seinem Kommentar.

Es ist vollbracht - endlich hat Schleswig-Holstein einen Fußball-Bundesligisten. Herzlichen Glückwunsch! Nun gibt es aber auch schon die ersten kritischen Stimmen: Brauchen wir die wirklich in der Bundesliga? Wenig Fans, keine Tradition, die will doch keiner sehen... Sie steigen eh sofort wieder ab…

Ich wäre mit solch düsteren Prophezeiungen sehr vorsichtig. Denn dieser Erfolg der KSV Holstein kommt definitiv nicht aus dem Nichts.

KSV Holstein ist ein Traditionsverein

Über den Club ist über den norddeutschen Tellerrand hinaus wenig bis nichts bekannt, doch Holstein ist ein Traditionsverein und war vor langer Zeit eine feste Größe im deutschen Fußball: Deutscher Meister 1912, Vize-Meister 1910 und 1930, bis zur Einführung der Bundesliga spielten die Kieler immer in der jeweils höchsten Spielklasse. Danach nie wieder - bis heute!

Weitere Informationen
Die Spieler von Holstein Kiel nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft 1912. © Holstein Kiel

26. Mai 1912: Als Holstein Kiel deutscher Meister wurde

Im Finale bezwang das "Störche"-Team mit vielen Spielern aus dem eigenen Nachwuchs den Karlsruher FV und feierte den bislang größten Erfolg der Vereinsgeschichte. mehr

Der jüngere Erfolg ist untrennbar mit einer Person verbunden: Wolfgang Schwenke, als Geschäftsführer zuständig für die Finanzen. Das soll keinesfalls die Arbeit der anderen - Steffen Schneekloth, Uwe Stöver, Marcel Rapp, Dirk Bremser, Spieler etc. - schmälern, doch Schwenke ist die Konstante im Verein.

Der ehemalige Weltklasse-Handballer des THW, der danach als Handball-Trainer arbeitete, übernahm - für Außenstehende überraschend - 2009 den Fußball-Verein. Damit war die Zeit der Versuche vorbei, mit ausrangierten ehemaligen Bundesliga-Profis oder mit hochpreisigen Trainern wie Falko Götz den Erfolg zu kaufen, was aber vor allem Geld verbrannte.

Schwenke feilt mit norddeutscher Ruhe an der Entwicklung

Stattdessen wurde mit - wie Schwenke selbst gerne sagt - norddeutscher Ruhe und Gelassenheit an der kontinuierlichen Entwicklung gefeilt. Von 2013 an, binnen elf Jahren, von der Vierten hoch bis in die Erste Liga. Spieler, Trainer und Sportliche Leiter kamen und gingen - Schwenke blieb. Der fünfmalige deutsche Handballmeister gab dem Fußballverein Struktur, Identität und eine klare Philosophie - der Grundstein des jetzigen Erfolges.

In den sieben Jahren in der 2. Liga klopften die Kieler bereits zwei Mal energisch an die Tür zur Bundesliga, beide Male scheiterten sie trotz passabler Hinspiel-Ergebnisse in der Relegation.

Trainer Marcel Rapp ist ein Bessermacher

Dass es nun ausgerechnet in dieser Saison geklappt hat, ist zweifelsohne außergewöhnlich. Im vergangenen Sommer war mehr als die halbe Mannschaft weggebrochen, darunter auch Ausnahmespieler wie Fabian Reese, Hauke Wahl und Fin Bartels. Den vielen, teilweise sehr jungen Neuen wurde wenig zugetraut. Doch Trainer Rapp hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er ein Bessermacher ist.

Weitere Informationen
Kiels Trainer Marcel Rapp (r.) mit seinem Spieler Timo Becker © picture alliance / xim.gs

Holsteins Aufstiegs-Trainer Rapp: Der "Bessermacher" von Kiel

Der KSV ist mit dem Aufstieg eine Sensation gelungen. Einer der Väter des Erfolgs ist der Coach, dessen Art bei den Spielern extrem gut ankommt. mehr

Der gerade einmal 19-jährige Tom Rothe hat die meisten Einsatzminuten aller Feldspieler, der aktuell leider verletzte Colin Kleine-Bekel hielt mit seinen 21 Jahren bis zu seinem Kreuzbandriss die Abwehr zusammen. Darüber hinaus holten Rapp und sein Trainerteam Fiete Arp aus seinem Formtief heraus, schafften es, aus Lewis Holtby und Steven Skrzybski im Herbst ihrer Karrieren Höchstleistungen herauszukitzeln. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Teamgeist statt Grüppchenbildung

Wenn sich ein zu Saisonbeginn zusammengewürfelter Haufen derart rasant zusammenfindet, kommt man nicht umhin, die Kaderplanung als exzellent zu bezeichnen. Co-Trainer Bremser berichtete, er habe es bei seiner jahrzehntelangen Erfahrung selten erlebt, dass eine Mannschaft die meisten Probleme selbst löst und es kaum Grüppchenbildung gibt. Alle sind heiß und hungrig. Auch das will viel heißen. 

Manch einer wird denken, dass Holstein Kiel nichts in der Bundesliga zu suchen hat. Ich aber sage: Lass die mal machen … mit norddeutscher Ruhe und Gelassenheit. Denn wenn alles so läuft wie bisher, dann sind die Kieler gekommen, um zu bleiben.

Weitere Informationen
Kiels Spieler feiern mit den Fans gemeinsam den Aufstieg © picture alliance Foto: Axel Heimken

Bundesliga ahoi! Holstein Kiel ist aufgestiegen

Den "Störchen" reichte am Samstagabend ein 1:1 gegen Fortuna Düsseldorf, um alles klar zu machen. Direkt im Anschluss stieg die große Party. mehr

FC St. Paulis Trainer Fabian Hürzeler (m.) und weitere Teammitglieder stehen mit roten Leuchtfackeln auf dem Bus bei der Aufstiegsfeier auf dem Weg zum Spielbudenplatz © picture alliance Foto: Christian Charisius

News-Blog Aufstieg: St. Pauli und Holstein Kiel feiern wilde Partys

Die "Kiezkicker" in Hamburg und die "Störche" in Kiel haben am Montag rauschende Aufstiegsfeste gefeiert. Die Saisonabschluss-Feiern im Live-Blog bei NDR.de. mehr

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 12.05.2024 | 23:05 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Holstein Kiel

2. Bundesliga

Kiel

Mehr Fußball-Meldungen

St.-Pauli-Logo am Millerntor-Stadion © picture-alliance / augenklick/Max Ellerbrake

FC St. Pauli: Wirbel um "Bad Religion"-T-Shirt

Das Logo der Punkband ist ein durchgestrichenes Kreuz: Ein Ex-Profi des Clubs sieht seinen christlichen Glauben beleidigt. Der Kiezclub hält dagegen. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?