Kommentar zu Holstein Kiel: Kein Aufstieg aus dem Nichts
Holstein Kiel hat den vorzeitigen Aufstieg in die Fußball-Bundesliga geschafft - und damit Historisches. Mit norddeutscher Ruhe und Gelassenheit ist die KSV so weit gekommen. Und wenn alles so läuft wie bisher, dann sind die Kieler gekommen, um zu bleiben, meint NDR Reporter Jan Neumann in seinem Kommentar.
Es ist vollbracht - endlich hat Schleswig-Holstein einen Fußball-Bundesligisten. Herzlichen Glückwunsch! Nun gibt es aber auch schon die ersten kritischen Stimmen: Brauchen wir die wirklich in der Bundesliga? Wenig Fans, keine Tradition, die will doch keiner sehen... Sie steigen eh sofort wieder ab…
Ich wäre mit solch düsteren Prophezeiungen sehr vorsichtig. Denn dieser Erfolg der KSV Holstein kommt definitiv nicht aus dem Nichts.
KSV Holstein ist ein Traditionsverein
Über den Club ist über den norddeutschen Tellerrand hinaus wenig bis nichts bekannt, doch Holstein ist ein Traditionsverein und war vor langer Zeit eine feste Größe im deutschen Fußball: Deutscher Meister 1912, Vize-Meister 1910 und 1930, bis zur Einführung der Bundesliga spielten die Kieler immer in der jeweils höchsten Spielklasse. Danach nie wieder - bis heute!
Der jüngere Erfolg ist untrennbar mit einer Person verbunden: Wolfgang Schwenke, als Geschäftsführer zuständig für die Finanzen. Das soll keinesfalls die Arbeit der anderen - Steffen Schneekloth, Uwe Stöver, Marcel Rapp, Dirk Bremser, Spieler etc. - schmälern, doch Schwenke ist die Konstante im Verein.
Der ehemalige Weltklasse-Handballer des THW, der danach als Handball-Trainer arbeitete, übernahm - für Außenstehende überraschend - 2009 den Fußball-Verein. Damit war die Zeit der Versuche vorbei, mit ausrangierten ehemaligen Bundesliga-Profis oder mit hochpreisigen Trainern wie Falko Götz den Erfolg zu kaufen, was aber vor allem Geld verbrannte.
Schwenke feilt mit norddeutscher Ruhe an der Entwicklung
Stattdessen wurde mit - wie Schwenke selbst gerne sagt - norddeutscher Ruhe und Gelassenheit an der kontinuierlichen Entwicklung gefeilt. Von 2013 an, binnen elf Jahren, von der Vierten hoch bis in die Erste Liga. Spieler, Trainer und Sportliche Leiter kamen und gingen - Schwenke blieb. Der fünfmalige deutsche Handballmeister gab dem Fußballverein Struktur, Identität und eine klare Philosophie - der Grundstein des jetzigen Erfolges.
In den sieben Jahren in der 2. Liga klopften die Kieler bereits zwei Mal energisch an die Tür zur Bundesliga, beide Male scheiterten sie trotz passabler Hinspiel-Ergebnisse in der Relegation.
Trainer Marcel Rapp ist ein Bessermacher
Dass es nun ausgerechnet in dieser Saison geklappt hat, ist zweifelsohne außergewöhnlich. Im vergangenen Sommer war mehr als die halbe Mannschaft weggebrochen, darunter auch Ausnahmespieler wie Fabian Reese, Hauke Wahl und Fin Bartels. Den vielen, teilweise sehr jungen Neuen wurde wenig zugetraut. Doch Trainer Rapp hat eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er ein Bessermacher ist.
Der gerade einmal 19-jährige Tom Rothe hat die meisten Einsatzminuten aller Feldspieler, der aktuell leider verletzte Colin Kleine-Bekel hielt mit seinen 21 Jahren bis zu seinem Kreuzbandriss die Abwehr zusammen. Darüber hinaus holten Rapp und sein Trainerteam Fiete Arp aus seinem Formtief heraus, schafften es, aus Lewis Holtby und Steven Skrzybski im Herbst ihrer Karrieren Höchstleistungen herauszukitzeln. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Teamgeist statt Grüppchenbildung
Wenn sich ein zu Saisonbeginn zusammengewürfelter Haufen derart rasant zusammenfindet, kommt man nicht umhin, die Kaderplanung als exzellent zu bezeichnen. Co-Trainer Bremser berichtete, er habe es bei seiner jahrzehntelangen Erfahrung selten erlebt, dass eine Mannschaft die meisten Probleme selbst löst und es kaum Grüppchenbildung gibt. Alle sind heiß und hungrig. Auch das will viel heißen.
Manch einer wird denken, dass Holstein Kiel nichts in der Bundesliga zu suchen hat. Ich aber sage: Lass die mal machen … mit norddeutscher Ruhe und Gelassenheit. Denn wenn alles so läuft wie bisher, dann sind die Kieler gekommen, um zu bleiben.