Kicken auf der Nordseeinsel: Amateurfußball unter Extrembedingungen
Der TuS Borkum und der TuS Norderney gehören zu den wenigen Inselclubs im deutschen Ligabetrieb. Das Heimatgefühl ist besonders - die Probleme der Vereine sind es auch. Die Teams sind wenige geworden, Duelle untereinander eine Rarität.
Um auf einer Insel Fußball zu spielen, muss man es wohl fühlen. Wer sonst nimmt regelmäßig stundenlange Fahrten in Kauf, um sich in der Kreisklasse sieben Gegentore einschenken zu lassen - und danach völlig fertig die letzte Fähre zu erwischen und mit seinem Sonntag ohnehin nichts mehr anfangen zu können?
Auswärtsfahrten per Fähre
Wer tut sich das an und warum? Die Antwort auf diese Frage ist nicht leicht, und so sind Inselkicker im Ligabetrieb eine Seltenheit. Aber es gibt sie. In der Neunten Liga zum Beispiel spielt der TuS Borkum, der für alle Auswärtsspiele grundsätzlich eine zweistündige Fährfahrt hinter sich bringen muss.
Die Spieler nehmen sich dafür zum Teil sogar frei, denn wer auf einer Insel lebt, ist nicht selten im Tourismus oder der Gastronomie tätig und muss auch am Wochenende arbeiten.
Borkums Rekordtorschütze Giuseppe Rapana betreibt eine Pizzeria. "Auswärtsspiele sind sehr anspruchsvoll", sagt er. Man müsse teilweise um 6 Uhr aufstehen und sei abends erst um 19.30 Uhr wieder zurück. "Der ganze Sonntag ist weg."
Junge Menschen zieht es aufs Festland
Nicht jeder kann und will sich Woche für Woche diese Zeit freiräumen. Die Inselvereine kämpfen deshalb um Personal. Hinzu kommt, dass es viele jüngere Leute zum Studium oder für die Ausbildung aufs Festland zieht.
Auf der Nachbarinsel Juist haben sie deshalb den Spielbetrieb komplett eingestellt: Sie bekamen keine Herrenmannschaft mehr zusammen und mussten sich aus der Ostfrieslandklasse abmelden. Auch auf Baltrum, Langeoog und Spiekeroog wird nur freizeitmäßig gekickt. Immerhin der TuS Wangerooge stellt 2024/25 eine Herrenmannschaft, in der 4. Kreisklasse.
Auf den Inseln summieren sich die Herausforderungen, mit denen der Amateursport in der ganzen Republik zu kämpfen hat: Das Engagement in Sportvereinen geht zurück. Menschen binden sich tendenziell nicht mehr so stark an Orte und Vereine und nahezu überall klagen sie über fehlende Trainer und weniger Ehrenamtliche.
Das Inselleben schweißt zusammen
Menschen wie Jens Harms und Deniz Cömertpay, beide spielen und trainieren beim TuS Norderney. "Ich habe viele Freunde, die weggezogen sind", sagt Deniz Cömertpay, der von allen nur Cumel genannt wird und beim Fahrradverleih der Insel arbeitet. "Aber ich könnte es mir nicht anders vorstellen. Ich bin echt extrem verwurzelt mit dem Verein und der Insel und ich liebe diese Insel so, wie sie ist."
Zum Glück haben sie beim TuS Norderney einen harten Kern: Spieler, die schon länger dabei sind und auch auf der Insel bleiben. "Das unterscheidet uns auch von den Festlandmannschaften, dass wir eine extremere Gemeinschaft haben", unterstreicht Cömertpay und sein Trainerkollege Jens Harms ist sich sicher: "Das Geheimnis ist der Zusammenhalt." Da ist wie Nils Visser der Stadionsprecher auch gleich mal der Platzwart und zur Not auch Einwechselspieler.
Borkum und Norderney spielen einzigartige Derbys
Auf Borkum ist das ähnlich: "Das Besondere ist, dass wir wirklich zusammenhalten und wie eine Familie sind", sagt Giuseppe Rapana. Touristen kommen und gehen. Die Mitspieler und Kollegen bleiben.
Die Strapazen als Kicker eines Inselclubs treten da in den Hintergrund. Und belohnt wird diese Leidenschaft dann durch Spiele wie diese: In der abgelaufenen Saison trafen Norderney und die Rivalen aus Borkum erstmals nach 60 Jahren wieder in der Ostfrieslandklasse in zwei einzigartigen Inselduellen aufeinander.
Auch die Tide muss mitspielen
"Das ist eine Rivalität zwischen zwei Inseln. Weil das ungefähr die gleichen Welten sind, die vom Fußball und vom Leben her aufeinandertreffen", sagt Giuseppe Rapana. "Das gibt den Ansporn für die Fans, dass wir sagen, wir fahren da jetzt hin und schlagen sie. Ich meine, die sind auch so 'Inselaffen' wie wir, so wie die uns auf dem Festland nennen."
Während seine Mannschaftskameraden für dieses Auswärtsspiel etwa vier Stunden unterwegs waren - erst mit der Fähre, dann mit dem Bus und wieder mit der Fähre - reiste Rapana extra mit dem Kleinflugzeug an. Um die Spätschicht in seiner Pizzeria zu stemmen.
In der Vergangenheit hatten sich bis zu sieben Mannschaften zum "Inselcup" getroffen. Im Dezember 2023 reichte es zumindest wieder einmal für ein Kinderfußball-Turnier. Ohne strenge Altersgrenzen, damit genug Spieler zusammenkommen. Sechs der sieben Inseln nahmen teil - die Kinder aus Juist schafften es wegen der Tide nicht aufs Festland.
Denn auch das ist Inselfußball: Manchmal mag der Wille da sein - aber mitentscheidend sind auch Ebbe und Flut.