Inselduell Norderney gegen Borkum: Fußball-Festtag mit besonderer Anreise
Erstmals seit 60 Jahren spielen der TuS Norderney und der TuS Borkum in dieser Saison wieder gegeneinander: in der Ostfrieslandklasse A. Das Rückspiel des Inselduells war trotz einer einseitigen Partie ein Fußball-Festtag an der Nordsee - auch und gerade wegen der besonderen An- und Abreise.
Christoffer Lübbens Wecker klingelte am Mittwochmorgen schon um kurz nach sechs Uhr. Ausschlafen war für den Borkumer Trainer am Feiertag nicht drin. Stattdessen ging es für ihn mit seiner Mannschaft auf eine historische Auswärtstour: zum Inselduell nach Norderney. Vor 1.000 Zuschauern in der Ostfrieslandklasse A. Neunte Liga.
"Norderney ist die Insel der Kegelclubs. Wir sind eine Insel für Familien." Borkums Trainer Christoffer Lübben
Zum ersten Mal seit der Saison 1963/64, also seit 60 Jahren, trafen der TuS Norderney und die Borkumer in dieser Saison wieder aufeinander. Beide waren im vergangenen Sommer aufgestiegen. Für gewöhnlich duellieren die Inseln sich nicht im Kampf um drei Punkte, sondern im Wettstreit um Touristen. "Norderney ist die Insel der Kegelclubs. Wir sind eine Insel für Familien", hatte Lübben entsprechend pointiert vor dem Anpfiff formuliert.
Rein fußballerisch betrachtet liegen die Dinge zwischen den beiden Clubs in dieser Saison klar: Der 40-Jährige, bei der Stadt Borkum in der Steuerabteilung tätig, steht mit seiner Mannschaft auf Rang neun im gesicherten Mittelfeld. Die Norderneyer hoffen als Tabellenführer auf den Durchmarsch in die Ostfrieslandliga. Immerhin: Im Hinspiel hatte Borkums Ovidiu Cinaru dem Nordsee-Rivalen mit seinem Last-Minute-Treffer zum 2:2 noch den Sieg entrissen.
Lange Anreise für Borkums Fußballer nach Norderney
Schon seinerzeit, Mitte August des vergangenen Jahres, hatten beide Clubs ein Fußballfest gefeiert. Und Inselderby heißt auch, dass An- und Abreise zum "Spieltagserlebnis" dazugehören. Im August war es per Ausflugsdampfer für die Mannschaft Norderneys und rund 100 Anhänger frühmorgens nach Borkum gegangen - Anfahrtszeit: dreieinhalb Stunden.
"Auf dem Rückweg haben wir fünf Stunden gebraucht, weil das Wasser so weit zurückgegangen ist", erzählt Norderneys Spielertrainer Jens Harms. "Aber war nicht schlimm. Auf Juist haben wir bei einem Zwischenstopp nochmal zwei Kisten Bier nachgeladen."
Noch strapaziöser fiel an diesem Mittwoch nun der Trip für die Borkumer aus. Die Tide verhinderte, dass die Mannschaft und ihre 150 Anhänger direkt mit dem Schiff nach Norderney reisen konnten. Stattdessen machte der erste Teil des Trosses sich morgens um kurz nach sieben Uhr mit der Bahn vom Inselbahnhof auf den Weg zum Hafen, von dem die Fähre nach Emden ablegt. Auf die zweistündige Überfahrt folgte in zwei Reisebussen die Fahrt nach Norddeich-Mole, von wo aus es mit der Fähre nach Norderney ging. Eine Anreise in vier Schritten und vier Stunden.
Erst Inselduell, dann abends arbeiten
Für manche aber war das keine Option. Fünf Spieler machten sich mit dem Flugzeug auf den Weg zum Inselduell. Einer von ihnen: Giuseppe Rapana, der auf Borkum eine Pizzeria betreibt. Erst am Abend wieder zu Hause ankommen? Berufsbedingt nicht drin. Aber sich das prestigeträchtige Duell entgehen lassen? Auf keinen Fall. Schließlich ist es für die Borkumer neues Terrain, gegen eine andere Insel kicken zu dürfen.
Für die Norderneyer waren in der jüngeren Vergangenheit vor allem Duelle mit dem TSV Juist von größerer Relevanz. "Die Rivalität kommt hier eher von den Borkumern", stellte Harms vor der Partie fest. "Von den Insulaner-Treffen ist zu hören, dass sie schon ein bisschen Hass auf uns Norderneyer hegen." Diesen eilt der Ruf voraus, sich im Kreis der Nordseeinseln ein wenig elitär zu fühlen.
Ratschläge der alten Norderneyer Spieler für das Derby
Lehrer Harms agiert beim TuS gemeinsam mit Deniz Cömertpay als Spielertrainer. Beide sind zusammen auf Norderney aufgewachsen. Cömertpay betreibt auf der Insel einen Fahrradverleih - und hat anstrengende Tage vor dem Spiel gegen Borkum erlebt.
Der Grund: ein mageres 0:0 am Sonntag gegen Eintracht Plaggenburg. "Wir haben seit neun Spielen nicht verloren, aber am Montag wurde mir die Bude eingerannt", berichtet der 33-Jährige. "All die alten Fußballer sind vorbeigekommen, um nochmal Ratschläge für das Spiel gegen die Borkumer zu geben."
Lübben-Aussagen als Zusatzmotivation
Am Mittwoch hatten auf dem Sportplatz an der Mühle erstmal die Fans von Borkum das Sagen: "Hurra, hurra, die Borkumer sind da", skandierten sie. Wie auch zuvor schon auf der Fähre. Bei Ballermann-Musik und Getränken hatten sie sich auf das Derby eingestimmt. Coach Lübben war da allerdings bereits im Tunnel - und warnte nochmal vor Angreifer Cömertpay.
Der Stürmer und Harms wiederum bedienten sich wenige Minuten vor dem Anpfiff gerne bei Lübben, um ihre Mannschaft nochmal heiß zu machen. Das Thema ihrer Ansprache in der Kabine: Lübbens Aussagen vor dem Hinspiel im August, die sie im Anschluss im Fußball-Magazin "11Freunde" hatten nachlesen können. Der grobe Inhalt von Lübbens im Magazin geäußerter Sicht: Borkum sei die geilere Insel, seine Spieler sähen besser aus - und wären zudem besser im Bett als ihre Norderneyer Kontrahenten.
Norderney sorgt schnell für klare Verhältnisse
Die von Harms und Cömertpay gewählte Art der Motivation verfehlte ihre Wirkung offenbar nicht: Von Beginn an gab Norderney den Ton an. Schon nach vier Minuten verwandelte Renke Fischer einen direkten Freistoß zum 1:0. Den Borkumern war ihre Nervosität anzumerken.
Nach einem Eckball traf Przemyslaw Kaszuba per Kopf zum 2:0 für Norderney (15.). Und es kam für die Borkumer noch viel schlimmer: Kaszuba schlug in der 39. Minute erneut zu, kurz vor der Halbzeit erhöhte Lasse Kühn 4:0 (45.). "Und für diese Rutsche haben die jetzt zwei Busse gebucht?", unkten die Norderneyer Fans schon zu diesem Zeitpunkt auf den Rängen.
Borkumer Comeback? Cömertpay hat was dagegen
Entsprechend gedrückt war die Stimmung in der Borkumer Kabine, Coach Lübben forderte von seinem Team: "Wir spielen jetzt die zweite Halbzeit unseres Lebens!" Sollte den Borkumern ein episches Comeback und noch ein Remis gelingen wie einst Schalke 04 im November 2017 gegen Borussia Dortmund nach einem 0:4-Halbzeit-Rückstand?
Nein, auch weil Cömertpay im zweiten Durchgang zeigte, warum Lübben vor ihm gewarnt hatte. Mit einem lupenreinen Hattrick (65., 69., 90.+1) avancierte er zum Mann des Spiels. Das konnte ihm selbst der Flitzer aus dem Borkumer Block nicht streitig machen.
"Ein unbeschreibliches Gefühl", sagte Cömertpay nach dem Abpfiff - über seine Tore und den klaren 7:0-Sieg im Inselderby. "Das genießen wir mit ganz viel Bier." Und Lübben und sein Team? Die machten sich auf den langen Rückweg nach Borkum. Und nach dem frühen Aufstehen an diesem Feiertag ging es auch noch spät ins Bett.