Kick it like Stellfeld: Der Stürmer mit der Gehhilfe
Ralf Stellfeld ist der erste beinamputierte Fußballer, der am regulären Spielbetrieb teilnehmen darf. Der 43-Jährige läuft für die Ü40-Mannschaft der SG Braunschweig-West in der Kreisliga auf. Mit- und Gegenspieler mussten sich erst einmal umgewöhnen.
Es klingt wie die ganz normale Beschreibung eines Treffers: Der groß gewachsene Stürmer reagiert nach einer Hereingabe blitzschnell, streckt sein rechtes Bein aus und bugsiert den Ball zwischen die Pfosten. Tor!
Doch was beim Trainingsspiel auf dem Schotterplatz des TSV Timmerlah in Braunschweig tatsächlich geschieht, ist alles andere als alltäglich: Denn der Angreifer und Torschütze ist beinamputiert. Während seine Mitspieler uneingeschränkt über den Platz spurten, bewegt sich Ralf Stellfeld als einziger Spieler mit Gehhilfen über das Spielfeld.
Novum in Deutschland
Der 43-Jährige hat in diesem Jahr für ein Novum in Deutschland gesorgt: Er bekam im Sommer einen Spielerpass und ist damit der erste Fußballer mit einem amputierten Bein, der vom Niedersächsischen Fußballverband für den regulären Spielbetrieb zugelassen wurde. "Ich habe erst nicht daran geglaubt", sagt er. "Aber dann habe ich die Info bekommen, dass ich beim nächsten Heimspiel dabei bin."
Der Fußballer spielt für die SG Braunschweig-West, eine Ü40-Mannschaft, die sich aus drei Vereinen der Region zusammensetzt und in der Kreisliga spielt. Es gibt bei anderen Vereinen noch weitere Fußballer mit Amputation. Sie nehmen aber lediglich am Trainingsbetrieb teil, erklärt Stellfeld.
Bein-Amputation mit 17 nach Motorrad-Unfall
Sein Trainer Jan Geppert knüpfte den Kontakt zum Niedersächsischen Fußballverband und reichte beim Verband einen Spielerpass-Antrag ein. Bis die Spielberechtigung da war, verging allerdings etwas Zeit.
"Das hat ein bisschen gedauert, weil keine Regularien vorhanden waren. Niemand wusste genau, was passiert, wenn sich jemand verletzt. Niemand wusste genau, wie die Spielregeln sind", sagt der Vorsitzende des TSV Timmerlah, Ulf Wegener. "Dann haben wir immer wieder nachgefragt und auf einmal war der Spielerpass da. Dann konnte er spielen."
Schon in seiner Kindheit spielte Stellfeld Fußball. Mit 17 Jahren hatte er einen folgenschweren Motorradunfall auf dem Weg zur Arbeit. Er verlor das linke Bein und ist seither auf eine Prothese oder auf Gehstützen angewiesen. Eine schwere Zeit: "Dann gab es lange nichts nach meinem Unfall", erzählt er rückblickend.
Einsätze für die Nationalmannschaft
Etwa 20 Jahre dauerte es, bis es ihn schließlich wieder zum Fußball zog. 2018 begann Stellfeld bei den Sportfreunden Braunschweig mit dem Amputierten-Fußball. "Das erste Training war echt fies", erinnert er sich mit einem Lächeln.
"Ich habe mich zwei Tage lang nicht mehr bewegen können. So viel Muskelkater hatte ich in meinem Leben vorher noch nicht." Stellfeld ging dennoch weiter zum Training und schaffte es für die Spielgemeinschaft Nord-Ost in die Amputierten-Fußball-Bundesliga. Auch für die deutsche Nationalmannschaft lief er bereits auf.
Langsamer "auf drei Beinen", aber schon Torschütze
Weil das Bundesliga-Training aber nur einmal im Monat stattfand, begann er im vergangenen Jahr mit dem Training beim TSV Timmerlah. "Ich kam hier her, alle waren fremd und haben mich super aufgenommen", berichtet er. "Sie mussten erstmal lernen, mir den Ball nicht auf links, sondern auf meinen rechten Fuß zu spielen." Auch die Gegner mussten sich auf die neue Situation einstellen: "Am Anfang sind sie immer zaghafter in die Zweikämpfe gegangen."
"Ich wünsche mir, dass sich immer mehr Amputierte trauen, das Bein in die Ecke zu stellen, die Krücken in die Hand zu nehmen und Fußball zu spielen." Ralf Stellfeld
Stellfeld hat auch schon ein Tor in einem Punktspiel erzielt. Dabei hat er es deutlich schwerer als seine Mitspieler: Rein regeltechnisch zählt die Gehstütze als verlängerter Arm. Berührt der Ball die Krücke, wird es als Handspiel gewertet. "Die Zweibeiner sind natürlich immer schneller als ich mit Krücken", sagt er. Das versuche er aber mit einem guten Stellungsspiel auszugleichen.
Auch seine Mitspieler freuen sich über den Zuwachs in der Mannschaft: "Das Zusammenspiel mit Ralf funktioniert sehr gut", sagt Stürmerkollege Wegener. "Auf drei Beinen ist es doch langsamer als auf zwei. So haben wir die Devise ausgegeben, dass Ralf vorne bleibt und die anderen dann eben mehr laufen müssen."
DBS-Präsident Beucher: "Beispiel sollte Schule machen"
Für den Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), Friedhelm Julius Beucher, zeigt dieser Fall, zu welchen sportlichen Höchstleistungen Menschen mit Beeinträchtigungen in der Lage sind: "Solche Beispiele sollten Schule machen und vielleicht auch die Hemmnisse beseitigen, die manche Menschen und auch Verbände haben, was die Zulassung von Spielerinnen und Spielern mit Beeinträchtigung in ihren Spielbetrieben angeht."
In der Leichtathletik trainierten sehr viele Sportler aus dem Parasportbereich gemeinsam mit olympischen Athleten gemeinsam, so Beucher. Auch bei Wettkämpfen treten sie gegeneinander an. Dass Stellfelds Fall im Fußball weiter einmalig ist, zeuge von noch viele Barrieren in den Köpfen. "Über allem muss stehen, Teilhabe, wo es möglich ist, möglich zu machen", unterstreicht der DBS-Präsident.
Stellfelds Ziele: Aufstieg und EM-Teilnahme
Auch Stellfeld hofft, dass er bald nicht mehr der einzige Amputierte im regulären Spielbetrieb ist. "Ich bin froh, diese Lücke im DFB geöffnet zu haben", sagt er. "Vielleicht gibt es jetzt einen Anstoß, dass der eine oder andere auch mitmachen kann und es immer mehr werden."
Für die Zukunft hat er hochgesteckte sportliche Ziele. Er möchte im nächsten Jahr den Aufstieg mit seiner Mannschaft und den Sprung zur Europameisterschaft im Amputierten-Fußball schaffen. "Da versuche ich mich richtig fit zu machen, damit ich dann dabei sein kann."