Hannovers erste Meisterschaft: Denkwürdig, aber fast vergessen
Die jungen Gipfelstürmer von Hannover 96 düpierten Schalke 04 und holten 1938 erstmals die deutsche Fußball-Meisterschaft an die Leine. Siegtorschütze Erich Meng fiel zwei Jahre später im Zweiten Weltkrieg.
Es war ein ziemlich heißer Sommertag, dieser 3. Juli 1938. In Nazi-Deutschland wurden Juden verfolgt, der Zweite Weltkrieg rückte immer näher - und in Reims gewann Mercedes-Pilot Manfred von Brauchitsch den Großen Preis von Frankreich.
In Berlin drängten sich an diesem Sonntag 100.000 Fußballanhänger im Olympiastadion und fieberten einem Wiederholungs-Endspiel um die deutsche Meisterschaft zwischen Schalke 04 und Hannover 96 entgegen, dessen Sieger die Experten längst ausgemacht hatten. Der dreimalige Serien-Titelträger aus dem Revier galt damals als unbesiegbar - Ernst Kuzorra und Fritz Szepan gehörten zu den besten Fußballern Deutschlands.
96-Fans unter Sonnenschirmen
Die "Roten" aus Hannover hatten trotzdem 20.000 Zuschauer mobilisiert, die unter ihren Sonnenschirmen mit 96-Symbol in der Masse herausstachen und zudem lautstark Stimmung für den krassen Außenseiter machten. Es war ein scheinbar friedliches Miteinander an dem Ort, an dem zwei Jahre zuvor die Sportwelt vor den Augen des Hitler-Regimes Olympische Spiele gefeiert hatte. Doch Ausgrenzung und Judenhass waren hier wie dort allgegenwärtig.
Mit "Golden Goal" ins Endspiel
Dass Hannover 96 im Finale stand und erstmals nach dem Titel griff, galt allein schon als Sensation, wenn nicht sogar als Wunder.
Das Halbfinale im Stadion am Ostragehege des Dresdner SC schien der "große" HSV aus Hamburg schon zur Pause entschieden zu haben. Doch der Halblinke Peter Lay (so wurden offensive Mittelfeldakteure damals genannt) sorgte mit zwei Toren für den Ausgleich der Niedersachsen, die sich damit in die Verlängerung retteten.
Nun musste das nächste Tor entscheiden. Schon damals gab es für einige Zeit die später als "Golden Goal" bekannte Regel. Nur zwei Minuten brauchte es, bis Edmund Malecki den Siegtreffer erzielt und mit dem 3:2 n.V. (2:2, 0:2) das Endspiel gegen die "Knappen" aus Gelsenkirchen gebucht hatte.
Ein Wiederholungsspiel muss her
Der erste Anlauf zum Titel schlug am 26. Juni allerdings fehl, weil weder die mit sieben Nationalspielern gespickte beste Vereinsmannschaft jener Zeit noch das ohne den im Halbfinale vom Platz gestellten Verteidiger Albert Reckel angetretene Team von 96-Trainer Robert Fuchs in der Verlängerung ein Tor erzielen konnten. Nach dem 3:3 wurde die Entscheidung um eine Woche vertagt - was im deutschen Fußball erst zum zweiten Mal geschah.
Wieder 3:3 - aber dann trifft Erich Meng
Es war eine aufregende Woche in der Leinestadt, alle Welt sprach von 96 - und das spannende finale Spiel überbot die Erwartungen sogar noch. Ganze zwei Minuten dauerte es, und schon trafen die "Knappen". Aber Schiedsrichter Hans Grabler aus Regensburg annullierte den Treffer wegen Foulspiels an 96-Keeper Ludwig Pritzer.
Richard Meng hatte mehr Fortune, staubte ab. Aber Hannovers Führung machte ein Eigentor nach Kuzorra-Schuss prompt zunichte - und ließ den legendären "Schalker Kreisel" richtig rotieren. Was folgte, war ein Endspurt, den die Chronisten der 96-Website als "furioseste 21 Minuten der Finalgeschichte" beschreiben.
Während Kuzorra und sein Schwager Szepan für Schalke trafen, machten Richard Meng und Hannes Jacobs per Elfmeter nach 90 Minuten das neuerliche 3:3 perfekt. Wieder Verlängerung. In sengender Hitze erlöste Erich Mengs Siegtreffer schließlich alle.
Tragik der Brüder Meng
An der Leine gab es ein Volksfest. Tausende jubelten der jungen Mannschaft (Durchschnittsalter 24) auf der Kutschfahrt zum Rathaus zu. Mittendrin die Torschützen Richard und Erich Meng, die schon im ersten Finale getroffen hatten und nun abermals den Grundstein zur ersten Meisterschaft legten.
Doch anstatt eine hoffnungsvolle Karriere starten zu können, wurden beide im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht eingezogen. Erich fiel 1940 in Frankreich. "Was hätte aus den Brüdern werden können", fragte jüngst die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" (HAZ). Vielleicht waren es ihre schwarzen Haare und der dunkle Teint, die den Weg in die Nationalmannschaft verstellt haben?
Reichssportführer wenig erfreut
Überliefert ist jedenfalls, dass Hannovers erster Triumph Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten nicht sonderlich gefallen hat. Der SA-Mann galt als Anhänger der damals dominierenden Schalker und machte aus seiner Vorliebe laut "HAZ" keinen Hehl.
So zumindest liest es sich in einem Telegramm an die Niedersachsen, in dem eher beiläufig auch Glückwünsche vorkommen: "Möge das Beispiel der Schalker die jungen Sieger mit der Würde des deutschen Fußball-Meisters anspornen.“
Kulturelle Kostbarkeiten aus 125 Jahren
Mit der Aufarbeitung der NS-Zeit ist Hannover 96 seit mehr als 20 Jahren beschäftigt. Im Archiv lagern wohlbehütet in sicheren Kellerräumen in Hannover Dokumente und kulturelle Kostbarkeiten auch aus dunklen Zeiten, in denen der Verein verdiente Mitglieder wie Robert Rosenbaum, die nicht arischer Abstammung waren, aus der Gemeinschaft entfernte. Der “Arier-Paragraph” verlangte, dass Juden systematisch aussortiert wurden.
Ehrenpräsident geächtet und verhaftet
"Er war Jude, Ehrenvorsitzender und maßgeblich am Bau des Vereinsheims beteiligt, das 1931 errichtet worden ist", sagt Sebastian Kurbach in der Sportclub Story des NDR über Rosenbaum. Der am 1. April 1889 in Hannover geborene Bankier sicherte die Finanzierung und wurde dafür mit der goldenen Ehrennadel ausgezeichnet. "Gedankt hat man es ihm aber nicht", so der Herr über die Geschichtsbücher aus 125 Jahren Hannover 96. Rosenbaum wurde 1936 von der Gestapo verhaftet, seine Mutter im KZ Theresienstadt ermordet. Mit seiner Familie flüchtete er schließlich in die USA nach Brookline/Massachusetts, wo er am 12. September 1961 starb.