HSV: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben - oder Tim Walter
Der HSV bleibt nach dem 1:1 im Spitzenspiel beim SV Darmstadt 98 im Jahr 2023 ungeschlagen und auf Bundesliga-Kurs. So ganz ohne Nebengeräusche verlief die Dienstreise nach Hessen allerdings nicht.
Hamburg hat ja fraglos viel zu bieten. Der Hafen, die Reeperbahn, die Elbphilharmonie, Musicals und Theater sorgen Jahr für Jahr für einen großen Besucherzustrom. Wer gut unterhalten werden möchte, ist in der Elbmetropole gut aufgehoben. Ein langweiliges sportliches Aushängeschild würde also irgendwie gar nicht zu der pulsierenden Millionenstadt passen. Also gibt es hier, wo man "Moin" statt "Guten Morgen" sagt und viel zu oft "Schietwetter" aufs Gemüt drückt, den HSV.
Der in längst vergangenen Zeiten einmal sehr erfolgreiche Verein produziert seit vielen Jahren Geschichten am Fließband, die sehr häufig nichts mit den sportlichen Leistungen der Profimannschaft zu tun haben. Ob es nun um einen eigenwilligen Anteilseigner (Klaus-Michael Kühne) geht, Spieler die unter Dopingverdacht stehen (Mario Vuskovic) oder solche, die in ihrer Freizeit die PS-Stärke ihres Luxusautos unterschätzen (Jean-Luc Dompé): Der HSV sorgt zuverlässig für Storys und Gesprächsstoff.
Walter streicht Jatta aus der Startelf
So auch nun wieder vor und nach der Partie am Samstagabend im Böllenfalltorstadion. Hauptdarsteller im neuesten Stück aus dem Hamburger Theaterstadel: Bakery Jatta und Tim Walter. Der eine (Jatta) erschien zu spät zur Teambesprechung für das Spitzenspiel. Der andere (Walter) war darüber not amused. Die Konsequenz: Jatta, der zuletzt den 3:3-Ausgleich in der Partie beim 1. FC Heidenheim und das 2:1-Siegtor gegen Arminia Bielefeld erzielt hatte, verlor seinen Startelf-Platz.
"Es geht um viel mehr als nur um Fußball"
"Wir haben Regeln. Und wenn einer zu spät kommt, und das noch am Spieltag, dann weiß er, was die Konsequenz daraus ist. Da geht es um grundlegende Dinge, um unser Zusammenleben", erklärte Walter, um dann noch beinahe philosophisch zu ergänzen: "Es geht immer um viel mehr als nur um Fußball." Ob Jatta seine Lektion gelernt hat, wird die Zukunft zeigen. Dass ausgerechnet sein Vertreter Ransford-Yeboah Königsdörffer den HSV gegen die "Lilien" in Führung brachte, rundete die Geschichte nahezu perfekt ab.
Geisterfahrer stoppt HSV-Bus
Apropos Vorfall: Einen solchen gab es in der Nacht zum Sonntag auf der Bundesautobahn 7, der den Mannschaftsbus des HSV stoppte. Wie die Polizei Nordhessen mitteilte, hatten um kurz vor 1 Uhr mehrere Personen den Notruf gewählt und ein Auto in falscher Fahrtrichtung zwischen Guxhagen und Melsungen gemeldet. Trotz eines sofort entsendeten Streifenwagens kam es zu einem Unfall, bei dem der Verursacher und zwei weitere Menschen leicht verletzt wurden.
Die A7 musste daraufhin für zirka zwei Stunden gesperrt werden. Die Rückreise der Hamburger verzögerte sich dementsprechend. Erst um 8 Uhr traf der Zweitliga-Zweite am Volksparkstadion ein. Und was machte Walter? Der bat sein kickendes Personal umgehend zu einer Übungseinheit.
Hamburg hadert mit spätem Ausgleich
Als Straftraining sollte diese jedoch nicht verstanden werden. Vielmehr galt es, sich die Müdigkeit aus den Beinen zu schütteln. Das Duell mit den physisch enorm starken Darmstädtern hatte schließlich viel Kraft gekostet. Dass der HSV dabei anders als jener Geisterfahrer später auf der A7 dennoch den Durchblick behielt und eine bemerkenswerte Stressresistenz gegen die ständig pressenden Hessen zeigte, war vielleicht die wichtigste Erkenntnis des Schlagerspiels.
Richtig zufrieden waren die Hanseaten mit dem Remis dennoch nicht, weil sie eben bis zur 81. Minute geführt hatten. "Wir ärgern uns über das Ergebnis", sagte Mittelfeldmann Jonas Meffert. "Wenn man schon nicht sein bestes Spiel macht, dann muss man zumindest hinten dichthalten und die Führung über die Zeit bringen. Das haben wir nicht geschafft, das müssen wir uns ankreiden", kritisierte Keeper Daniel Heuer Fernandes.
HSV bleibt in der Verfolgerrolle
Der Rückstand auf die "Lilien" beträgt so zwar weiter vier Zähler. Aber als Tabellenzweiter ist der HSV weiter in einer guten Ausgangsposition im Kampf um die nun seit fast fünf Jahren ersehnte Bundesliga-Rückkehr. "Souverän hochgehen" möchte Walter mit seinem Team. Der verschenkte Sieg gegen Darmstadt? "Ärgerlich", aber für den 47-Jährigen eben auch kein Beinbruch. Denn: "Unser Anspruch ist es, dass wir von Woche zu Woche besser werden - egal, gegen wen wir spielen. Das ist einfach unser Ding, dass wir einfach an uns arbeiten und uns weniger mit dem Gegner beschäftigen."
Nun Wiedersehen mit Ex-Coach Hecking
Der nächste Gegner heißt am kommenden Sonnabend (13 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) übrigens 1. FC Nürnberg. Trainer bei den Franken ist seit Neuestem Dieter Hecking. Der 58-Jährige, beim "Club" in Personalunion Sportchef und Coach, hatte in der Saison 2019/2020 versucht, den HSV ins Oberhaus zurückzubringen. Er scheiterte wie seine Vorgänger an dieser Aufgabe, sodass sich beide Seiten nach nur einem Jahr trennten.
Nach Hecking setzten sich Daniel Thioune (Lieblingssatz: "Das macht was mit dir"), Vereinsikone Horst Hrubesch und eben Walter auf den Hamburger Schleudersitz. Letzterer war zunächst eine B-Lösung, hat sich bisher aber als Glücksgriff erwiesen, weil er unbeirrt seinen Weg geht. Mit einem Aufstieg würde sich der Mann aus Bruchsal in Hamburg ein kleines Denkmal bauen. Verpasst er ihn, wäre er vielleicht im Sommer Geschichte in der Stadt der vielen Geschichten ...