HSV: Sonny Kittel oder das Comeback eines fast schon Vergessenen
Der HSV hat sich nach zuvor drei sieglosen Partien in Serie im Nordduell mit Hannover 96 den Frust von der Seele geschossen. Den Torreigen beim 6:1-Erfolg eröffnete dabei ein Mann, den die Hamburger im wahrsten Sinne des Wortes fast schon in die Wüste geschickt hatten: Sonny Kittel.
Es ist erst ein paar Wochen her, da hatte der 30-Jährige mit dem Kapitel HSV bereits mehr oder minder abgeschlossen. Dem Deutsch-Polen winkte ein äußerst lukrativer Vertrag beim saudisch-arabischen al-Fateh Sports Club. Von einer Jahresgage in Höhe von 2,4 Millionen Euro war in Medien die Rede. Kittel war sich mit dem Verein aus der Saudi Pro League bereits einig und hatte auch schon den Medizincheck bestanden.
Die Ablösesumme (500.000 Euro) hatten beide Clubs ebenfalls schon ausgehandelt. Dann aber platzte der Wechsel doch noch, weil der Zweitligist keinen adäquaten Ersatz für den Edeltechniker fand, dessen Kontrakt am Saisonende ausläuft.
In der Rückrunde wochenlang nur Ersatzspieler
Der Offensivspieler stand daraufhin wieder in Hamburg auf dem Trainingsplatz - und musste sich hintenanstellen. In den ersten acht Rückrunden-Partien saß der gebürtige Gießener auf der Ersatzbank. Dreimal wurde Kittel nicht einmal eingewechselt, bevor er am vorvergangenen Freitag in der Partie bei Fortuna Düsseldorf (2:2) sein Startelf-Comeback feierte und dabei zu überzeugen wusste. Gegen Hannover stand er nun erneut in der Anfangsformation, spielte wieder stark und erzielte seinen ersten Zweitliga-Treffer seit dem 30. April des vergangenen Jahres.
Und dazu noch einen ganz wichtigen, wie Trainer Tim Walter befand: "Das 1:0 war so ein bisschen der Dosenöffner."
Walter: "Er hat sich da rauskatapultiert"
Der Coach hatte Kittel bereits vor dem Duell mit 96 über den grünen Klee gelobt. Er sei ein "unfassbarer Spieler", wenn er "Freude" in sich habe, sagte der 47-Jährige. Aus diesen Worten war herauszuhören, dass Kittel diese "Freude" zwischendurch offenbar abhanden gekommen war. Denn sonst hätte Walter einen seiner fraglos besten Fußballer im Kader wohl nicht so lange zum "Bankangestellten" degradiert. Dass der frühere Junioren-Nationalspieler am geplatzten Wechsel sowie seiner anschließenden "Joker"-Rolle hart zu knabbern hatte, bestätigte der HSV-Trainer nach der Hannover-Partie indirekt.
"Jeder hat Verständnis dafür, was Sonny die letzten Monate durchgemacht hat. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass er früher zurückkommt aus der Phase. Dass es jetzt soweit ist, darüber sind wir alle sehr glücklich. Wir freuen uns für ihn, dass er sich da rauskatapultiert hat. Wie er arbeitet, das ist gut", erklärte Walter.
Kittel Gesicht der verpassten Aufstiege
Kittel selbst schwieg am Sonnabend. Er postete nach der Begegnung lediglich ein Foto auf seinem Instagram-Account, das ihn nach seinem Tor in Jubelpose zeigt. Viele frühere und aktuelle Teamkameraden likten das Bild. Sie alle freuten sich mit dem Mann, der so außergewöhnliche fußballerische Fähigkeiten hat, in den Vorjahren aber stets auch ein Gesicht der verpassten Aufstiege war. Denn in den entscheidenden Saisonphasen und wichtigen Partien war der 30-Jährige zumeist untergetaucht.
Man konnte ihm ankreiden, der ihm zugedachten Rolle als Führungsspieler nicht gerecht geworden zu sein. Kittel selbst war auch frustriert. Im vergangenen Sommer dachte er intensiv über einen Neuanfang in den USA nach. Ein Wechsel zu DC United stand kurz bevor, platzte dann aber in letzter Sekunde noch. "Es sollte einfach nicht sein, womit ich mich auch gut arrangieren konnte, weil mein Herz auch in Hamburg und beim HSV ist", erklärte der Offensivmann daraufhin.
Glatzel: "Er ist ein unersetzlicher Spieler"
Auch wenn derlei Aussagen nach gescheiterten Transfers mit Vorsicht zu genießen sind, zeigte Kittel in der Hinrunde, dass er mit seinen Gedanken nicht bei seinem Beinahe-Arbeitgeber in Washington, D.C., sondern beim HSV ist. Er gehörte zum Stammpersonal und trug - wenn auch ohne eigenen Treffer - nicht unerheblich dazu bei, dass die Hanseaten auf Rang zwei überwinterten. Es folgten das aus finanziellen Gründen eigentlich nicht abzulehnende Angebot aus Saudi-Arabien, das Veto des HSV gegen den Wechsel sowie frustrierende Wochen auf der Ersatzbank.
Vergangenheit. Ausgerechnet nun, da die heiße Phase der Saison beginnt, in der Kittel in den Vorjahren stets in der Formkrise war, scheint der 30-Jährige zum Faktor für die Hamburger zu werden. "Es ist überragend, dass er gerade jetzt wieder da ist, wo es darauf ankommt. Er ist ein unersetzlicher Spieler, ein einzigartiger Spieler für diese Liga", lobte Torjäger Robert Glatzel den Mann, der vor wenigen Wochen schon auf gepackten Koffern gesessen hatte.