"Echte Wirkung erzeugen": Die Fußball-Clubs im Norden und die Nachhaltigkeit

Stand: 09.01.2025 10:45 Uhr

Das Thema Nachhaltigkeit wird auch im Fußball immer wichtiger. Zur neuen Saison zieht die DFL die Zügel an: Wenn die Clubs nicht mitziehen, droht sogar der Lizenzentzug. Der NDR hat sich bei den Proficlubs im Norden umgesehen, welchen Teil sie zum Umweltschutz beitragen.

von Florian Neuhauss

Der Weg führt tiefer und tiefer in die Katakomben des Volksparkstadions. Aber die HSV-Direktorin für das Thema Nachhaltigkeit kennt sich hier unten aus. Marieke Patyna öffnet eine weitere schwere Metalltür und führt vorbei an dicken Rohren und großen Tanks. Was sie zeigen will, ist in der hintersten Ecke des Technikraums versteckt. Es ist ein blauer Zylinder, kaum 50 Zentimeter lang - und auf den ersten Blick ist beim besten Willen nicht zu erkennen, wie dieses Bauteil die Nachhaltigkeitsbemühungen des Hamburger Traditionsclubs nach vorn bringen könnte.

Doch es ist ein richtiger Gamechanger: "Der unscheinbare Zylinder ist der Siekmanns Kalkwandler. Er verändert die Oberflächenspannung des durchlaufenden Wassers", erklärt Patyna. "Aus einem großen Wassertropfen werden viele kleine, die dann besser in den Boden eindringen können." Der Sauerstoffgehalt im Wasser steigt um etwa 5 Prozent. Das wirke sich sowohl auf den Wasser- als auch auf den Düngerverbrauch aus - wohlgemerkt nicht nur beim Rasen im Stadion, sondern auch auf den Trainingsplätzen.

HSV erkannte Nachholbedarf bei ökologischer Nachhaltigkeit

Die 28-Jährige ist seit viereinhalb Jahren beim HSV für die Nachhaltigkeit zuständig und mittlerweile Direktorin. Oder wie es bei der Fußball AG heißt: Chief Strategy, People & Sustainability Officer (CSO). Außerdem ist sie Prokuristin. Im Club wünschten sich damals nicht zuletzt die Fans, dass der HSV mehr in Sachen Nachhaltigkeit unternimmt.

Zu den Nachhaltigkeitsthemen gehören auch noch Soziales und Wirtschaftliches. Bei einer Bestandsaufnahme und Datensammlung zur Entwicklung der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie stellten die Hamburger allerdings fest, dass besonders im Bereich Umwelt Nachholbedarf besteht. Und seitdem ist beim HSV viel passiert.

DFL droht den Clubs mit Lizenzverweigerung

Der ehemalige Bundesliga-Dino ist damit nicht wenigen deutschen Proficlubs voraus - und auch den offiziellen Vorgaben. Knapp zwei Jahre später nämlich verankerten die Clubs der Ersten und Zweiten Liga als erste Profifußball-Ligen überhaupt eine verpflichtende Nachhaltigkeitsrichtlinie in der Lizenzierungsordnung der Deutschen Fußball Liga (DFL). Die Vorgaben werden seitdem regelmäßig angepasst und auch verschärft.

"Wir wollen echte Wirkung erzeugen. Es geht auch darum, die Gesellschaft zu motivieren mitzumachen. Jeder muss nachhaltig agieren, um seinen Teil beizutragen." Nico Briskorn, Leiter der Nachhaltigkeitsabteilung beim VfL Wolfsburg

Nico Briskorn bezeichnet die Richtlinie als "Meilenstein". Er selbst hat daran mitgeschrieben. Der Leiter der Wolfsburger Nachhaltigkeitsabteilung erklärt, dass alle formulierten Forderungen "ein Stück weit ein Kompromiss sein mussten", weil die Clubs ganz unterschiedliche Voraussetzungen hätten. Zum Beispiel, weil einige nur Mieter ihrer Stadien und Trainingsgelände sind und somit gar nicht so einfach in die Infrastruktur investieren können.

DFB-Nachhaltigkeitsrichtlinie für Frauen-Bundesliga und 3. Liga

"Aber das Ambitionsniveau der Richtlinie steigt von Jahr zu Jahr - und das muss es auch", betont Briskorn und fügt hinzu: "Wenn bestimmte Kriterien nicht eingehalten werden, können bereits Geldstrafen und Verwarnungen ausgesprochen werden. Ab nächster Saison droht aber auch, dass Vereine keine Lizenz mehr erhalten, wenn sie keinen Nachhaltigkeitsverantwortlichen stellen oder keine Nachhaltigkeitsstrategie haben."

Im April 2024 zog der DFB nach: Seit dieser Saison gibt es auch für die Frauen-Bundesliga und die 3. Liga der Männer eine Nachhaltigkeitstrichtlinie, in der es unter anderem um Klima, Umwelt und Ressourcen geht. Nach einem Übergangsjahr soll deren Einhaltung in der kommenden Saison verpflichtend sein.

VfL Wolfsburg nimmt am "Race to Zero" teil

Der VfL gilt als Vorreiter in der Branche, erhebt seinen CO2-Fußballabdruck bereits seit 2012 - und hat sich vor vier Jahren mit dem "Race to Zero" der Vereinten Nationen als Ziel gesetzt, Ende 2025 klimaneutral zu sein. Im Stadion läuft auf einer großen Uhr ein Countdown, um die eigenen Ambitionen zu verdeutlichen.

Weitere Informationen
Blick aus dem Grünen auf das Millerntor-Stadion des FC St. Pauli © IMAGO/Steinsiek Foto: Arne Amberg

Profifußball und Nachhaltigkeit? Das machen die Clubs im Norden

Die DFL fordert von den Erst- und Zweitliga-Clubs mehr Engagement für die Nachhaltigkeit. Ab der kommenden Saison droht sogar die Lizenzverweigerung. mehr

Um 37 Prozent sollen die eigenen Klimabelastungen bis dahin vermindert werden (der Rest durch Kompensation anderswo eingespart werden). "In dem Bereich, in dem wir das direkt beeinflussen können, sind wir schon bei 44 Prozent", erklärt Briskorn. In der Gesamtbetrachtung habe der Club allerdings noch Nachholbedarf: "Da spielen auch Themen wie eine verlangsamte Mobilitätswende mit rein."

Briskorn will mehr Menschen fürs E-Bike begeistern

Und das nicht zu knapp. Rund 60 Prozent der Gesamt-Belastungen durch den Profifußball gehen tatsächlich auf das Konto der Fans. Obwohl diese mit ihrer Eintrittskarte mittlerweile fast überall in Deutschland auch mit Bus und Bahn fahren dürfen, reisen immer noch sehr viele mit dem Auto zu den Spielen.

In Hamburg macht deren Anteil an jedem Spieltag die Hälfte der rund 57.000 Fans aus. Und damit sind die Emissionen durch die Anhängerschaft mehr als viermal so groß wie die, für die der Club durch seine Betriebsstätten selbst sorgt.

Laut Briskorn wäre auf Grundlage von Fanbefragungen in Wolfsburg das E-Bike für den Großteil der VfL-Fans das beste Fortbewegungsmittel. Klimaschonend und für die vergleichsweise kurzen Anfahrtswege vollkommen ausreichend. Er wolle den Zuschauenden keine Vorgaben machen, sondern Anreize setzen. Mit einer App können die Fans ihren Weg zum Stadion erfassen und Preise gewinnen.

Fans müssen mitziehen

Wie sehr die Fans bei den Bemühungen mitziehen, entscheidet am Ende über deren Erfolg. Zweifel schwingen zumindest mit. "Bewusstsein ist im Freizeitverhalten ein spezielles Thema", sagt HSV-Direktor Cornelius Göbel, der im Club für Fans, Kultur und Markenidentität zuständig ist. Die weitere Sensibilisierung bezeichnet er deshalb aktuell noch als "unseren Hauptschwerpunkt".

Ein Fußball fliegt ins Tor © Imago Images / ActionPictures
AUDIO: Wie steht es um das Thema Nachhaltigkeit im Profifußball? (3 Min)

Sonderzüge, mit denen ja auch das Klima geschont wird, nehmen die Fans gern an. Ansonsten bekommt Göbel auch immer wieder zu hören, man solle doch "die politischen Themen aus dem Fußball raushalten". Da hält der 40-Jährige jedoch dagegen, zumal es ihm wichtig ist, dass der Club Haltung zeigt und den Mund aufmacht: "Der Profifußball ist auch ein politischer Ort und wir müssen uns mit gesellschaftlichen Themen beschäftigen."

Ein Kampf gegen Windmühlen? Im Fall der ökologischen Nachhaltigkeit wären die vielleicht sogar mal hilfreich. Göbel lacht und betont: "Es sind noch keine Quantensprünge, so ehrlich muss man sein. Die Vereine sollten aus meiner Sicht nicht den Fehler machen und gewisse Zustände verklären. Aber es sind kleine Schritte und die sind notwendig, um nachhaltig für Veränderung zu sorgen."

Vielfältige Möglichkeiten, Umweltschutz zu betreiben

Neben Wassersparen und der Fanmobilität gibt es für Proficlubs noch viele andere Möglichkeiten, das Thema anzugehen. Es geht um Müllvermeidung - zum Beispiel durch weniger Verpackungen und den Verzicht auf Einwegplastik. Apropos Plastik: Der HSV nutzt in der Natur aufgesammeltes und recyceltes Plastik, um seine Produkte aus dem Online-Fanshop zu versenden. Die Wolfsburger setzen ebenfalls auf recyceltes Plastik - unter anderem in Form von Trainingshütchen. Zudem setzen sie auf Filter, die sowohl an den Abläufen der Plätze als auch bei der Raumluft in der Geschäftsstelle oder bei den Waschmaschinen Mikroplastik auffangen sollen.

Auch Stromsparen ist ein großes Thema: So ergriff der HSV die Möglichkeit, als die UEFA für die Heim-EM stärkeres Flutlicht im Volksparkstadion forderte, LED-Lichter einzubauen, die gleichzeitig deutlich weniger Energie verbrauchen.

"Wichtig ist vor allem, wesentliche Themen zu identifizieren: Um sich nicht zu verzetteln, sondern zu fokussieren auf die Themen, bei denen man einen wirklichen Hebel hat." Marieke Patyna, Direktorin für Nachhaltigkeit beim HSV

Hansa hat Bäume gepflanzt, Werder setzt auf Solar

Um die Breite der unterschiedlichen Bemühungen zu verdeutlichen: Hansa Rostock führte 2023 mit der Profiabteilung einen Arbeitseinsatz in der Natur durch und hat mittlerweile mehr als 7.000 Bäume in heimischen Wäldern gepflanzt, um die Aufforstung in Mecklenburg zu unterstützen. Werder Bremen wurde bereits im Jahr 2019 mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnet, weil eine Solaranlage in der Außenhülle des Weserstadions viel grünen Strom produziert. Holstein Kiel setzt auf regionale Kooperationen wie mit dem NABU Bergenhusen oder mit der Stiftung Naturschutz SH. Und bei St. Pauli wurde eine Bio-Stadionwurst eingeführt - sowohl in der Fleisch- als auch in der veganen Variante.

VfL Wolfsburg zapft den Mittellandkanal an

Die DFL versucht, die Clubs dort abzuholen, wo diese gerade stehen. Stärken fördern und Probleme benennen. So wurde zum Beispiel den Wolfsburgern vorgeschlagen, weiteres Frischwasser zu sparen. Dabei gewinnt der VfL durch eine große Pumpe bereits bis zu 30.000 Kubikmeter Wasser aus dem Mittellandkanal, um die Trainingsplätze zu bewässern. Die Menge deckt den Bedarf aber noch nicht vollständig. Die Gespräche mit der Stadt laufen.

Spagat zwischen Profifußball und Nachhaltigkeit

VfL-Geschäftsführer Michael Meeske ist klar, dass sich der Profifußball-Betrieb erst einmal nicht mit Umwelt- und Klimaschutz verträgt. Die Veranstaltungen im Stadion und die Reisen zu den Spielen, aber auch die Rasenheizung und die UV-Beleuchtung der Rasenfläche: "All das ist natürlich nur bedingt ökologisch nachhaltig. Und deswegen ist es wichtig für uns, dass wir uns optimieren, wo wir können und wo es sinnvoll machbar ist." Und so sollen, wenn die VfL-Arena in diesem Jahr modernisiert wird, die Nachhaltigkeitsthemen gleich mitgedacht werden.

EM als Dämpfer - auch in Hamburg

Allerdings zieht das Fußball-Geschäft in dieser Hinsicht doch immer wieder links auf der Überholspur an den guten Absichten vorbei. Statt wie angekündigt durch möglichst viele Reisen mit der Bahn, etwas für die Klimabilanz der EM in Deutschland zu tun, stellte sich heraus, dass die Nationalteams in der Gruppenphase gerade einmal 12,6 Prozent der Reisen wirklich auf der Schiene zurückgelegt hatten. Mehr als doppelt so oft war das Flugzeug das Verkehrsmittel der Wahl. Spitzenreiter war der Bus mit 61,5 Prozent.

Und auch der HSV wurde bei seinen Nachhaltigkeitsbemühungen von der UEFA eingebremst - was vor den Stadiontoren deutlich wird. Denn wenn es wieder rausgeht aus den Katakomben des Volksparkstadions, führt der Weg an großen surrenden Gerätschaften vorbei. Es handelt sich um den Flüssigkeitskühler, die sogenannte Kältemaschine, der neuen Klimaanlage. Diese war eine Vorgabe der UEFA für die EM, um zum Beispiel die VIP-Bereiche kühlen zu können.

Dieses Thema im Programm:

Sport aktuell | 22.12.2024 | 10:17 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bundesliga

VfL Wolfsburg

HSV

2. Bundesliga

Mehr Fußball-Meldungen

Trainer Alexander Blessin (3.v.r.) inmitten seiner Spieler. © IMAGO / Oliver Ruhnke

St. Pauli gegen Frankfurt: Mit mehr Konkurrenzkampf zum zweiten Heimsieg?

Der Aufsteiger will einen weiteren Schritt in Richtung Klassenerhalt gehen. Keine leichte Aufgabe gegen den Tabellen-Dritten, auch wenn der zuletzt schwächelte. mehr