"Das funktioniert": Ex-Schiedsrichter Wagner glaubt an Stadionansagen
Der deutsche Fußball will die Fans im Stadion besser informieren. Schiedsrichter sollen ihre Entscheidungen in strittigen Fällen per Lautsprecher erklären. Am Wochenende feierte das Pilotprojekt Premiere. Regel-Experte Lutz Wagner glaubt, dass man das sogar ausbauen kann, Fans hingegen äußern weiter Kritik.
Es war schon immer so - soll aber nicht länger so bleiben: Wenn der Schiedsrichter pfeift, driften die Meinungen auseinander. Meldet sich dann auch noch der Video-Assistent (VAR) aus dem "Kölner Keller" und überprüft die strittige Szene mitunter quälend lange, werden die Fußballfans unruhig und bisweilen unleidlich.
Ein Pilotprojekt, das die Deutsche Fußball Liga (DFL) am Wochenende in der Bundesliga und in der 2. Liga gestartet hat und das bei bislang einem Spiel zur Anwendung kam, soll das ändern. Mehr Transparenz bei den Entscheidungen, besserer Service für die Fans durch konkrete Informationen aus dem Regel-Dschungel und direkte Kommunikation des Referees via Stadion-Lautsprecher.
Schiedsrichter-Durchsagen - es gibt weiter Kritik
Einen ersten Schritt, nennt es Regel-Experte Wagner, der als Schiedsrichter rund 450 Profispiele geleitet hat. Die Zuschauer werden mitgenommen auf dem Weg der Entscheidung, erfahren das Warum und wie es weitergeht. Wie beispielsweise in der nordamerikanischen Football-Liga NFL, im Rugby oder bei der Fußball-WM der Frauen 2023. "Bisher hatten die Zuschauer am Fernsehgerät meistens mehr Informationen als die im Stadion", sagte der 61-Jährige im Sportclub des NDR.
Eine gute Idee also - oder gab es das nicht schon mittels Infos auf der Videowand? Kritische Ultras wie in der Kurve des FC Bayern München bringen es auf ihren eigenen Nenner ("VAR abschaffen - statt NFL nachäffen"). Und auch auf der Nordtribüne des HSV im Zweitliga-Nordduell gegen Hannover 96 (2:2) sprachen sich Fans gegen den Videoassistenten aus: "Scheiß VAR - Ende der Durchsage".
Information per Knopfdruck
Der Kritik zum Trotz ist das Projekt am Wochenende angelaufen. Die Idee: Schiedsrichter sollen ihr Handeln über das Mikrofon ihrer Headsets verkünden, das auf Knopfdruck mit dem Stadionlautsprecher verbunden ist, wenn sie zur Überprüfung am Monitor waren oder ihre Entscheidung auf Hinweis des VAR ändern. Sogenannte "Silent Checks“, die im Hintergrund ablaufen, die kein Außenstehender mitbekommt und durch die das Spiel nicht unterbrochen wird, werden dagegen nicht kommentiert.
Initiiert hat das international "Public Announcement" genannte Projekt die DFL-Kommission Fußball in Abstimmung mit der Schiri GmbH des Deutschen Fußball-Bundes (DFB). "Wir sehen darin einen ersten klaren Schritt zu mehr Aufklärung und haben mit unseren Unparteiischen die Abläufe gewissenhaft trainiert", so der frühere FIFA-Schiedsrichter Knut Kircher, der heute Geschäftsführer eben dieser DFB Schiri GmbH ist. "Deshalb sind wir zuversichtlich, dieses neue Vorgehen erfolgreich begleiten zu können, auch wenn es anfänglich ungewohnt sein wird."
Regel-Experte Wagner: "Nichts überfrachten"
"Ich bin überzeugt, dass es funktioniert", sagt Wagner. "Im zweiten Schritt könnte ich mir sogar vorstellen, dass die ein oder andere Detailinformation dazukommt. Wer hat wen gestoßen oder getreten zum Beispiel? Warum wurde auf Abseits entschieden? Aber erst einmal anfangen, nicht überfrachten und gucken, wie es klappt und angenommen wird." Natürlich gebe es auch Bedenken. "Das ist wohl üblich hierzulande, wenn etwas Neues kommt", meint Wagner.
Dass die Referees möglicherweise noch mehr Häme einstecken müssen, wenn etwas schiefgeht oder ein Schiedsrichter sich mal verspricht, preist Wagner ein: "Dann korrigiert er sich eben. Vielleicht macht das den Schiedsrichter sogar ein Stück weit menschlicher. Ich bin sicher, es wird nicht oft vorkommen, dazu sind die Jungs und Mädels zu gut vorbereitet." Und überhaupt: "Unsere Schiedsrichter können das und werden an dieser Durchsage nicht zerbrechen." Werder-Keeper Michael Zetterer zeigt trotzdem Mitgefühl: "Den Schiedsrichtern jetzt noch einen größeren Rucksack aufzusetzen, indem sie ihre Entscheidungen durchs Stadion posaunen müssen, finde ich schwierig."
Lehrgänge und feste Textbausteine
Erprobt wird das Verfahren bis zum Saisonende in den Stadien der Erstligisten Bayern München, Borussia Dortmund, Eintracht Frankfurt, SC Freiburg, Bayer Leverkusen, RB Leipzig und FC St. Pauli sowie bei den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf und Greuther Fürth - den Clubs, die in der DFL-Kommission Fußball vertreten sind.
Am Wochenende blieb der Test zunächst in den Startlöchern stecken, weil in den drei Partien am Sonnabend nichts passierte. Schon kursierte die Vermutung, die Schiedsrichter hätten sich ob der zusätzlichen Aufgabe wohl zurückgehalten. Trotz spezieller Lehrgänge und fester Textbausteine für die Durchsagen überkomme manch Unparteiischen nämlich Unbehagen, "vor bis zu 80.000 Zuschauern sprechen zu müssen", wie Referee Frank Willenborg einräumt.
Premiere in Leverkusen
Erst am Sonntag kam es in der Partie zwischen Bayer Leverkusen und der TSG Hoffenheim (3:1) in der 24. Minute zur Premiere des Pilotprojekts. Schiedsrichter Robin Braun war in seinem dritten Bundesliga-Spiel der Erste, der nach VAR-Intervention erklären musste, warum er seinen Elfmeterpfiff wegen einer Abseitsstellung zurückgenommen hat. "Ich bin ehrlicherweise erleichtert, dass alles geklappt hat", sagte der 28-Jährige, "dass keine Versprecher dabei waren und es hoffentlich den Mehrwert gebracht hat, der gewünscht ist."
Es war eine souveräne Erklärung, die sich mancher Fußballfan wohl auch beim "Karten-Festival" (zehn Gelbe, zwei Gelb-Rote und eine Rote Karte) im Spiel von Werder Bremen gegen Mainz 05 (1:0) gewünscht hätte.
Noch 67 Spiele zum Testen in dieser Saison
"Je mehr Transparenz es gibt, desto besser", meint Werders Profi-Chef Peter Niemeyer. "Den Fans hätte es in unseren vergangenen Spielen vielleicht geholfen, einige Entscheidungen besser nachvollziehen zu können."
Wie auch immer der Test verläuft, für Willenborg ist klar, "dass der gesamte Prozess des Reviews nun noch länger dauern wird". Trotzdem unterstützt er die Idee - so wie St. Paulis Trainer Alexander Blessin: "Weil es für Transparenz sorgt und das ist grundsätzlich nichts Schlechtes."
Bis Saisonende sollen insgesamt 67 Spiele zum Testlauf gehören. Viel Zeit also, um erste Routinen zu entwickeln. "Wir sind ein bisschen früher hier gewesen, haben uns die Zeit genommen, alles zu testen", sagte Braun: "Wir haben aber relativ schnell ein gutes Gefühl gehabt."