Bundestrainer Julian Nagelsmann (Mitte) mit Nationalspielern © picture alliance/dpa

Ohne Kroos und Co. - So sollte die Nationalmannschaft künftig spielen

Stand: 08.09.2024 10:46 Uhr

Die Altstars um Toni Kroos sind weg, ein Umbruch muss her. Der kann Bundestrainer Julian Nagelsmann und dem DFB-Team um Kapitän Joshua Kimmich gelingen, wenn die nachrückenden jungen Spieler schnell in Verantwortung kommen und die offensive Dynamik erhöht wird, wie die Daten zeigen.

von Tobias Knaack

Kaum war Kimmich der neue Kapitän, kam die Kampfansage: "Vor allem meine Generation hat nichts mehr zu verschenken. Wir wollen jeden Titel, jede Chance nutzen. Und da wollen wir bei der Nations League anfangen", sagte der 29-Jährige vom FC Bayern München vor dem Auftakt in der Nations League gegen Ungarn (5:0).

Titel sollen also her - zunächst aber müssen Lösungen her, um Umbruch und Umbau nach den Rücktritten von Toni Kroos und dem bisherigen Mannschaftskapitän Ilkay Gündogan zu stemmen. Insbesondere um den gebürtigen Greifswalder Kroos herum hatte Nagelsmann seine Mannschaft für die Heim-EM aufgebaut.

Nun ist er - insbesondere mit Blick auf die Weltmeisterschaft 2026 - gezwungen, sein Team erneut neu zu strukturieren - und ihm zumindest in Teilen eine neue Identität zu geben.

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Wie ersetzt Nagelsmann Kroos und Gündogan?

In Kroos und Gündogan fehlen der Mannschaft künftig zwei der besten Spielgestalter. Da sie nicht eins-zu-eins zu ersetzen sind und Nagelsmann auch äußerte, das nicht tun zu wollen, wird insbesondere im Mittelfeld eine Umverteilung der kreativen und organisatorischen Aufgaben nötig sein.

Die Liste der Spieler, die dafür in Frage kommen, ist lang: Sie reicht von Pascal Groß, der bei der Europameisterschaft dabei war, über Aleksandar Pavlovic, der das Turnier krank verpasste, und Brajan Gruda bis hin zum Shootingstar der ersten beiden Bundesliga-Spieltage, Paul Wanner.

Diese Mittelfeldspieler kommen für die WM 2026 in Frage
SpielerAlterVereinAktueller GSN-IndexPrognostizierter GSN-Index zur WM 2026
Pascal Groß33Borussia Dortmund76,7473,76
Emre Can30Borussia Dortmund79,3677,77
Aleksandar Pavlovic20FC Bayern München74,1678,43
Brajan Gruda20Brighton & Hove Albion74,0877,06
Rocco Reitz22Borussia Mönchengladbach74,3278,32
Angelo Stiller23VfB Stuttgart76,8580,47
Felix Nmecha23Borussia Dortmund79,4981,45
Merlin Röhl22SC Freiburg77,0180,31
Eric Martel221. FC Köln74,2879,77
Paul Wanner181. FC Heidenheim (Leihe FC Bayern)71,5477,64

"Pascal Groß ist einer der Spieler, der das sicher gut machen kann und wird", sagte der Bundestrainer zu Beginn der Woche. Das gelte aber auch für Pavlovic und Angelo Stiller, "vom Profil her ähnliche Typen". Richtung Oktober, also zur nächsten Länderspielphase, könne es mit Blick auf den Kader "vielleicht die eine oder andere Veränderung mehr geben". Dennoch will der Coach das deutsche Spiel nur "minimal verändern", die Grundidee bleibe ähnlich.

GSN: "Verstärkt auf junge Spieler setzen"

Den Analysen des Global Soccer Networks (GSN) zufolge wäre Nagelsmann gut beraten, wenn er in den kommenden beiden Jahren verstärkt auf die jungen, aufstrebenden Spieler setzen würde. Sie fallen "qualitativ im Vergleich zu Groß nicht ab, ihnen fehlt nur Erfahrung". Die könnten sie gerade in der Nationalmannschaft sammeln "und die DFB-Elf hätte eingespielte Mechanismen zur WM 2026".

Hinzu kommen die Entwicklungspotenziale der jungen Spieler, die deutlich größer sind als die von Groß oder auch Emre Can.

Die Auswahl der Spieler hängt sicher auch davon ab, ob und wie Nagelsmann künftig sein System modifiziert. Aktuell sieht es nicht danach aus: "Wir sind davon abgerückt, viel Neues zu machen. Wir werden keine neue Grundordnung machen", sagte der Bundestrainer zuletzt. Heißt: Das DFB-Team wird aller Voraussicht nach auch künftig in einer 4-2-3-1-Formation agieren.

4-2-3-1 die beste Formation - und Kimmich Rechtsverteidiger

Den GSN-Daten nach ist dieses System für die aktuellen Spieler auch die beste Formation - weil sie "die beste Balance zwischen defensiver Stabilität und offensiver Flexibilität" liefert, aber auch "die Stärken des aktuellen Kaders optimal" ausnutzt.

Sie ist zudem geeignet für verschiedene Spielweisen - von Ballbesitzfußball bis hin zu schnellem Umschaltspiel. Mit einer Bewertung von 92,50 liegt diese Grundformation deutlich vor alternativen Systemen wie 4-3-3 (90,75), 3-4-3 (88,40), 4-4-2 (86,90) oder 3-5-2 (84,65).

Der neue Kapitän würde dabei, so hat es auch Nagelsmann gesagt, auf der Rechtsverteidiger-Position bleiben, auch wenn er sich "für keinen Spieler auf eine Position festlege". Kimmich sei "bei der EM eine Benchmark in allen Werten" gewesen. "Wir können ihn auf der Position sehr gut gebrauchen."

"Ich sehe es als Stärke an, dass ich sowohl rechts als auch in der Mitte vor der Defensive spielen kann." DFB-Kapitän Joshua Kimmich

Für den 29-Jährigen kein Problem - im Gegenteil: "Ich hoffe, dass man bei der EM gesehen hat, dass ich auch als Rechtsverteidiger Spaß habe", sagte er: "Ich sehe es als Stärke an, dass ich sowohl rechts als auch in der Mitte vor der Defensive spielen kann." Das habe ihm "brutal geholfen in meiner Karriere, dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. Deshalb werde ich mich niemals einer Position verschließen."

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Die den Daten nach beste Aufstellung der deutschen Nationalmannschaft im 4-2-3-1 würde so aussehen:

Ter Stegen - Raum, Rüdiger, Schlotterbeck, Kimmich - Pavlovic, Andrich - Führich, Musiala, Wirtz - Füllkrug

GSN zufolge "maximiert" diese Zusammenstellung "die individuellen Stärken der Spieler und bietet gleichzeitig taktische Flexibilität, um auf verschiedene Spielsituationen und Gegner reagieren zu können". Auffällig: Weder Jonathan Tah in der Abwehr noch Kai Havertz im Angriff - beide bei der EM gesetzt - wären den Daten nach in der Startelf. Havertz würde lediglich bei einer Aufstellung mit zwei Angreifern "reinrotieren".

Hingegen in den meisten Aufstellungen dabei: Bayern-Mittelfeldspieler Pavlovic, der "als tiefster Mittelfeldspieler agieren" könnte, um das Spiel von hinten aufzubauen. Er käme damit der Rolle, die Kroos als Ballverteiler und Taktgeber hatte, am nächsten.

In Phasen, in denen das Team unter Druck steht, könnte er sich zudem tiefer fallen lassen, um die Abwehr zu unterstützen. Neben ihm als "aggressiver Sechser" in jeder Aufstellung: Robert Andrich von Meister Leverkusen. Er soll auch weiterhin "körperliche Präsenz und Aggressivität ins Mittelfeld" bringen.

Deutschland mit guten Grundlagen ...

Schaut man auf spielerische und taktische Trends der zurückliegenden EM - Positionsspiel (insbesondere ins Mittelfeld einrückende Außenverteidiger), defensive Stabilität und Umschaltspiel, Gegenpressing, Offensiv-Variabilität und Kreativität sowie Fernschüsse - ist GSN zufolge zu erkennen, dass "die DFB-Elf bereits eine solide Grundlage in vielen Bereichen des Spiels" hat.

In Neu-Kapitän Kimmich beispielsweise hat das Team einen Außenverteidiger, der sich instinktiv zwischen der Abwehr- und Mittelfeldposition bewegen kann, um im Zentrum für Überzahl zu sorgen und als Anspielstation zu dienen. Auch hinsichtlich der Effizienz im Abschluss etwa war das Nagelsmann-Team bereits stark.

... und einigen Herausforderungen

Die nächsten Entwicklungsschritte - insbesondere mit Blick auf den gleichermaßen dominanten wie verdienten Europameister Spanien - sind für die deutsche Mannschaft insbesondere in den Bereichen individuelle Technik, Angriffsdynamik, Pressing und physische Präsenz zu gehen.

Insbesondere dynamische Bewegungen, die Spielzüge initiieren, höhere Fähigkeiten in Dribblings und das Lösen von Eins-gegen-eins-Duellen könnten dem deutschen Team helfen, seine Offensiv-Variabilität zu erhöhen.

Zudem sollten Nagelsmann und die Mannschaft laut GSN "an der Intensität und Aggressivität in Zweikämpfen arbeiten" - auch und gerade, um im Pressing Bälle zu erobern. Oder um sich bei Standardsituationen, einem weiteren Trend der EM, speziell in der Offensive zu verbessern.

Das Potenzial der Mannschaft - etwa auch aufgrund ihrer taktischen Flexibilität - ist groß, die Liste der nachrückenden Spieler lang. Nun ist es an Nagelsmann, Neu-Kapitän Kimmich und den anderen Führungsspielern, den Umbau voranzutreiben und diese Potenziale zu heben. Oder wie Kimmich sagt: Es gibt "nichts zu verschenken".

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