Collin Benjamin: Immer noch Kult beim HSV, heute Idol in Namibia
Als Nationaltrainer hat Collin Benjamin mit Namibia beim Afrika-Cup gerade Geschichte geschrieben. Es ist der vorläufige Karriere-Höhepunkt des langjährigen HSV-Fußballers - einer Karriere, die mit einem Traum, einem Studienabbruch und einem Umzug nach Hamburg startete.
Benjamin guckte kurz in die Kamera, grinste, ballte die Faust und wurde dann verschlungen. Von Betreuern, Assistenten, Spielern. Der 45 Jahre alte Coach hatte mit der Nationalmannschaft Namibias durch ein 0:0 gegen Mali gerade Historisches vollbracht: den Einzug ins Achtelfinale beim Afrika-Cup.
Benjamin schreibt mit Namibia Geschichte
Noch nie war dem Team das gelungen, überhaupt war schon die Qualifikation für die Endrunde in der Elfenbeinküste - die vierte überhaupt in der Geschichte des Landes - eine kleine Sensation gewesen. Nun also die K.o.-Runde als Krönung - und die Gefühle des ehemaligen HSV-Profis gingen, um es wie Jürgen Klinsmann im WM-Jahr 2006 zu sagen, mit ihm Gassi. Springen, umarmen, schreien, tanzen.
"Fußball ist Freude, Emotion. Du musst das einfach leben." Collin Benjamin
Das war auch schon in Hamburg so, wenn er für die "Rothosen" getroffen hatte: "Ich weiß nicht, ich musste manchmal durch die Freude irgendetwas machen, dann habe ich angefangen zu tanzen. Fußball ist Freude, Emotion. Du musst das einfach leben", erklärt Benjamin.
Das Erreichen der Runde der letzten 16 ist der vorläufige Höhepunkt seiner Trainer-Laufbahn, aber auch seiner gesamten Fußball-Karriere. Und die Tatsache, dass er seinen Sport so prägen und erleben durfte, keineswegs selbstverständlich.
Für den Traum vom Fußball-Profi nach Hamburg
Benjamin ist für den namibischen Fußball ein Idol - nicht erst aufgrund des Erfolgs Ende Januar beim Afrika-Cup. Er ist ein Sinnbild dafür, dass sich träumen und dranbleiben lohnen. 1999, er war damals 21 Jahre alt, schmiss er sein Studium, verließ seine Heimat und kam mit nur einem Koffer nach Hamburg - und dem Traum, dort Bundesliga-Profi zu werden.
Doch er musste beharrlich bleiben, bis die Hansestadt seine zweite Heimat wurde. Denn es war keineswegs sofort alles auf den HSV und das Volksparkstadion eingestellt. Die Realität hieß zunächst Verbandsliga bei Germania Schnelsen und Oberliga bei Raspo Elmshorn.
"Collin war fast mehr deutsch als seine Mitspieler, unheimlich pünktlich, korrekt." Joe Franken, der Collin Benjamin 1999 nach Hamburg holte
Joe Franken, ehemaliger Spielerberater, und Ingo Kock, 1999 Germania-Trainer, ließen ihn damals aus Namibia einfliegen. "Collin war anders, Collin war fast mehr deutsch als seine Mitspieler, unheimlich pünktlich, korrekt", sagt Franken. Und Kock ergänzt: "Wir waren froh, dass wir ihn hatten und er hatte auch gleich innerhalb der Mannschaft so ein gewisses Standing, alleine schon durch seine Präsenz im Training, seine Disziplin, seinen Ehrgeiz."
Von Germania Schnelsen zu Elmshorn
Und "immer mit einem klaren Ziel vor Augen, unbedingt eines Tages den Schritt ins Profigeschäft zu schaffen". Egal, wie klein die Schritte zu Beginn waren. 2000 wechselte er zu Oberligist Elmshorn. Er wohnte in einem Gasthof, sein Zimmer zwölf Quadratmeter groß, Familienanschluss inklusive. Vom Gastwirt lernte er Deutsch, die Mutter bekochte ihn, mit der Tochter ging er auf den DOM.
Tagsüber Spargel stechen, abends trainieren
Geld verdiente er mit Gelegenheitsjobs: Tagsüber Spargel stechen im Hamburger "Speckgürtel", abends trainieren. "Ich habe damals in Elmshorn erzählt, dass ich Fußballprofi werden will. Und die haben gesagt: 'Wie soll das denn gehen? Ein Fußballprofi, der morgens Spargel stechen geht.'"
Blickt er heute auf die Zeit zurück, sagt er: "Es ist alles gut rausgekommen, aber das sind auch alles Sachen, die ich machen musste, um das alles zu schätzen, was danach passiert ist."
Böger holt Benjamin zum HSV
Denn die kleinen Schritte wurden plötzlich größer: Mit Oberligist Elmshorn ging es gegen die zweite Mannschaft des HSV. Beim 2:2 schoss Benjamin ein Tor und legte ein weiteres auf. Und Stefan Böger, damals Coach des Hamburger Nachwuchses, holte Benjamin in den Volkspark.
Schnell rückte er zu den Profis auf und feierte im August 2001 mit 23 Jahren unter Frank Pagelsdorf gegen den VfB Stuttgart sein Bundesliga-Debüt. Nur wenig später - in seinem ersten Stadtderby gegen St. Pauli - traf er. Schnell avancierte er aufgrund seiner Spielweise zum Publikumsliebling: kampfbetont, geradlinig, schnörkellos.
Katutura: "Der Ort, an dem wir nicht leben möchten"
Benjamin ist in Katutura aufgewachsen - einem ehemaligen Township in Namibias Hauptstadt Windhoek. "Katutura bedeutet übersetzt soviel wie 'Der Ort, an dem wir nicht leben möchten'", erklärt der heute 45-Jährige. In seinem Elternhaus lebte er damals zusammen mit Mutter, Vater, Schwester, seinem jüngsten Bruder, Neffe, Nichte und Tante. Heute wohnen hier seine Neffen und Nichten.
Wirklich arm habe er sich nie gefühlt, sagt Benjamin. Seine Eltern hatten Arbeit, seine drei Geschwister und er immer eine warme Mahlzeit auf dem Tisch. In seinem alten Viertel fühlt er sich immer noch wohl.
"Er war sicherlich kein Messi, aber er war ein fleißiger Arbeiter." Joe Franken über Collin Benjamins Spielweise
Hier hat er angefangen, Fußball zu spielen. Hier wuchs in ihm im Alter von zehn Jahren der Traum, Profi zu werden, wie er einst in einem Interview mit dem Fußballmagazin 11Freunde erzählte. Er verbindet mit dem Platz, mit seinem Viertel "diese Emotionen, dieses Kämpfen" - Attribute, die prägend für sein Spiel beim HSV werden sollten.
Oder wie sein Entdecker Franken sagt: "Er war sicherlich kein Messi, das weiß er selber auch, war also kein Spieler, dem alles so einfach zufiel, aber er war ein fleißiger Arbeiter." Ein Arbeiter, der es auf knapp 200 Spiele im Trikot mit der Raute gebracht hat - und der im Volkspark unverändert Kultstatus besitzt.
Immer noch "Heimspiele" im Volksparkstadion
Zu sehen und zu hören war das im August, zwölf Jahre nach seinem Abschied. Im Rahmen einer Hospitation bei Coach Tim Walter war Benjamin bei der Zweitliga-Partie gegen Hertha BSC im Stadion. Mit Sprechchören feierte die Kurve ihren "Collo", der sichtlich ergriffen ins Mikro rief: "Vielen Dank, vielen Dank, nur der HSV. Ich bin sprachlos." Ein Gänsehautmoment, ein Heimspiel.
25 Jahre sind seine Frau Winnie und er mittlerweile verheiratet, seit 2016 lebt die Familie wieder in Namibia. Den Club vergessen aber hat er nie. Im Gegenteil, er hat ihn und den Volkspark ein Stück weit zu sich geholt. "Wir haben den Rasenplatz eingerichtet, dann haben wir hier gekickt und irgendwie fehlte mir irgendetwas", sagt er.
"Und dann dachte ich so, was wäre, wenn wir das hier Volkspark nennen? Und dass wir hier jeden Tag im Volkspark kicken können." Natürlich habe er "auch so ein bisschen Erlaubnis von der Frau kriegen" müssen, erzählt er mit einem Grinsen. Ist ja schließlich direkt vor dem eigenen Haus. Heimspiel.
Benjamin möchte etwas zurückgeben ...
Fußball war 1999 der Ausweg für Benjamin. Heute will er seiner Heimat etwas zurückgeben, eine Nachwuchsliga und ein Internat hat er in Windhoek schon mit aufgebaut. Er hofft, dass es mal wieder einem Spieler gelingt, in einer der großen europäischen Ligen Fuß zu fassen. Dass dieser Traum in Erfüllung gehen kann, hat er selbst vorgelebt.
Und gezeigt, dass dieser Traum auch über die aktive Zeit hinaus weiterleben kann. Seit 18 Monaten ist Benjamin, der früher auch Kapitän der "Brave Warriors" war, mittlerweile Chefcoach. Mit dem Achtelfinal-Einzug haben er und sein Team Großes vollbracht, auch wenn dort mit einem klaren 0:3 gegen Angola Endstation war.
"Wir haben 1998 zum ersten Mal hier mitgemacht, nach 26 Jahren haben wir zum ersten Mal die Gruppenphase überstanden. Wir müssen die Dinge Schritt für Schritt angehen", ordnete er das Geschehene ein, richtete den Blick aber direkt nach vorne: "Wir werden weiter hart arbeiten." Denn die nächsten Aufgaben warten schon mit der WM- und Afrika-Cup-Qualifikation.
... und wieder zum HSV?
Und dann in einer etwas ferneren Zukunft wieder zum HSV? "Das sind natürlich Träume, dass du vielleicht mal da arbeiten kannst. Einfach um den Kreis zu schließen", sagt Benjamin und fügt, ganz der harte Arbeiter, der er immer war, an: "Wenn ich das schaffen sollte, dann könnte ich vielleicht sagen, ich hab’s geschafft!"
Zunächst wird er wohl auch deshalb häufiger nach Hamburg zurückkehren, weil seine älteste Tochter in dem Land studieren möchte, wo ihr Vater sich seinen Traum vom Bundesliga-Profi erfüllt hat. Fest steht: Er wird ein Heimspiel haben.